Polen: Studieren unter Rechten

An der Privatuniversität Collegium Intermarium in Warschau soll ab dem Wintersemester die neue rechte Elite ausgebildet werden. Die Universität inszeniert sich als Bollwerk gegen „Cancel Culture“ und „Political Correctness“.

Das PAST-Hochhaus, hier im August 2009, war nach seiner Fertigstellung 1910 zeitweise das höchste Bürogebäude Europas. Es gilt wegen der darum 1939 erbittert geführten Kämpfe mit den deutschen Truppen als Symbol des polnischen Befreiungskampfes. Im August 2003 wurde die Kotwica, das Emblem des polnischen Widerstandes, auf dem Dach installiert. (Foto: Marcin Bialek CC BY-SA 4.0)

Während des Warschauer Aufstands 1944 gelang es dem polnischen Widerstand, das PAST-Gebäude zu erobern. Das Kürzel steht für die Telefongesellschaft Polska Akcyjna Spolka Telefoniczna, die dort, im ältesten Hochhaus der Stadt, viele Jahre ihren Sitz hatte. Heute prangt am Dach des Gebäudes ein gewaltiger goldener Anker, die Kotwica, als Symbol des Untergrundkampfs gegen die deutsche Besatzung. In den vergangenen Jahren wurde der symbolträchtige Bau, der von einer Veteranenorganisation der polnischen Heimatarmee verwaltet wird, zu einer beliebten Adresse der polnischen Rechten. Rechtsextreme Radio- und Fernsehkanäle haben hier genauso ihren Sitz wie ein staatlich finanziertes Institut zur Bekämpfung von „Antipolonismus“ und die rechtskatholische Stiftung Ordo Iuris.

Neben Verschwörungspropaganda und Kampagnenarbeit für noch schärfere Abtreibungsregelungen soll im PAST-Gebäude demnächst nun auch eine neue rechte Elite ausgebildet werden. Die neugegründete Privathochschule Collegium Intermarium wird dort zum kommenden Wintersemester den Lehrbetrieb aufnehmen und Studierende in verschiedenen Zweigen der Rechtswissenschaft sowie verschiedenen Modulen wie unter anderem Rechtsgeschichte und Philosophie unterrichten; die Master-Absolventen sollen dann bestens auf die politische Praxis vorbereitet sein.

Die neue Hochschule ist eng mit dem rechtskatholischen Hausnachbarn Ordo Iuris verbunden. Der Rektor des Collegium Intermarium, der Jurist Tymoteusz Zych, ist zugleich stellvertretender Vorsitzender der Stiftung, die Teil eines globalen ultrakatholischen Netzwerks ist. Seit ihrer Gründung 2013 hat die Lobbyorganisation in Polen ihren politischen und gesellschaftlichen Einfluss stetig ausgebaut. Unter der Regierung der nationalistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwosc, PiS) konnte sie Verbindungen zu höchsten staatlichen Stellen knüpfen. Auch das Collegium Intermarium macht aus seiner Nähe zur PiS keinen Hehl, wie die Gastvorträge von Kulturminister Piotr Glinski und Bildungsminister Przemyslaw Czarnek auf der Eröffnungskonferenz am 28. Mai zeigen.

Ordo Iuris ist in erster Linie ein Anwaltsclub, der sein erzkonservatives Programm mit Hilfe von Gesetzesprojekten und Klagen gegen politische Gegnerinnen und Gegner verfolgt, was auch den Schwerpunkt des Collegiums auf die juristische Ausbildung erklären dürfte. Dass ein Aufbaustudiengang mit der Bezeichnung „Familienpolitik in der Selbstverwaltung“ explizit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Gemeindeämtern vorgesehen ist, passt wiederum zur lokalpolitischen Orientierung von Ordo Iuris. Mit der Ausarbeitung einer kommunalen „Familienrechtscharta“ war die Stiftung mitverantwortlich für einen Teil jener Beschlüsse, mit denen sich polnische Städte, Kreise und Verwaltungsbezirke in den vergangenen Jahren zu „LGBT-Ideologie-freien“ Zonen erklärten. Die Eröffnung des Collegium Intermarium kann als eine weitere Maßnahme verstanden werden, mit der die katholische extreme Rechte in Polen ihren Einfluss festigt.

Der Anspruch der Institution geht aber über Polen hinaus. Sie ist nach der in der Zwischenkriegszeit vom damaligen Staatschef Jozef Pilsudski entwickelten Großraumidee einer Allianz von Ländern zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee benannt. Heutzutage zielt das Konzept auf ein ostmitteleuropäisches Gegengewicht zum deutsch-französisch dominierten „Kerneuropa“, aber auch zu russischen Einflussbestrebungen.

Das Konzept zielt auf ein ostmitteleuropäisches Gegengewicht zum deutsch-französisch dominierten „Kerneuropa“, aber auch zu russischen Einflussbestrebungen.

Das Collegium Intermarium soll Personal ausbilden, das „Politik, Recht und Identität Mitteleuropas“ prägen werde, wie es in einer Erklärung heißt. Neben dem Ansinnen, gut vernetzte Führungskader auszubilden, finden sich beim Collegium auch die typischen Positionen des von Rechten weltweit postulierten Kulturkriegs, bei dem nicht weniger als die westliche Zivilisation auf dem Spiel stehe und der nicht zuletzt mit besonderer Verve auf dem akademischen Feld inszeniert wird.

Einen plastischen Eindruck davon vermittelte die erwähnte Konferenz Ende Mai. Neben Regierungsvertretern referierten dort auch zahlreiche internationale Gäste, darunter der frühere tschechische Präsident Vaclav Klaus und der Vorsitzende des ungarischen Verfassungsgerichts, Tamas Sulyok. Nicht wenige der Konferenzteilnehmenden werden dem Collegium künftig auch als Dozierende verbunden bleiben. So zum Beispiel der ehemalige Rektor der Budapester Corvinus-Universität, Andras Lanczi, der als geistiger Vater des Systems von Ministerpräsident Viktor Orban gilt, und der US-amerikanische Politologe und „Vaterrechtler“ Stephen Baskerville.

Aus Deutschland war der Oldenburger Althistoriker Michael Sommer per Videoübertragung zugeschaltet. Er hat sich dem „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ angeschlossen, das sich seit Ende 2020 bemüht, den vor allem in den USA von rechtskonservativen Kreisen forcierten Kampf gegen eine vermeintliche „Cancel Culture“ im akademischen Feld in den deutschen Kontext zu übertragen. In seinem Beitrag für die Warschauer Konferenz erläuterte Sommer, dass Forschende in den USA bereits ein einziges falsches Wort ihre Stelle kosten könne, wohingegen in Deutschland und Westeuropa hauptsächlich informelle Sanktionen infolge von nicht näher bestimmtem „identitärem“ aktivistischem Druck drohten.

Sommers Referat war Teil des Panels „Akademische Freiheit“, das David Engels moderierte. Der aus Belgien stammende Althistoriker ist ebenfalls Unterzeichner der Initiative des „Netzwerks Wissenschaftsfreiheit“ und darüber hinaus Mitgründer der Oswald Spengler Society, der auch der Vorsitzende der deutschen Werteunion, Max Otte, angehört. Seine muslimfeindliche Untergangslehre und seine Visionen von einer Erneuerung der europäischen Ordnung unter christlich-traditionalistischer Prämisse verbreitet Engels unter anderem bei Gastvorträgen für die AfD. Derzeit hat er einen Forschungsauftrag am Instytut Zachodni in Poznan.

Regelmäßig berichtet Engels in polnischen Medien darüber, dass Westeuropa von Islamisierung, Masseneinwanderung, Materialismus und Individualismus zerrüttet sei. Auf der Intermarium-Konferenz beklagte er, dass jahrhundertelang gültige Lehrstoffe heutzutage als misogyn und rassistisch verurteilt würden, und forderte eine Rückkehr zur ganzheitlichen universitas, bei der die Suche nach Wahrheit im Mittelpunkt stehe. In diesem Sinne erklärt auch das Collegium Intermarium „die klassische Idee der Universität“ zum eigenen Maßstab. Bildungsminister Czarnek zufolge soll die Einrichtung dem angeblich grassierenden Neomarxismus und Postmodernismus die Stirn bieten.

Osteuropa kommt in der international verbreiteten rechten Zivilisationsrhetorik häufig die Rolle einer letzten Bastion gegen den Niedergang des Abendlandes zu – sei es bei der Abwehr von Migranten und Geflüchteten, sei es durch den Widerstand gegen gesellschaftliche Säkularisierungs- und Liberalisierungsbestrebungen oder in diesem Fall als vermeintliches Refugium der Wissenschaftsfreiheit. Das Verhältnis der polnischen Rechten zum „Westen“ ist allerdings widersprüchlich: Einerseits gilt er ihr als verdorben und im Niedergang begriffen, mit negativem Einfluss auch auf Polen. Andererseits sieht sie Polen als Teil der „westlichen Zivilisation“ im Huntington’schen Sinne, die sie vor allem als christlich geprägte, europäische, „lateinische“, aber auch transatlantische Zivilisation versteht. Im globalen rechten Diskurs kommt dem Land dann die Rolle der letzten christlichen, „ethnisch reinen“ Festung zu.

Dass gerade in Polen und Ungarn die unabhängige Wissenschaft unter nationalistisch-autoritärem Druck steht, kümmert die vorgeblichen Kämpfer für akademische Freiheit und westliche Zivilisation im Übrigen wenig. Die Versuche, kritische historische Forschung über die polnische Beteiligung am Holocaust mit gesetzlichen und juristischen Mitteln zu unterbinden, oder die Vertreibung der Budapester Central European University werden nicht als „Cancel Culture“ oder „Political Correctness“ erachtet. In diesen Fällen geht es schließlich um geschichtspolitische Schuldabwehr, die Wahrung des Rufs der Nation und deren Souveränität sowie um die Verteidigung der Werte der westlichen Zivilisation gegen einen vermeintlichen linken Mainstream. Letztlich bleibt die Rede vom Redeverbot ein rhetorisch verbrämtes Mittel zur Festigung der eigenen, rechten Hegemonie.

Jos Stübner ist promovierter Historiker, Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Warschau und freier Autor.

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