LGBT in Tunesien
: „Der Staat schweigt dazu“

Ahmed ben Amor von der LGBT-Organisation Shams über Gewalt gegen Homosexuelle in Tunesien.

(Foto: shams/flickr)

(Foto: shams/flickr)

Was ist Shams, wie arbeiten Sie?


Wir wollen, dass in der Familie und im Privaten offen über Homosexualität gesprochen wird, ohne Tabu. Wir verfolgen eine Politik des Schocks. Tunesien versucht, sich international als das einzige Land des „arabischen Frühlings“ darzustellen, das sich in dessen Folge erfolgreich demokratisiert hat. Wir zeigen die andere Seite Tunesiens, wo man Homosexuelle ins Gefängnis steckt und sich nicht an die eigene Verfassung hält. Denn der Artikel 230 des Strafgesetzbuchs, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellt, widerspricht unserer Meinung nach klar der Verfassung. Diese Widersprüche publik zu machen, hat uns wirklich dabei geholfen, Druck aufzubauen. Zum Beispiel in einem Fall von Ende vorigen Jahres, als sechs junge Tunesier aus Kairouan wegen homosexueller Handlungen zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurden, der Höchststrafe. Nach einem Monat wurden sie wieder freigelassen – das war nur möglich durch den Druck, den wir aufbauen konnten.

Aber Shams hatte auch Probleme mit der Regierung.


Ja. Im Januar hatte die Regierung versucht, Shams zu verbieten, mit Mitteln, die nicht rechtens waren. Shams wurde dann für 30 Tage „suspendiert“, durfte also nicht arbeiten. Wir haben gegen diese Entscheidung geklagt und gewonnen, was heißt, dass Shams absolut legal ist und das Recht hat, als Verein zu arbeiten. Jetzt gibt es Schwierigkeiten, ein Bankkonto zu eröffnen. Wir haben alle nötigen Papiere und gehen damit zu einer Bank, um das Konto zu eröffnen. Der Antrag wird immer abgelehnt, oft ohne Begründung. Das ist nichts anderes als Diskriminierung und Druck von Seiten des Staates. Wir hoffen auf Gegendruck von der Zivilgesellschaft und den Botschaften, damit Shams endlich ein Bankkonto eröffnen kann, so wie es alle anderen Vereine und NGOs in Tunesien auch können.

Welche Bilanz ziehen Sie aus den vergangenen Monaten?


Ich habe das Gefühl, dass wir innerhalb eines Jahres erreicht haben, was manche in zehn Jahren militanter Politik nicht geschafft haben. Selbst im Parlament wurde schon über uns gesprochen, als zur Debatte stand, ob man Shams verbieten kann. Ich denke, die Zukunft wird einen anstrengenden, aber hoffentlich gewinnbringenden Kampf für die LGBT-Community bringen.

Sie waren vor ein paar Wochen als Gast in der Fernsehsendung „Klem Ennes“ des Senders El Hiwar Ettounsi waren Angriffen ausgesetzt. Wie lief das ab?


Man hatte mich gefragt, ob ich nicht bereit wäre, als Gast der Sendung zu den homophoben Äußerungen des Schauspielers Ahmed Landolsi Stellung zu nehmen, der die Woche zuvor dort aufgetreten war. Als ich dann dort war, fand ich mich in einer Situation wieder, die geprägt war von einem homophoben Klima. Außer mir waren dort ein Popsänger, zwei Schauspieler aus einem Film, der gerade anläuft, ein Imam und ein Politiker, des Weiteren die zwei Regisseure und die Moderatoren der Sendung. Sie sagten, dass Tunesien nicht dazu verpflichtet sei, die Rechte von Minderheiten zu schützen. Tunesien habe nie die internationale Menschenrechts-Charta unterzeichnet. Die anderen Gäste machten einfach Propaganda, einer behauptete sogar, dass Homosexualität eine Krankheit sei. Der Imam hat seine religiösen Argumente dazu vorgebracht, Homosexualität pauschal verurteilt und die LGBT-Community verbal angegriffen. Die Moderatoren der Sendung heizten die Konversation weiter an und ließen sie aus dem Ruder laufen, sie waren absolut nicht objektiv. Auch der Sänger gab homophobe und sexistische Äußerungen von sich. Man muss dazu sagen, dass die Meinung der tunesischen Bevölkerung stark durch das Fernsehen beeinflusst wird, und dessen waren sich die Beteiligten natürlich bewusst.

Was ist nach der Sendung passiert?


Ich habe sofort Drohungen erhalten. Ich kann mich jetzt nicht mehr frei auf der Straße bewegen. Ich fühle mich ernsthaft bedroht. Mitarbeiter des Innenministeriums haben mir bestätigt, dass ich auf einer Liste zu finden bin, die alle mit dem Tode bedrohten Tunesier erfasst. Sie haben auch gesagt, dass sie mir keinen Polizeischutz zur Verfügung stellen werden. Außerdem läuft gerade in den sozialen Medien eine Kampagne, die Homophobie propagiert. Etwa zehn Geschäfte und Restaurants in Tunis haben sich einen Zettel in die Fenster gehängt, auf dem „Zutritt für Homosexuelle verboten“ zu lesen ist. Selbst ein Taxifahrer hat sich einen dieser Sticker an die Rückscheibe seines Taxis geklebt. Auf Facebook gab es einige Aufrufe zur Gewalt gegen mich. Und der Staat schweigt dazu.

Wie gehen Sie damit um?


Ich verstecke mich derzeit bei Freunden. Alle paar Tage wechsele ich die Adresse. Auf der Straße erkennen mich die Leute jetzt. Wegen der ganzen Drohungen und des Stillschweigens von Seiten des Staats bin ich sehr eingeschüchtert. Dem Staat ist das Leben seiner Bürger anscheinend scheißegal. Das hinterlässt bei mir seine Spuren. Ich kann schlecht schlafen. Ich habe Panikattacken und werde langsam paranoid, auch durch den Schlafmangel.

Was wollen Sie jetzt machen?


Ich werde auf alle Fälle weiterkämpfen. Ich muss mich jetzt eben eine Weile lang verstecken. Ich will, dass der tunesische Staat meine Bürgerrechte anerkennt und meine Sicherheit gewährleistet. Ich will mich hier weiter heimisch fühlen können. Das ist alles, was ich fordere.

Ihr Freund Hedi Sahli musste bereits das Land verlassen.


Ja. Der erste stellvertretende Vorsitzende von Shams musste das Land verlassen, weil er Todesdrohungen erhalten hatte. Er wurde öfter angerufen, in sein Haus wurde eingebrochen und in sein Auto an der Universität auch. Und dann hat er zu Hause eines seiner T-Shirts gefunden, das in Blut getränkt war. Das war natürlich eine Botschaft an ihn. Er wurde tagelang belästigt und angegriffen. Er konnte kein normales Leben mehr führen, nicht mehr unbeschwert auf der Straße laufen und nicht zur Universität gehen. Als er Anzeige erstatten wollte, wurde diese nicht angenommen, sondern die Polizei begegnete ihm mit Homophobie. Gerade so, als sei er kein tunesischer Bürger. Daher hat er sich nicht mehr sicher in seiner Heimat gefühlt. Er ist jetzt in Brüssel im Exil.

Glauben Sie, Asyl wäre eine Lösung für Fälle wie diesen?


Asyl wäre eine Lösung für manche Betroffene. Ihre Familie hat mit ihnen gebrochen und sie finden keine Arbeit. Sie werden auf der Straße angegriffen, egal, ob es sich um homosexuelle Männer oder Frauen handelt oder um Transsexuelle. Es gibt für sie einfach keine Möglichkeit, in Tunesien ein normales Leben zu führen. Die große Mehrheit der tunesischen LGBT hat diese Probleme allerdings nicht, weil sie sehr diskret agieren, durch ihre gesellschaftliche Stellung geschützt sind oder von ihrer Familie akzeptiert und in Schutz genommen werden.

Was sind Ihre weiteren Pläne?


Wir bekommen täglich Nachrichten, dass jemand aufgrund seiner Sexualität verbal oder tätlich angegriffen wurde. Wir wollen diese Daten aufbereiten, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Derzeit haben wir aber keine Möglichkeit, das zu finanzieren, denn wir sind auf Spenden angewiesen, und es gibt hier nicht viele Leute, die in unsere Sache investieren möchten. Hinzu kommen eben die Probleme mit dem Konto. Ein anderes Projekt, das wir sehr gerne realisieren würden, ist ein Refugium für junge LGBT, die keine Zukunftsperspektiven haben, da sie von ihrem sozialen Umfeld und der Gesellschaft ausgeschlossen, von ihrer Familie verstoßen und vom Staat bestraft werden. Sie können sonst nur auf der Straße leben. Wie möchten ihnen eine Unterkunft und psychologische Betreuung finanzieren können. Das wird unser wichtigstes und größtes Projekt für die Zukunft.


(Foto: Twitter)

(Foto: Twitter)

Ahmed ben Amor ist einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Organisation Shams – „Für die Entkriminalisierung von Homosexualität in Tunesien“. Die Organisation versucht, Themen, die Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle (LGBT) betreffen, öffentlich zu diskutieren, und hat damit Erfolg. Dennoch stehen homosexuelle Handlungen nach tunesischem Recht weiterhin unter Strafe, es drohen bis zu drei Jahre Gefängnis.


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