Europas Rechte
: Identitärer Schulterschluss

In Koblenz haben Europas Rechte gefeiert, dass sie politisch derzeit im Aufwind sind. Doch über ein Bekenntnis zur Wiedergeburt der Vaterländer ging die Veranstaltung kaum hinaus.

„Faschismus muss deutsch bleiben“: Mitglieder der im Umfeld der Satirezeitschrift „Titanic“ gegründeten „Partei“ demonstrierten am vergangenen Samstag in Koblenz gegen einen Schulterschluss der europäischen Rechten. (Foto: DIE PARTEI)

Schwer hängt das Bockwurst-Aroma über den Tischen, die vor dem Großen Konferenzsaal der Rhein-Mosel-Halle in Koblenz aufgebaut sind. Es ist Mittagspause. Die knapp 1.000 Anhänger der Alternative für Deutschland und ihre europäischen Verbündeten haben sichtbar Appetit bekommen, vom Jubeln und Klatschen, den Euphorie-Schüben, den frenetischen „Merkel muss weg“-Sprechchören. Hoch willkommen ist da eine Stärkung aus Bockwurst und Kartoffeln. Keine Tapas, Sushi oder exotische Häppchen – Identität, mag man sich denken, beginnt beim Kulinarischen.

Auch im Saal gibt es an diesem Samstag grobe Kost. Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) hat Europas Rechte zum Kongress geladen. Und die Prominenz ist zahlreich angereist. „Die Europhilen in Brüssel wollen unsere Länder abschaffen und uns einen Einheitsstaat aufzwingen“, sagt Geert Wilders, Vorsitzender der niederländischen Partij voor de Vrijheid (PVV). Marine Le Pen (Front National), gemeinsam mit Wilders die Architektin der Rechts-Fraktion im EU-Parlament, die sich „Europe of Nations and Freedom” (ENF) nennt, steht ihm in nichts nach: „Die Europäische Union löst uns aus unseren Kulturen. Sie ist eine sterilisierende Kraft.“ Doch damit sei nun Schluss. „Die nationale Identität der Völker wird wieder hergestellt“, so Matteo Salvini, Vorsitzender der Lega Nord.

„2017, das Jahr der Patrioten”, verkünden große Tafeln auf Deutsch, Englisch und Französisch. Eine Konferenz, wie im Vorfeld angekündigt, ist das Treffen auf Initiative des AfD-Europaabgeordneten Marcus Pretzell eigentlich nicht. Eher eine Wahlkampfveranstaltung unter dem Titel „Freiheit für Europa“, denn, so Wilders: „Im März haben wir die Chance die Niederlande zu befreien, dann wird Marine Präsidentin und“ – gerichtet an das deutsche Publikum – „im Herbst seid ihr dran“. Kein Wunder, dass Frauke Petry schließlich vehement das „Abschütteln der Knechtschaft“ beschwört.

Die Stoßrichtung der Redebeiträge ist deutlich: gegen Masseneinwanderung und Islamisierung, für Grenzkontrollen und EU-Austritt, gegen Gleichmacherei, für kulturelle Eigenheit. Man kennt das seit Jahren vom Front National und der Partij voor de Vrijheid, von Lega Nord und den österreichischen Freiheitlichen (FPÖ). Mit solcher Rhetorik versuchten Le Pen und Wilders bereits seit 2013, die rechtspopulistischen Kräfte des Kontinents zu einer Fraktion im EU-Parlament zusammenzuschweißen, was ihnen nach einigen Schwierigkeiten im Jahr 2015 schließlich gelang. Inzwischen hat die Fraktion 39 Mitglieder aus neun verschiedenen Staaten.

Der Generalsekretär der FPÖ meint, dass die 
Gegendemonstranten, darunter etwa 
Luxemburgs Außen-
minister, „mit hoher Wahrscheinlichkeit 
keiner geregelten Arbeit nachgehen“.

„Europa der Vaterländer“ heißt das Konzept, dem innerhalb der Neuen Rechten gehuldigt wird. Durch die populistische Welle der letzten Jahre ist es Mainstream-kompatibel geworden, und hier in Koblenz propagiert man es als Strategie, mit der man die angestrebte Restauration der Nationalstaaten bewirken will: „Wir kämpften allein in unserem jeweiligen Land. Jetzt kämpfen wir zusammen für unsere Werte“, so Marine Le Pen: „Wir erleben das Ende einer Welt und die Geburt einer neuen voller Hoffnung.“

Solche Erweckungsrhetorik zieht sich durch die meisten Rede-Beiträge. „Das neue Europa, die neuen Staats- und Regierungschefs haben sich hier versammelt“, tönt gleich zu Beginn Marcus Pretzell, dessen Übertritt zur ENF-Fraktion in Brüssel im Mai vergangenen Jahres die AfD erst an die Spitze des europäischen Rechtspopulismus geführt hat.

Außerhalb des Konferenzzentrums demonstrieren in Koblenz an diesem Tag mehrere Tausend Menschen gegen das Treffen. Bürger der Stadt ebenso wie Angereiste, Vertreter linker und zivilgesellschaftlicher Organisationen, auch Politiker wie der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn oder der deutsche SPD-Chef Sigmar Gabriel. Harald Vilimsky, Generalsekretär der FPÖ, schenkt sich die Mühe der Differenzierung und schwärmt von dem guten Gefühl, im Auto an den Demonstranten hinter ihren Absperrungen vorbeizufahren – im Bewusstsein, „dass die mit hoher Wahrscheinlichkeit keiner geregelten Arbeit nachgehen“.

Dass die ENF-Granden von manchen Demonstranten der Einfachheit halber „Nazis“ genannt werden, greift analytisch ebenfalls zu kurz. Die Morgenröte, die dort in der Halle beschworen wird, ist zunächst eine nationalstaatliche, patriotische. Dass ein neuer Faschismus droht, ist eine steile These. Gleichwohl lässt die martialische Rhetorik zumindest darauf schließen, dass bei ENF eine nicht nur rhetorische Unbefangenheit herrscht. „Die Völker des europäischen Festlands erwachen“, frohlockt Le Pen. Vereinzelt klingen „Volksverräter“-Rufe im Saal, wenn es um aktuelle Regierungen geht. Und Geert Wilders propagiert überschwänglich: „Gestern ein neues Amerika, heute Koblenz, morgen ein neues Europa.“

Es ist die gegenwärtige gesellschaftliche Dynamik, die sämtliche Redner auf ihrer Seite wissen. Daher kommt niemand ohne Referenz auf die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und seine Vereidigung am Vortag aus. Von Trumps Glanz fällt etwas auf jene ab, die sich als sein europäisches Pendant verstehen. FPÖ-Mann Vilimsky übermittelt Grüße von Parteichef Strache, der sich in Washington die Vereidigung Trumps angeschaut und erste Kontakte zu dessen Administration geknüpft habe.

Es ist wohl Marine Le Pen, die es am Treffendsten auf den Punkt bringt: „Jeder von uns, der seine Ziele erreicht, gibt den anderen Hoffnung.“ Wie relevant diese Dynamik ist, hat sich erst 2016 gezeigt. Kurz bevor sich im April die Niederländer in einem Referendum gegen den EU-Assoziationsvertrag mit der Ukraine ausgesprochen haben, war die Brexit-Ikone Nigel Farage über den Kanal geeilt, um den dortigen Europhoben im Wahlkampf beizustehen. Unverhohlen äußerte Farage die Erwartung, ein Sieg der niederländischen EU-Gegner werde wiederum die Brexit-Befürworter beflügeln.

Angesichts der anhaltenden Unsicherheit liberaler Parteien, die nicht wissen, wie man auf diese Dynamik reagieren soll, wirkt besonders drastisch, wie anders die Stimmung der europäischen Rechten ist: man berauscht sich an den anhaltenden eigenen Erfolgen und feiert Frauke Petry als künftige deutsche Kanzlerin. Zweifellos ist dies die breiteste rechte Bewegung des Kontinents seit langer Zeit. Selbst identitäre Pioniere der extremen Rechten wie der belgische Vlaams Belang, vertreten durch den EU-Abgeordneten Gerolf Annemans, reihen sich begeistert ein. Der Schulterschluss scheint beinahe lückenlos.

Dennoch bleibt vorerst unbeantwortet, wie sich die AfD in Zukunft zur ENF-Fraktion verhält. Denn der wirtschaftsliberale Parteiflügel sieht die Kooperation eher kritisch. Gleiches gilt für die Beziehung von ENF zu Russland. Auf Nachfragen bekommt man keine eindeutige Antwort – mit dem Verweis darauf, dass eine mögliche Annäherung zwischen Putin und Trump nur gut sein könne. „Die bisherige Lage sollte uns mit Besorgnis erfüllen, denn wir Europäer sind in der Mitte zwischen Russland und den USA”, so der rumänische Abgeordnete Laurentiu Rebega.

Die betont freundschaftliche, harmonische Inszenierung in Koblenz soll zweifellos dem Argument den Boden entziehen, wonach Patrioten aus verschiedenen Ländern nicht zusammenarbeiten können. Das Bekenntnis, einander gerade im Namen der nationalen Souveränität Spielraum zu gönnen, etwa in wirtschaftspolitischer Hinsicht, klingt zumindest rhetorisch stringent. Tatsächlich hat die ENF-Fraktion angesichts eines gemeinsamen Gegners namens „Brüssel“ partikulär-nationalistische Konflikte bisher vermieden. Wie weit die von Marine Le Pen beschworene „Solidarität zwischen unseren Bewegungen“ reicht, wird sich allerdings erst noch beweisen müssen.

Tobias Müller berichtet für die woxx vorwiegend aus Belgien und den Niederlanden. Er war für diese Feature in Koblenz vor Ort.

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