Großbritannien:
 Erfolg schafft Loyalität


Der Vorsitzende der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, gestaltet die Führung der Partei nach seinen Vorstellungen um und verweist seine Kritiker auf die Hinterbänke.

Jeremy Corbyn (links) auf dem diesjährigen Glastonbury-Festival, gemeinsam mit dem Farmer Michael Eavis, Gründer und Gastgeber von Großbritanniens größtem Musikevent. (Foto: WikipediaRock for power)

„Wir haben Jeremy Corbyn unterschätzt“, sagte kürzlich Nick Timothy, ehemaliger Berater und Stabschef der britischen Premierministerin Theresa May. Die Konservative Partei hat die Wahl Anfang Juni zwar gewonnen, verlor aber die absolute Mehrheit im Parlament. May hatte die Wahl zu einem Zeitpunkt angesetzt, als die Labour-Partei so zerstritten über ihre Führung war, dass ein Sieg der Konservativen sicher schien. Der Parteivorsitzende Jeremy Corbyn konnte aber letztlich fast 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler von Labour überzeugen. War er zuvor scharfer innerparteilicher Kritik ausgesetzt, hat sich seine Position mittlerweile gefestigt. Kritische Stimmen wurden leiser, und er wurde selbstsicherer in seinem Auftreten.

Während des Wahlkampfs sprach Corbyn vor allem junge, EU-freundliche Wählerinnen und Wähler an. Sein Auftritt beim Glastonbury-Festival, einem der größten und bekanntesten Musikfestivals des Landes, bei dem er sich zum Beispiel gegen Donald Trumps Mauerbaupläne aussprach, fand Zustimmung in dieser Zielgruppe. Mit seinem Versprechen, Studienschulden zu erlassen, machte er sich bei Studierenden beliebt.

Auch wenn er jetzt als großer Sieger der Wahl gefeiert wird, löst dies nicht die politischen Probleme der Labour-Partei. Vor und nach der Wahl bemühte Corbyn sich, es allen recht zu machen. Einerseits versprach er, Labour werde den Ausstieg aus der EU weiter betreiben, einschließlich eines Austritts aus dem EU-Binnenmarkt, andererseits wollte er ein Handelsabkommen abschließen, das im Prinzip einem solchen Binnenmarkt gleichkommt.

Trotzdem machten viele von Corbyns Kritikern innerhalb der Labour-Partei nach dem Wahlerfolg eine Kehrtwende und feiern ihn jetzt. Eine leichte Umbildung des Labour-Schattenkabinetts verdeutlichte dies. Beispielsweise ernannte Corbyn Owen Smith, seinen Rivalen im Rennen um die Parteiführung im vergangenen Jahr, nun zum Schattenminister für Nordirland. Es war Smith, der, zusammen mit Paul Murphy, Corbyns Rücktritt gefordert hatte, nachdem dieser im Juni vergangenen Jahres ein innerparteiliches Vertrauensvotum verloren hatte und das vom ehemaligen Labour-Vorsitzenden Ed Miliband (2010–2015) ernannte Schattenkabinett geschlossen in einen Streik getreten war. „Ich ziehe meinen Hut vor ihm“, sagte Smith, Abgeordneter für Pontypridd in Wales, nach Corbyns Wahlerfolg.

Die zentralen Posten waren nicht von der Umbildung betroffen. Corbyn belohnte seine treueren Anhänger für ihre kontinuierliche Unterstützung. Andrew Gwynne, Leiter der Labour-Wahlkampagne und besonders medientauglich, wurde für das Ressort Gemeinden und Regionalregierung ernannt. Dawn Butler war als Schattenministerin für Vielfältige Gemeinden zurückgetreten, da sie die Position ihrer Partei zum EU-Austritt nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte, kehrt jetzt allerdings zurück. Lesley Laird wird Schattenministerin für Schottland.

Diejenigen Labour-Abgeordneten, die an ihrer Kritik an Corbyn festhalten, haben zumindest an Einfluss verloren. Tom Watson wurde 2015 an der Seite von Corbyn zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Corbyn ernannte ihn damals zum Schattenminister für Kultur, Medien und Sport, zum „Labour Party Chair“, eine Leitungsfunktion, die meist vom stellvertretenden Parteivorsitzenden ausgeübt wird, sowie zum Minister für das Kabinettsamt – beides Titel, deren Verantwortung innerhalb des Schattenkabinetts nicht ganz klar ist.

Labours Chancen, nach der nächsten Wahl die Regierung zu stellen, sind gewachsen.

Watson wurde allerdings nie zu Corbyns Freund. Gerüchten zufolge soll sich sein Wahlkampfteam sehr kritisch gegenüber Corbyn geäußert und im Prinzip eine Wahlniederlage befürwortet haben. Watson gab seine Fehleinschätzung Corbyns in seiner Rede in der Wahlnacht zwar zu. Trotzdem nutzte Corbyn die Gelegenheit, Watson seinen Posten als „Labour Party Chair“ abzuerkennen und diesen an Ian Lavery zu geben, einen ehemaligen Bergarbeiter. Er belohnte damit einen seiner lautstarken Unterstützer.

Labours Chancen, nach der nächsten Wahl die Regierung zu stellen, sind gewachsen. Corbyn sprach optimistisch davon, dass es eventuell noch in diesem Jahr Neuwahlen geben könnte, da die Konservativen unter Theresa May kein klares Regierungsmandat mehr hätten. Er schärfte seiner Partei ein, im Modus eines permanenten Wahlkampfs zu bleiben und Einheit zu zeigen. Zudem kündigte er an, in nächster Zukunft die Wahlkreise zu besuchen, die zuletzt an die Konservativen gingen und deren Stimmen Labour zum Wahlsieg braucht.

Corbyns neugewonnene Selbstsicherheit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung nach dem Wahlerfolg entging auch seinen ehemaligen Kritikern nicht. Nach der Kabinettsumbildung äußerten mehrere ehemalige Mitglieder, dass sie zu einer Rückkehr in ein Kabinett unter Führung des Parteivorsitzenden bereit seien. Doch es wird kein Platz mehr für sie übrig sein. Im Falle eines Wahlsieges von Labour, würden Corbyns loyalste Anhänger das Land regieren.

Jeremy Corbyn hat sich als Parteivorsitzender immer mit loyalen Anhängern umgeben und verteidigte diese auch gegen jegliche Kritik. Bestes Beispiel ist Ken Livingstone, der vor zwei Jahren nach wiederholten judenfeindlichen Äußerungen in einen Skandal verwickelt war, der mit einer Suspendierung seiner Parteimitgliedschaft und einer Ausschlussdrohung endete. Corbyn kritisierte dessen Äußerungen, hielt aber an der Freundschaft zu Livingstone fest.

Doerte Letzmann ist freie Autorin und lebt in Cambridge.

 


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