Russland
: Putins kalkulierte Konkurrenz


Kommenden Sonntag wird in der Russischen Föderation der neue Präsident gewählt. Gewinnen wird der derzeitige Amtsinhaber, der seine erneute Kür weder dem Zufall noch demokratischen Prozeduren überlässt.

And the winner is…: Der russische Präsident Wladimir Putin betritt die Arena für eine Wahlkampfveranstaltung im Luzhniki Stadion am 3. März in Moskau. (Foto: EPA-EFE/Mikhail Klimentyev)

Anhebung der Einkommen, Privatisierung staatlicher Konzerne, Nationalisierung des Bankensystems, Aufhebung des Verbots der Berufstätigkeit in bestimmten Sparten für Frauen – die Wahlprogramme der sieben männlichen Kandidaten und einer einzigen weiblichen Kandidatin für den Posten des russischen Präsidenten am 18. März bedienen die Vorlieben eines breiten politischen Spektrums. Nur sieben von ihnen stellen ihr Programm auf der offiziellen Webseite vor und debattieren miteinander in Radio und Fernsehen. Einer braucht niemandem mehr in dieser banalen Form darzulegen, wer er ist und was er zu bieten hat: Wladimir Putin. Er wird die Wahl ohnehin gewinnen und hat auf die ihm zustehende Werbezeit in den Medien gleich ganz verzichtet.

Gleichwohl legte der amtierende Präsident seine alljährliche Ansprache vor der föderalen Versammlung dieses Mal geschickt auf den Beginn der heißen Wahlkampfphase. Noch am Vortag hatte seine Konkurrenz bei den ersten TV-Wahldebatten über nationale Sicherheitskonzepte lamentiert und gestritten. Nun legte Putin eine fertige Präsentation abschreckender Waffenarsenale samt Computersimulation vor. Zu den Glanzpunkten dieses zweistündigen Auftrittes zählte eine atomgetriebene Rakete mit einem für die Gegenseite unkalkulierbaren Flugverlauf.

Putins Rede widmete sich jedoch auch sozialen Aspekten. Er sprach von 20 Millionen Menschen, die in Russland unter der Armutsgrenze leben. Innerhalb von zehn Jahren soll ihre Anzahl halbiert werden, wofür eine Anhebung des Bruttoinlandsproduktes um das Anderthalbfache notwendig sei. Auch die infolge erheblicher Kürzungen für Kritik und Protest sorgenden Reformen im Bildungs- und Gesundheitsbereich fanden Berücksichtigung. Übereifer bei der Umsetzung angestrebter Optimierungsprozesse in der medizinischen Grundversorgung habe in einigen Regionen zu unnötigen Schließungen von Polikliniken und Krankenhäusern geführt. Statt Einsparungen solle das Budget jetzt wieder aufgestockt werden.

Anstatt nur schöne Worte zu sprechen, kann der Präsident auf Knopfdruck seinen Beamtenapparat in Bewegung setzen. Der allerdings ist träge, begeht Fehler und wirtschaftet schon mal in die eigene Tasche. Trotzdem kann diesen Amtsvorteil kein Anwärter ausgleichen. Bei Putin weiß man, woran man ist, auch wenn Versprechen gelegentlich zur Farce geraten.

Das trifft in so mancher Hinsicht auf seine Mai-Verordnungen zu, die er nach seiner Wiedereinführung ins Amt 2012 als starkes Statement für die Entwicklung Russlands der kommenden Jahre verkündet hatte. Von 218 Einzelverordnungen wurden bis heute nach Angaben der Regierung 76 Prozent umgesetzt, Putins Präsidialapparat setzt die Quote gar bei bis zu 94 Prozent an.

Doch wie meist liegt der Teufel im Detail. Beispielsweise sollten Lehrergehälter auf das regionalübliche mittlere Einkommensniveau angehoben werden, was sich als reine Rechenaufgabe herausstellte. So lässt sich der Durchschnitt ohne Mühe in die Höhe treiben, durch spürbare Anhebung der Gehälter lediglich für Führungskräfte. Oder aber die Anzahl an Lehrstunden wird einfach aufgestockt. Anstatt über strukturelle Veränderungen nachzudenken und diese auch zuzulassen, bleibt es bei der Verwaltung reiner Planzahlen. Insofern ist es nur logisch, dass nach der diesjährigen Wahl, wie angekündigt, eine Neuauflage der Mai-Verordnungen angedacht ist.

Ein zu großes Maß an routinierter Überlegenheit birgt jedoch auch Gefahren. Putin bezieht seine Legitimität aus dem ihm zugeschriebenen Rückhalt in der Bevölkerung, der sich in einer soliden Wahlbeteiligung und einem entsprechenden Stimmanteil manifestiert. Die Gewissheit, dass alle Karten bereits ausgespielt sind, gerät für die Machthaber dieses Mal zur größten Herausforderung, denn einen wirklichen Anreiz, überhaupt wählen zu gehen, bietet diese Situation nicht.

Innerhalb von zehn Jahren will Putin die Armut im Land halbieren, wofür eine Anhebung des Bruttoinlandsproduktes um das Anderthalbfache notwendig sei.

Umfragen der Stiftung Öffentliche Meinung (FOM), als deren Hauptauftraggeber der Kreml fungiert, besagen, dass rund 65 Prozent der Befragten vorhaben, ihre Stimme abzugeben. Das dem liberalen Flügel zuzuordnende Levada-Zentrum veröffentlicht dieses Mal im Vorfeld der Wahlen keine Umfrageergebnisse. Nachdem die NGO als sogenannter „ausländischer Agent“ registriert wurde, möchte man weitere Konsequenzen in dieser Hinsicht vermeiden.

Mit über elf Millionen Euro hat die Wahlkommission das Budget für Wahlwerbung im Vergleich zu 2012 verdoppelt. Entsprechende Hinweise finden sich nicht nur an Bushaltestellen und Einkaufszentren. Selbst die staatliche Fluggesellschaft Aeroflot weist Passagiere darauf hin, dass sie ihr Stimmrecht gegebenenfalls auch an einem anderen Ort wahrnehmen können.

Doch solche Maßnahmen allein reichen längst nicht aus. Es braucht zumindest den Anschein von Konkurrenz im Kampf um eine mögliche Thronfolge, auch wenn das Wahlvolk in der jüngeren russischen Geschichte praktisch immer dazu degradiert war, bereits an anderer Stelle getroffene Personalentscheidungen bloß noch formal zu legitimieren. Gleichwohl können Wahlen durchaus als Gradmesser zur Ermittlung politischer Präferenzen in der Bevölkerung dienen. Angesichts des Umstandes, dass längst nicht alle potenziellen Kandidaten eine Zulassung erhalten, ergibt sich jedoch kein wirklich authentisches Bild.

Neben einigen bekannten Veteranen des postsowjetischen Politikzirkus, wie dem altgedienten und wegen seiner Ausfälligkeiten in manchen Kreisen überaus beliebten Politprofi Wladimir Schirinowskij von der Liberaldemokratischen Partei LDPR, finden sich auch neue Gesichter, die das Interesse am Wahlkampf etwas belebten. Maxim Surajkin von der Partei „Kommunisten Russlands“ etwa tritt mit seinen Referenzen an Josef Stalin als „echter“ Kommunist an. Mediale Aufmerksamkeit erhalten jedoch andere.

Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) hat sich für diesen Durchgang einem Erneuerungsprozess verschrieben. Anstatt zum wiederholten Mal ihren Chef Gennadij Sjuganow aufzustellen, entschieden sich die Genossinnen und Genossen in einer langen Sondierung für einen Außenseiter, der nicht einmal über ein Parteibuch verfügt. Pawel Grudinin ist vielen als „Erdbeerkönig“ wohl bekannt. Er betreibt die Lenin-Sowchose, einen trotz relativ hoher Löhne der Belegschaft keineswegs gemäß sozialistischen Prinzipien geführten Agrarbetrieb im Moskauer Umland.

Grudinins Erfolgsprinzip basiert auf den für die Gegend üblichen phantastischen Grundstückspreisen. Aus dem Verkauf und der Verpachtung sammelte er ein ansehnliches Privatvermögen an. Die Rohstoffökonomie Russlands auf Landesebene reproduziert Grudinin sozusagen im Kleinen. Und da fällt eben auch für die Beschäftigten ein Groschen ab, wenngleich sich einige von ihnen derzeit in einem Betrugsverfahren gerichtlich gegen ihren Chef zur Wehr zu setzen versuchen. Dabei ist Grudinin auch in der Lokalpolitik kein Unbekannter. Vor 20 Jahren begann er seine politische Karriere, war in der kremlnahen Partei Einiges Russland aktiv, die ihn allerdings später ausschloss, liebäugelte mit der Liberaldemokratischen Partei Russland (LDPR) und landete schließlich im Umfeld der KPRF.

Für den Kreml stellte Grudinin anfangs einen idealen Kandidaten dar, schließlich sorgten Debatten um seine Person für reales Interesse. Doch am Ende war es dann wohl zu viel des Guten. Als ein Fernsehjournalist Ende Dezember Zahlen präsentierte, wonach für Putin gerade mal die Hälfte der Bevölkerung stimmen werde, während 45 Prozent mit Grudinin sympathisierten, startete in den Medien eine regelrechte Hetzkampagne gegen den Kandidaten der KPRF.

Stoff dafür bietet er zur Genüge, insbesondere angesichts seiner Auslandskonten und nichtdeklariertem Eigentum. In der gegenüber der KPRF kritisch eingestellten russischen Linken führte Grudinins Kandidatur bereits vor der Kampagne gegen ihn zu einer Spaltung. Während die Linksfront mit ihrem langjährigen Anführer Sergej Udaltsow Grudinin offen unterstützt, argumentieren andere, dass Grudinin als Großkapitalist für die Linke nicht tragbar sei. Dazu kommt, dass Grudinin auch von einem Teil der Nationalpatrioten hofiert wird. Seine migrantenfeindlichen Aussagen hatten 2013 dazu geführt, dass er bei den Kommunalwahlen seine Kandidatur im Moskauer Umland wegen Aufstachelung zum Hass zurücknehmen musste.

Ksenija Sobtschak sorgte mit ihrer Kandidatur zwar ebenfalls für Aufregung, aber ihr Wahlergebnis dürfte am Ende deutlich hinter dem Grudinins liegen. Sie ist die Tochter des ehemaligen Bürgermeisters von St. Peterburg, Anatolij Sobtschak, einem von Putins Wegbereitern. Immerhin kritisiert sie offen das Vorgehen des russischen Militärs in Syrien. Damit lassen sich allerdings keine Wahlen gewinnen, selbst wenn ein faires Wahlverfahren gegeben wäre.

Der Kandidatur des nationalistischen Antikorruptionspolitikers Aleksej Nawalnyj schließlich wurde vom Kreml ein Riegel vorgeschoben. Daraufhin trommelte er für einen Wahlboykott. Dem wollen sich in Russland viele Menschen anschließen. Andere sehen schlicht keinen Sinn darin, ihre Stimme abzugeben. Putin erhält die nötige Mehrheit, so oder so.

Ute Weinmann arbeitet als freie Publizistin und lebt in Moskau.

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