Italien
: Der Spuk der neuen Zeit


Neuer Bürgermeister von Neapel, neuer Hoffnungsträger der Linken? Der ehemalige Anti-Mafia-Staatsanwalt Luigi de Magistris soll nach dem Willen Vieler eine „linke Volksbewegung“ zusammenbringen. (Foto: Internet)

Neuer Bürgermeister von Neapel, neuer Hoffnungsträger der Linken? Der ehemalige Anti-Mafia-Staatsanwalt Luigi de Magistris soll nach dem Willen Vieler eine „linke Volksbewegung“ zusammenbringen. (Foto: Internet)

Mit Ressentiments und markigen Sprüchen hat der rechtsorientierte „Movimento 5 Stelle“ bei den Kommunalwahlen in Rom und Turin triumphiert. Lokalen Charakter sollte der Urnengang haben, doch nun ist er unversehens zu einem Testlauf für die anstehende Verfassungsreform avanciert.

Für den „Movimento 5 Stelle“ (M5S) war es eine Nacht der Superlative. Schon die ersten Hochrechnungen zur zweiten Runde der Kommunalwahlen vom Sontag ließen keinen Zweifel am Triumph seiner Kandidatinnen. Virginia Raggi war der Sieg zwar prognostiziert worden, doch übertraf ihr Ergebnis alle Erwartungen. Mit einer überwältigenden Mehrheit von knapp 70 Prozent wurde sie zur ersten Bürgermeisterin Roms gewählt. Die 37-Jährige ist damit die jüngste Amtsträgerin in der Geschichte der italienischen Hauptstadt.

Überraschender war das Ergebnis der noch jüngeren M5S-Kandidatin in Turin. Die 32-jährige Chiara Appendino deklassierte ihren Konkurrenten vom Partito Democratico (PD), nachdem die Linksliberalen in der Stadt mehr als zwanzig Jahre regiert hatten. Beppe Grillo, der die Fünf Sterne 2009 gemeinsam mit dem im Frühjahr verstorbenen Web-Unternehmer Gianroberto Casaleggio als internetbasierte Protestbewegung ins Leben gerufen hat, feierte den bisher größten Erfolg mit einer für den Komiker typischen Pantomime am Fenster der römischen Wahlzentrale. In seinem Blog spuckte er dagegen große Töne und versprach, der „historische“ Sieg sei nur der Anfang einer neuen Zeit, in der alles ganz anders würde.

Dass in Italien Emanzipation an der Anzahl weiblicher Gesichter in der Politik bemessen werden kann und bloße Verjüngung schon als gesellschaftliche Veränderung gilt, verdankt sich der erprobten Rhetorik des Wahlverlierers. Matteo Renzi war als jüngster Ministerpräsident Italiens angetreten, die Altherrenriege der Demokratischen Partei zu „verschrotten“ und die alten Strukturen des Staatsapparats aufzubrechen. Nur zwei Jahre später werden seine Floskeln vom politischen Gegner adaptiert, vergangenes Wochenende musste sich die Regierungspartei in den Stichwahlen in 19 von 20 Kommunen den jüngeren Neuzugängen des M5S geschlagen geben. Das Ausmaß und die nationale Bedeutung des Wahldebakels lassen sich auch durch die Siege der PD-Kandidaten in Mailand und Bologna nicht mehr kleinreden.

Mit seinem egomanischen Führungsstil hat der eben noch als „Retter der Nation“ Gefeierte nicht nur die Anhängerschaft der eigenen Partei desillusioniert. Sowohl Renzis Anspruch, die Demokratische Partei zu einer nach rechts offenen „Partei der Nation“ umzubauen, als auch die geplante Verfassungsreform und das dazugehörige neue Wahlgesetz mit dem staatstragenden Namen „Italicum“ stehen in der Kritik. Mit der geplanten Entmachtung des Senats zu einer Regionalkammer von rein repräsentativem Charakter soll vorgeblich die Gesetzgebung „vereinfacht“ werden, de facto werden parlamentarische Kontrollmechanismen abgeschafft. Gestärkt würde durch die Reform die jeweilige Regierung, deren Fraktion im Parlament dank eines überproportionalen Stimmenbonus für den Wahlsieger auf eine sichere Mehrheit zählen könnte.

Obwohl Renzi sich bemüht hatte, den lokalen Charakter der Kommunalwahlen zu betonen, war der Wahlkampf von Auseinandersetzungen um die geplante Umstrukturierung der höchsten staatlichen Institutionen geprägt. Aus den Stadtwahlen war unvermittelt ein Testlauf für das für Oktober angekündigte Referendum über die Verfassungsreform geworden.

Der Movimento 5 Stelle hat sich infolge der Selbstauflösung der ehemals klar definierten Lager als dritte politische Kraft konsolidiert.

Einige parteiinterne Gegnerinnen und Gegner der Verfassungsänderung sowie linke Gruppierungen, die im ersten Wahlgang kaum die Fünf-Prozent-Marke erreicht hatten, kommentierten das schlechte Abschneiden der PD-Kandidaten mit offener Genugtuung. Doch die Niederlage bei den Kommunalwahlen stellt Renzis Prestigeprojekt nur in Frage, sie besiegelt noch längst nicht sein Scheitern. Für all jene, die sich nicht dem Motto verschreiben wollen, wonach der Feind des Feindes zum Freund wird, besteht kein Anlass zur Freude.

(Foto: Internet)

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Der Movimento 5 Stelle hat sich infolge der Selbstauflösung der ehemals klar definierten Mittel-Links- und Mitte-Rechts-Lager nicht nur als dritte politische Kraft konsolidiert, er hat mit den Siegen in Rom und Turin auch seinen nationalen Führungsanspruch angemeldet. Von Grillo und Casaleggio als postideologische Marke eingeführt, tritt der M5S weiterhin mit dem Slogan auf, weder rechte noch linke, sondern nur die vermeintlich guten Ideen des gesunden Menschenverstands zu vertreten.

Tatsächlich verdankt die Bewegung ihre Wahlerfolge seit jeher weniger dem Zulauf enttäuschter Linker, sondern der Propaganda rechtspopulistischer Ressentiments. Mit einer Unterschriftenkampagne gegen den Euro oder einer offenen Sympathiebekundung für Nigel Farage, den Vorsitzenden der englischen Rechtspartei Ukip, positionierte sich Grillo in den vergangenen Jahren wiederholt explizit in der Nähe neofaschistischer Gruppierungen. Gelegentlich wurden rechte Vorurteile auch subtiler bedient, so etwa im Frühjahr als die M5S-Führung verhinderte, dass mit den Stimmen von M5S-Abgeordneten ein Gesetz verabschiedet werden konnte, dass gleichgeschlechtlichen Paaren die Stiefkindadoption ermöglicht hätte.

Dass sich die jungen Bürgermeisterinnen qua Amtsmacht eine größere Unabhängigkeit von der M5S-Machtzentrale bewahren oder die einzelnen M5S-Mitglieder nach dem Tod von Casaleggio mehr Handlungsmacht bekommen könnten, ist kaum zu erwarten. Auch Casaleggio junior, der die Geschäfte seines Vaters weiterführt, kennt den Marktwert rechter Parolen. Außerdem mussten die M5S-Kandidatinnen und Kandidaten im Vorfeld der Kommunalwahl einen „Verhaltenskodex“ unterzeichnen, mit dem sie unter Androhung erheblicher finanzieller Sanktionen auf die Einhaltung des von der Führungsspitze ausgegebenen Programms verpflichtet werden. Mit dem sogenannten „Treuevertrag“ wird nicht nur die propagierte Basisdemokratie, sondern auch die in der italienischen Verfassung festgeschriebene Mandatsfreiheit unterlaufen.

Angesichts der rechtspopulistischen Ausrichtung des „Movimento 5 Stelle“ war es kaum überraschend, dass die Stimmen, die im ersten Wahlgang an die rechten Parteien gegangen waren, in der Stichwahl größtenteils an die M5S-Kandidatinnen übergingen. Matteo Salvini, der Parteivorsitzende der rechtsextremen Lega Nord, hatte ausdrücklich zur Wahl von Raggi und Appendino aufgerufen. Diese Unterstützung war keineswegs nur der Absicht geschuldet, zur Niederlage von Renzis Kandidaten beizutragen.

Die neue römische Bürgermeisterin hat als junge Anwältin nachweislich für Unternehmen aus dem rechten Hauptstadtmilieu gearbeitet. Ihre aus den beruflichen Erfahrungen entstandenen Verbindungen mögen erklären, warum Raggi im Wahlkampf auffällig einseitig die Verstrickung der Linksdemokraten in den römischen Korruptionsskandal „Mafia Capitale“ anprangerte, weit weniger die mafiösen Machenschaften der postfaschistischen Stadtverwaltung unter Gianni Alemanno. Bezüglich der Räumung von Roma-Siedlungen und des Kampfes gegen mutmaßlich illegale centri sociali vertritt Raggi erkennbar rechte Positionen, allerdings immer freundlich lächelnd, ohne je in den chauvinistischen Tonfall Salvinis zu verfallen.

Sowohl die linke Minderheit innerhalb der Demokratischen Partei als auch die fragmentierte Linke außerhalb des PD sollte also nicht darauf spekulieren, dass sich der M5S dank der neuen Protagonistinnen zu einer linken Bündnisoption entwickelt. Um weitere, durch das neue Wahlgesetz auch auf nationaler Ebene naheliegende Kurzschlüsse zwischen dem „Movimento 5 Stelle“ und rechten bzw. rechtsextremen Parteien zu verhindern, wird es darauf ankommen, trotz aller Enttäuschungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten nach neuen Formen von Mitte-Links-Bündnissen zu suchen. Doch noch herrscht unter den Linken Uneinigkeit, ob entsprechende Bündnisse gegen die Demokratische Partei oder nur gegen ihren aktuellen Vorsitzenden gebildet werden sollten.

In Mailand gelang in der Stichwahl ein Sieg gegen die Rechte trotz eines PD-Kandidaten. Zwar hatte auch Renzi den ehemaligen Expo-Chef Giuseppe Sala als Spitzenkandidaten unterstützt, doch wahrte dieser im Wahlkampf seine Unabhängigkeit und suchte in Abgrenzung zur Parteidoktrin nicht die Koalition mit der konservativen Mitte, sondern mit linken und laizistischen Gruppierungen.

In Neapel haben sich linke wie rechte Parteien durch eine jahrzehntelange Misswirtschaft gleichermaßen kompromittiert. Deshalb nährt in der Hafenmetropole die Wiederwahl des parteiunabhängigen, ehemaligen Anti-Mafia-Staatsanwalts Luigi de Magistris die Hoffnung auf die Entstehung jener „roten Sache“, von der seit dem Niedergang der Kommunistischen Partei alle träumen: eine neue linke Volksbewegung, in der das aufgeklärte Bürgertum und die radikale Linke dauerhaft zusammenfinden.

Unter dem Label „Democrazia autonoma“ hat de Magistris sein Wahlbündnis ausdrücklich in linker Opposition zu Renzis Demokratischer Partei formiert. Obwohl seine folkloristische Selbstinszenierung als Anführer eines Volksaufstandes in bester neapolitanischer Tradition bisweilen selbstherrliche Züge annimmt, die der Egomanie eines Renzi oder Grillo kaum nachstehen dürfte, hoffen nicht wenige Linke, dass die von ihm proklamierte „Rebellion des Südens“ mit Blick auf das Referendum zur Verfassungsreform bis zum Herbst das ganze Land erfassen wird.

Catrin Dingler arbeitet als freie Publizistin und lebt zwischen Stuttgart und Rom.

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