Freud und der Faschismus: Mit ergebenem Gruß


Der Titel reißerisch, die Ausführung anekdotisch: Ein Band über die vermeintliche Beziehung zwischen „Freud und Mussolini“ hält nicht, was er dem Anschein nach verspricht. Die Darstellung des katholisch-faschistischen Schulterschlusses gegen die italienische Psychoanalyse macht die Lektüre dennoch lesenswert.

Roberto Zapperis schmale Studie „Freud und Mussolini“ provoziert mit der Andeutung, es habe eine Verbindung zwischen dem Begründer der Psychoanalyse und dem italienischen Diktator gegeben. Motiviert wird der Titel durch eine Widmung Freuds an Mussolini, deren Entstehung nach Einschätzung des Autors nie hinreichend erklärt wurde. Zapperi gesteht, selbst regelrecht geschockt gewesen zu sein, als er den Text erstmals zu lesen bekam: „Benito Mussolini mit dem ergebenen Gruß eines alten Mannes der im Machthaber den Kultur-Heros erkennt. Wien 26.4.1933. Freud“. Die Umstände, wie es zu dieser Widmung kam, werden im ersten Kapitel nacherzählt.

Im Frühjahr 1933 meldete sich der italienische Psychoanalytiker und ehemalige Schüler Freuds, Edoardo Weiss, in der Berggasse 19 in Wien zu Besuch an. Er erschien in Begleitung des Theaterschriftstellers Giovacchino Forzano und dessen Tochter, die bei Weiss in Behandlung war. Bei dieser Gelegenheit schenkte Forzano dem berühmten Arzt, von dem er sich Hilfe für seine Tochter erhoffte, die deutsche Ausgabe eines gemeinsam mit Mussolini verfassten Theaterstücks, das die Widmung ziert: „Für Sigmund Freud, der die Welt besser machen wird, mit Bewunderung und Dank“.

Das Exemplar ist in Freuds Bibliothek erhalten. Obwohl unter der Widmung neben Forzanos auch Mussolinis Name steht, scheint es unwahrscheinlich, dass der Duce von der Initiative seines Co-Autors wusste. Zu einer Gegengabe aufgefordert, überreichte Freud dem italienischen Besucher ein Exemplar seiner neuesten, aus einem Briefwechsel mit Albert Einstein hervorgegangenen Publikation Warum Krieg? mit der zitierten Zueignung.

Für Zapperi ist die Widmung eine pure „Höflichkeitsgeste“, die nur deshalb weiterer Beachtung bedarf, weil mit den Jahren sowohl in der psychoanalytischen als auch in der faschistischen Geschichtsschreibung über vermeintliche Beweggründe Freuds spekuliert wurde.

Pure Höflichkeitsgeste?

Prominent nennt Zapperi die Vermutung, die Freuds Biograph Ernest Jones unter Berufung auf Edoardo Weiss kolportiert hat. Demnach habe der begeisterte Italienreisende Freud dem Diktator seinen Dank für die archäologischen Ausgrabungsprojekte des faschistischen Regimes zukommen lassen wollen. Zapperi rechtfertigt die Vermutung zunächst mit dem Hinweis auf Freuds Vorlieben für antike Skulpturen und Fragmente, wertet sie letztlich aber doch als bloßen Versuch, „den Meister entschuldigen zu wollen“.

Als Historiker hätte Zapperi die unterstellte Verbundenheit kritischer reflektieren und begründet zurückweisen können: Freud war aus gesundheitlichen Gründen nach 1923 nicht mehr in den Süden gereist, die Ausgrabungsprojekte des Regimes wurden zwar in den 1920er Jahren beschlossen, größtenteils aber erst Mitte der 1930er Jahre umgesetzt; Freud hat sie also nie besichtigen können. Ohnehin ist es unwahrscheinlich, dass Freud für eine Ausgrabungstätigkeit im Dienst der politischen Propaganda, die antike Reste entweder in die faschistische Stadtplanung einbezog oder gegebenenfalls zerstörte, „Dankbarkeit“ hätte empfinden können.

Die Unterstellung des italienischen Mussolini-Biographen Renzo De Felice, Freud sei ein heimlicher Sympathisant des Duce gewesen, widerlegt Zapperi mit seiner Rekonstruktion der politischen Lage Anfang der 1930er Jahre überzeugend. Aus der Analyse von Freuds Briefwechseln geht hervor, dass dieser niemals Sympathie für Mussolini hegte, wohl aber im Frühjahr 1933 noch die Hoffnung hatte, der „Kultur-Heros“ würde den Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland verhindern. Ein „bodenständiger“ österreichischer Klerikalfaschismus unter Kanzler Engelbert Dollfuß schien Freud damals allemal „humaner“ und „gemäßigter“ als jede Politik unter dem Hakenkreuz. Nur ein Jahr später erwies sich die Hoffnung als Illusion, schon bald nach der Ermordung von Dollfuß festigte sich die „Achse Rom-Berlin“.

Weil die Geschichte von „Freud und Mussolini“ rasch auserzählt ist, verliert sich Zapperi über viele Seiten im Anekdotischen. Als wäre das erste Kapitel ein Wikipedia-Artikel, in dem die genannten Namen blau markiert zum Weiterklicken einladen, schwadroniert der Autor mehrere Kapitel lang über „Freud und Einstein“, „Mussolini und Forzano“, „Mussolini als Literat“.

Dass Freud für Einsteins Forschung kein Interesse hatte und eventuell sogar Neidgefühle hegte, weil dem Physiker der Nobelpreis zuerkannt worden war, der ihm selbst verweigert blieb, trägt zum Verständnis der mutmaßlichen Verbindung „Freud und Mussolini“ nichts bei. Selbiges gilt für die Rekonstruktion des literarischen Größenwahns des Duce, den Forzano für eigene Karrierezwecke zu nutzen suchte. Auch das Kapitel über den unter deutschen Intellektuellen vor dem Zweiten Weltkrieg gepflegten „Mythos Mussolini“ vermag nichts zur Klärung des Verhältnisses „Freud und Mussolini“ beizutragen, es referiert zudem nur Erkenntnisse, die der Faschismusforscher Wolfgang Schieder in seiner gleichnamigen Studie ausführlicher und fundierter darlegt.

Ärgerliche Abschweifungen

Die anekdotischen Abschweifungen sind ärgerlich, weil Zapperi, immerhin ein erfahrener Autor zahlreicher biographischer und kulturanthropologischer Studien, durchaus eine Geschichte zu erzählen hat, nämlich die der italienischen Psychoanalyse im Spannungsverhältnis von faschistischem Regime und katholischer Kirche.

Die Italienische Psychoanalytische Vereinigung war im Sommer 1925 von dem Psychiater Marco Levi-Bianchini gegründet worden. Die Vereinigung konnte jedoch erst durch die Arbeit des von Zapperi in groben Zügen porträtierten Psychoanalytikers Edoardo Weiss zu Beginn der 1930er Jahre an Profil gewinnen.

Weiss’ Übersetzungen und Arbeiten für die von ihm gegründete „Rivista italiana di psicoanalisi“ stießen auf wütende Kritik sowohl seitens liberaler Intellektueller als auch katholischer Geistlicher. Vor allem die Ordensmänner, die den katholischen Universitäten in Rom vorstanden, der Jesuit Francesco Gaetano und der Franziskaner Agostino Gemelli, bekämpften die Psychoanalyse als gefährliches jüdisch-bolschewistisches „Schreckgespenst“.

Zapperi zeigt, dass ein faschistischer Intellektueller wie der Philosoph Giovanni Gentile sich durchaus für die Psychoanalyse interessieren konnte. Das Regime selbst jedoch suchte seit der Unterzeichnung der Lateranverträge im Februar 1929 jeden offenen Konflikt mit dem Vatikan zu vermeiden. Die zuständigen staatlichen Behörden kamen deshalb den antikommunistisch und antisemitisch motivierten Zensurforderungen der katholischen Kirche nach, lange bevor 1938 die italienischen Rassegesetze in Kraft traten und die kleine Gruppe der überwiegend aus jüdischen Familien stammenden italienischen Psychoanalytiker sich auflösen musste. Edoardo Weiss und sein enger Mitstreiter Emilio Servadio konnten sich in die Emigration retten.

Zapperi hätte sich auf die Geschichte des katholisch-faschistischen Schulterschlusses gegen die italienische Psychoanalyse konzentrieren und die jüdischen Pioniere der ersten Italienischen Psychoanalytischen Vereinigung genauer vorstellen sollen: allein die wenigen Kapitel, die sich dieser Thematik widmen, machen die Studie mit dem ebenso reißerischen wie irreführenden Titel „Freud und Mussolini“ lesenswert.

Roberto Zapperi: Freud und Mussolini. Aus dem Italienischen von Ingeborg Walter. Berenberg Verlag, 160 Seiten.

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