Hongkong: Wunsch und Wirklichkeit

Die Proteste in Hongkong erregen weltweit Aufmerksamkeit. Internationale Unterstützung wird der Bewegung allerdings kaum helfen. Auch ein geplantes US-Gesetz, das Sanktionen gegen China erlaubt, ist nicht nur der Freiheitsliebe geschuldet.

Mit Schirm und Sprühdose: Proteste gegen das Vermummungsverbot am 6. Oktober in Hongkong. (Foto: EPA-EFE/Miguel Candela)

Die Behörden hatten Demonstrationen am chinesischen Nationalfeiertag in Hongkong eigentlich verboten. Während die Partei- und Staatsführung am Dienstag voriger Woche mit großem Pomp und Militärparaden den 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik feierte, protestierten in Hongkong erneut Zehntausende Menschen gegen den Einfluss Chinas auf die Sonderverwaltungszone. Tausende Polizisten waren mit Tränengas, Gummigeschossen und Wasserwerfern gegen die Demonstrierenden im Einsatz. Einige der Protestierenden warfen Brandsätze, Steine und andere Gegenstände. Zum ersten Mal während der anhaltenden Proteste schoss ein Polizist, er traf einen Demonstranten in die Brust, dieser überlebte. Zahlreiche Menschen wurden im Zuge von Ausschreitungen verletzt.

Am Freitag voriger Woche wurde in Hongkong ein Vermummungsverbot verhängt, das ließ die Proteste erneut eskalieren. Dutzende Menschen wurden wegen des Verstoßes gegen das Verbot festgenommen. Am Wochenende legten Protestierende Feuer in U-Bahnstationen und verwüs-teten Geschäfte. Am Dienstag sagte Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam bei einer Pressekonferenz, die chinesische Armee könne eingesetzt werden, sollte die Lage schlimmer werden.

Die Proteste in Hongkong sorgen seit Monaten international für Aufsehen. Die Kongressausschüsse in den USA haben vorvergangene Woche den „Hong Kong Human Rights and Democracy Act“ gebilligt, einen Gesetzentwurf, für dessen Verabschiedung in Hongkong am 8. September Zehntausende demonstrierten. Im Lauf des Oktobers soll im Kongress darüber abgestimmt werden, erforderlich ist zudem die Zustimmung von US-Präsident Donald Trump.

Der Gesetzentwurf soll den „United States-Hong Kong Policy Act“ von 1992 ergänzen, der es erlaubt, Hongkong in den meisten wirtschaftlichen Angelegenheiten nicht als Teil der Volksrepublik China zu behandeln. Das neue Gesetz soll die US-Regierung unter anderem dazu befugen, Sanktionen gegen chinesische Beamte zu verhängen, wenn diese Hongkongs Autonomie sowie „zivile Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit“ nicht wahren.

Obwohl der Entwurf in den USA von republikanischen und demokratischen Politikern unterstützt wird, ist seine Verabschiedung keineswegs sicher. Zudem sind die Formulierungen vage gehalten; so bleibt offen, welche konkreten Folgen Verstöße Chinas hätten. Die US-Regierung sieht das Gesetz zweifellos als Werkzeug in ihrem Handelskonflikt mit China und sorgt sich vermutlich weniger um die Belange der Bevölkerung Hongkongs.

Der Gesetzentwurf ist dennoch ein weiterer öffentlichkeitswirksamer Erfolg für die sogenannte Demokratie- und Autonomiebewegung in Hongkong, da er ihrem hohen Stellenwert in der globalen Medienberichterstattung Rechnung trägt und hilft, die Stadt als Ort eines weltgeschichtlichen Kampfs für Freiheit und gegen Tyrannei darzustellen. Weit verbreitet sind die Bilder von Protestierenden in Hongkong, die britische und US-amerikanische Flaggen schwenken, während chinesische Flaggen zerstört werden und militante Demonstrierende Brandsätze auf Polizisten werfen.

Bereits seit Beginn der Proteste prangert China die ausländische Einmischung in Hongkongs Angelegenheiten an.

Der Gesetzentwurf ist aber auch von einem gewissen Nutzen für das System der Volksrepublik China. Diese prangert seit Beginn der Proteste im Juni – inmitten des Handelskonflikts mit der US-Regierung – die ausländische Einmischung in Hongkongs Angelegenheiten an. Nicht ganz so deutlich hatte sie das auch 2014 während der Proteste der „Occupy“-Bewegung in Hongkong getan. Die ausdrücklichen Appelle und Petitionen für eine US-amerikanische Unterstützung, einschließlich des Gesetzes, bestätigen mit der Einflussnahme eine Behauptung der nationalistischen chinesischen Propaganda, die Demokratie ohnehin als eine heuchlerische, chaotische und widerwärtige Form von Politik darstellt.

Die prowestliche Symbolik der Protestbewegung ist eine bewusste Provokation. Von den USA viel zu erwarten, ist allerdings illusorisch. Zwar gibt es Menschen, die sich eine Intervention der USA oder anderer ausländischer Mächte wünschen – und noch viele andere mehr, die in der Volksrepublik China das schlimmste Übel der Welt sehen –, doch gibt es keine Aussicht auf ein solches Eingreifen in Hongkong im Namen der Freiheit. Die westlichen Staaten haben weder die Absicht noch die Mittel dazu.

Die Auseinandersetzungen in Hongkong sollten auch nicht als ein Konflikt angesehen werden, in dem man entweder China vor dem westlichen Imperialismus verteidigen oder aber dabei helfen muss, die unterdrückten Bürger Hongkongs zu retten. In diesem Konflikt stehen sich vielmehr die Protestbewegung Hongkongs und die Regierung Chinas gegenüber, er kann nur in diesem Rahmen gelöst werden. Die US-Regierung sieht den Konflikt im Kontext der Bemühungen, den Aufstieg des Konkurrenten China zu bremsen; viele Demokraten in Hongkong wollen auch die Einparteiregierung auf dem Festland beenden, was ein frommer Wunsch bleiben dürfte.

Was wird passieren? Auf kurze Sicht wahrscheinlich nichts. Die Provokationen der Protestbewegung – insbesondere des gewaltbereiten Teils, der die Berichterstattung mittlerweile dominiert – scheinen darauf ausgerichtet zu sein, die chinesische Regierung dazu herauszufordern, zu intervenieren, das Kriegsrecht zu verhängen und die Krise gewaltsam zu beenden. Dies würde entweder zu einer Revolution oder zum Ende der Autonomie Hongkongs führen. Ein Erfolg eines Massenaufstands ist höchst unwahrscheinlich, ein Ende der Autonomie würde die Verhältnisse in Hongkong denen in Festlandchina angleichen. Aber es scheint keine andere schlüssige Erklärung zu geben für die Haltung des militanten Teils der Protestbewegung, der leidenschaftlichen Hongkonger Lokalpatrioten und jener, die den Zuzug vom Festland ablehnen. Vielleicht hegen die Militanten die illusorische Hoffnung, dass Hongkong völlige Autonomie oder eine de facto-Unabhängigkeit gewährt werden könnte.

Doch glücklicherweise ist eine direkte, gewaltsame Intervention unwahrscheinlich. Die chinesische Regierung hätte davon wenig, die Bemühungen um eine Integration Hongkongs würden möglicherweise noch weiter zurückgeworfen.

Die Regierung der Volksrepublik China und die Hongkongs unter Carrie Lam scheinen fest entschlossen zu sein, nichts zu unternehmen und die Bewegung langsam abflauen zu lassen; eine solche Entwicklung ist bei jeder Protestbewegung zu erwarten. Tatsächlich ist die Beteiligung an den Massenprotesten bereits zurückgegangen, nicht allerdings die Zahl der militanten und gewalttätigen Aktionen; auch das Vorgehen der Polizei ist gewalttätiger geworden. Viele Einwohner Hongkongs empört es, dass die Protestierenden die Einrichtung von Nahverkehrsbahnhöfen zerstören, zudem haben die Demonstrationen negative wirtschaftliche Folgen.

Die chinesische Regierung kann es sich mittlerweile leisten, Hongkong in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht schwächer werden oder stagnieren zu lassen. Sie möchte möglicherweise auch die Rolle der Stadt als Verteilzentrum für ausländisches Kapital vom und zum Festland beenden, dies ist allerdings ein schwieriger und langwieriger Prozess. Hongkong bleibt auf jeden Fall abhängig von in Peking getroffenen wirtschaftlichen Entscheidungen.

Die Strategie der chinesischen Regierung steht im Einklang mit gewissen traditionellen Gepflogenheiten, etwas zu bewirken, indem man nichts tut und sich weigert zu handeln. Aber es wäre ein schwerwiegender Fehler anzunehmen, die Weigerung, eine Entscheidung zu erzwingen, wäre ein Sieg der Demokratie oder würde der Protestbewegung Zeit verschaffen, Fortschritte zu bewirken. Hongkong prosperiert nicht mehr und die soziale Ungleichheit wird immer größer, auch wenn die Protestbewegung in den sozialen Medien gefeiert wird. Das einzige Mittel gegen die Krise in Hongkong sind politische und soziale Reformen, die vorläufig aber nicht zu erwarten sind.

Daniel F. Vukovich ist Sozialwissenschaftler und lehrt an der Universität Hongkong.

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