Tschetschenien
: Krieg in jeglichem Sinne

Immer aggressiver geht Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow gegen Kritiker und Oppositionelle vor. Das ist auch im Interesse der russischen Führung.

Scharfmacher mit 
Hang zum Sadismus: 
Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow. (Foto: Wikipedia/Kreml)

Scharfmacher mit 
Hang zum Sadismus: 
Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow. (Foto: Wikipedia/Kreml)

„Tschetschenien ist ein Vorbild für Frieden und Eintracht.“ Mit derlei Weisheiten brüstet sich der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow. Sein fleißig betriebener Instagram-Blog ist voll davon. Oftmals ist allein die Bildsprache schon sehr beredt. So veröffentlichte Kadyrow Ende Januar auf Instagram ein Video, auf dem der Vorsitzende der Oppositionspartei Parnas, Michail Kasjanow, durch den einem Gewehrvisier nachempfundenen Filter zu sehen ist. Im Begleittext heißt es: „Kasjanow ist nach Straßburg gereist, um Geld für die russische Opposition abzuholen. Wer das nicht versteht, versteht gar nichts!“

Ginge es nach dem Willen des tschetschenischen Regionalfürsten, stünden Oppositionelle nicht nur in seiner kleinen Nordkaukasus-Republik, sondern landesweit auf der Abschlussliste. Kadyrow belässt es nicht dabei, als Ideengeber für die russische Machtzentrale im Kreml in Erscheinung zu treten, obwohl er auf diesem Gebiet zweifellos Erfolge vorzuweisen hat. Die Rolle des Hofhundes, Henkers und selbstverliebten Landesvaters ist ihm auf den Leib geschrieben, aber seine Ambitionen reichen über die tschetschenischen Grenzen weit hinaus. Im tschetschenischen Fernsehen, das ohnehin fast ausschließlich über Ramsan Kadyrow berichtet, egal ob es um religiöse Themen, die Sicherheitslage in der Republik oder Sport geht, wird Kadyrows Bedeutung für Russland und die gesamte Menschheit als unermesslich dargestellt.

Zu Recht wertete Michail Kasjanow besagtes Video als Morddrohung und forderte die Einleitung entsprechender Ermittlungen. An der Brisanz ändern auch Aussagen des tschetschenischen Informationsministers Dshambulat Umarow nichts, wonach es sich bei dem „Visier“ lediglich um ein Periskop gehandelt habe. Demnach soll sich die russische Opposition bloß beobachtet fühlen. Die Praxis lehrt jedoch, dass Kadyrows Drohgebärden durchaus Konsequenzen nach sich ziehen.

Der Mythos von der „befriedeten Republik“, die – wenn überhaupt – der russischen Öffentlichkeit lange Jahre nur als Beispiel für die Erfolge Präsident Wladimir Putins präsentiert wurde, erhielt im Dezember 2014 einen gehörigen Dämpfer. Eine Gruppe Jihadisten drang problemlos in die tschetschenische Hauptstadt Grosny vor, bei den folgenden Kämpfen brannte das lokale Pressehaus fast vollständig aus. Darauf folgte ein regelrechter Rachefeldzug gegen Angehörige islamistischer Untergrundkämpfer, deren Häuser in Brand gesetzt und teils bis auf die Grundmauern abgetragen wurden.

Entführungen durch Angehörige der bewaffneten Staatsorgane gehören zum Alltag.

Für noch mehr negative Medienresonanz sorgte die Ermordung des russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow Ende Februar 2015 in Moskau. Denn der mutmaßliche Killer Saur Dadajew, gegen den voraussichtlich im Frühjahr ein Gerichtsprozess beginnt, diente Kadyrow als hochrangiger Offizier. Ebenso der aus einer einflussreichen tschetschenischen Familie stammende Ruslan Geremejew, der mittlerweile in Saudi-Arabien lebt und den die Ermittler trotz schwerwiegender Beweise nur als Zeugen einstufen.

Zwar sind die Auftraggeber nach wie vor unbekannt, aber es ist unwahrscheinlich, dass Kadyrow selbst hinter dem Mord steht, zumindest hatte er kein einleuchtendes Motiv. Anders als Kasjanow diente Nemzow in Tschetschenien nicht als Zielscheibe im Kampf gegen missliebige Oppositionelle. Kadyrows Ruf als allmächtiger Herrscher in seiner Republik geriet allerdings ins Wanken, als Einheiten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB im März vorigen Jahres ohne Vorwarnung in Tschetschenien eine Sonderoperation im Zuge der Mordermittlungen durchführten. Nach einem weiteren, nichtabgestimmten Polizeieinsatz drohte Kadyrow, auf jeden Polizisten aus einer anderen Region das Feuer eröffnen zu lassen.

Seither gebärdet sich Ramsan Kadyrow immer aggressiver. Dass eine breitere Öffentlichkeit von seinem Treiben innerhalb Tschetscheniens erfährt, ist in erster Linie seinem Faible für das Internet und soziale Netzwerke geschuldet. Was anfangs als effektive Ergänzung der von Kadyrows Apparat gesteuerten Massenmedien erschien, offenbarte mit der Zeit jedoch Schwachpunkte. Schließlich funktionieren soziale Netzwerke als Kommunikationsmittel nicht nur in eine Richtung und die Bevölkerung in der Kaukasus-Republik nutzte diese Gelegenheit, um ihren Unmut über die Zustände dem Garanten für Sicherheit und Ordnung zuzutragen. Unmut, der aus Sicht des tschetschenischen Machtapparats gar keine Existenzberechtigung hat.

Mit einer Armee von Propaganda treibenden Internet-Trollen allein ist den Miesmachern allerdings nicht beizukommen, deshalb fuhr die tschetschenische Führung nun schwereres Geschütz auf: öffentliche Demütigungen. Bislang hatte sich diese Praxis meist auf Angehörige von Jihadisten beschränkt, doch inzwischen sind davon auch Personen betroffen, die über alltägliche Missstände berichten. Beispielhaft dafür ist die Geschichte von Aischat Inajewa. Per Internetaufruf machte sie Kadyrow auf die illegale Praxis erhöhter Kommunalabgaben aufmerksam. Prompt wurde sie mit ihrem Ehemann zum Präsidenten zitiert und vor laufender Fernsehkamera nicht nur verbal abgestraft, sondern auch zu einem öffentlichen Widerruf ihrer Kritik gezwungen. Adam Dikajew empörte sich im Netz über Kadyrows Anbiederung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dabei sei es gerade mal 15 Jahre her, dass Russland in Tschetschenien einen Krieg geführt habe. Dikajew wurde gezwungen, in Unterhose auf einem Laufband eine Freundschaftsbekundung an Putins Adresse abzulegen. Das Video fand weite Verbreitung.

Doch Demütigungen demoralisieren offenbar nicht genug. Die Menschenrechtsorganisation „Memorial“ gab bekannt, dass Dikajew im Januar spurlos verschwunden sei. Entführungen durch Angehörige der bewaffneten Staatsorgane gehören zum Alltag. Nicht alle Betroffenen überleben. Für die Zeit von Oktober bis Dezember 2015 sind „Memorial“ 24 Entführungsfälle bekannt. Über kurz oder lang kehren die meisten entführten Personen zurück, doch von einigen fehlt jede Spur. Kurz nach Bekanntwerden der Entführung von Taita Junusowa im Oktober tauchte ein Videoclip auf, in dem sie dementiert, entführt worden zu sein. Die schnelle Reaktion ihres Umfelds mag sie vor schlimmeren Folgen bewahrt haben, aber Angehörige scheuen meist davor zurück, Entführungen öffentlich zu machen.

Um sich Kritik von außen gar nicht erst stellen zu müssen, ging Kadyrow zum Angriff über. Mitte Januar hetzte er bei einem Treffen mit Journalisten in Grosny gegen russische Oppositionelle. Derlei „Volksfeinde“ und „Verräter“ müssten für ihre subversive Tätigkeit strengstens bestraft werden.

Kadyrow sei eine „Schande für Russland“, konterte Konstantin Sentschenko, Abgeordneter des Krasnojarsker Stadtrats. Im russischen Internet erhielt er viel Beifall, allerdings vermittelte ihm der dreifache tschetschenische Olympiasieger im Freistilringen, Buwaisar Saitijew, dass er zu solcher Kritik nicht befugt sei. Diese Episode endete in bekannter Manier: Sentschenko entschuldigte sich bei Kadyrow.

Wenige Tage später wurde die Diffamierungskampagne auf einer Massenkundgebung in Grosny fortgesetzt, nach der Kadyrow der Opposition den „Krieg in jeglichem Sinne dieses Wortes“ erklärte. Als Scharfmacher gegen als ausländische Agenten abgestempelte Oppositionelle wählt er eine rabiate Gangart und handelt im Interesse der russischen Führung. Je weniger im Wahljahr – für September sind Parlamentswahlen geplant – über ökonomische Schwierigkeiten und politische Defizite der Regierung gesprochen wird, desto besser.

Ute Weinmann arbeitet als freie Publizistin und lebt in Moskau.

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