Un-fairer Handel
: Ausgebeutete Heldinnen


Viele große Kleidermarken lassen in Bangladesch produzieren – unter Bedingungen, die alles andere als fair sind. Hasan Ashraf kommt aus Dhaka; er studiert und promoviert in Europa. Forschungshalber ist er als Fabrikarbeiter in sein Land zurückgekehrt.

woxx: Sie haben 15 Monate vor Ort recherchiert und dabei längere Zeit in einer Textilfabrik gearbeitet. Wie war das?


Der Kulturanthropologe Hasan Ashraf arbeitet im „Eating Bodies“-Forschungsteam der Universität Amsterdam (http://whatiseating.com). 
Sein Interesse am Spannungsverhältnis zwischen ruralen und urbanen Lebenskontexten brachte ihn dazu, die Lage der Arbeiter in den Textilfabriken zu erforschen.

Der Kulturanthropologe Hasan Ashraf arbeitet im „Eating Bodies“-Forschungsteam der Universität Amsterdam (http://whatiseating.com). 
Sein Interesse am Spannungsverhältnis zwischen ruralen und urbanen Lebenskontexten brachte ihn dazu, die Lage der Arbeiter in den Textilfabriken zu erforschen.

Hasan Ashraf: Die ersten 6 Monate habe ich Vollzeit in dieser Fabrik gearbeitet und in einer „labour colony“ ein Zimmer gemietet. Ich habe also dort gewohnt, wo die Arbeiter wohnen, was mir Einblicke in ihre Freizeit gewährte. Ich habe beobachtet, welche Strategien sie entwickeln, um mit dem Druck, den Arbeitsbedingungen und den daraus entstehenden Krankheiten fertigzuwerden. Ich habe außerdem an Protestaktionen teilgenommen.

Welches Leben führt man als Textilarbeiter? 


Die meisten von ihnen sind Frauen und überwiegend kommen sie aus ländlichen Gegenden. Wenn sie in die Stadt ziehen, um dort zu arbeiten, stellt dies einen tiefen Einschnitt in ihr gewohntes Leben dar. Aber der Lohn, den sie bekommen, reicht nicht, um am Stadtleben teilzunehmen. Zurzeit verdienen die Arbeiter 58 Euro im Monat. Das Leben in der Fabrik ist zudem durch großen Zeitdruck geprägt. Oft wissen die Arbeiter nicht, wann ihre Schicht endet, weil kurzfristig Änderungen gefordert werden. Man arbeitet sechs Tage die Woche, und im allgemeinen dauert eine Schicht länger als die legalen acht Stunden. Dieses Pensum verhindert, dass die Arbeiter ein wirkliches soziales Leben haben.

Wie verändert das Stadtleben die Sicht der Arbeiter auf ihre Zukunft? Entwickeln sie neue Träume in Bezug auf ihre Möglichkeiten im Leben, wandelt sich zum Beispiel ihre Sicht auf arrangierte Ehen? 


Romantische Liebe wird in der Populärkultur zelebriert. Aber die Sexualität der Frauen wird stark von der Gesellschaft kontrolliert, und das Ideal bleibt die arrangierte Ehe. Die Familien der Fabrikarbeiterinnen haben es schwieriger bei der Partnersuche, weil man Arbeiterinnen weniger traut – sie könnten ja Affären in der Stadt gehabt haben. Was die Fabrikarbeiterinnen mir erzählten, ist, dass die Arbeit ihr Leben stark verändert. Ihr neues Sozialgeflecht in der Stadt sind die anderen Arbeiter, mit denen man die Zimmer in den Wohnquartieren teilt. Einige sagten mir deshalb, es sei einfacher, einen Arbeitskollegen zu heiraten, weil dieser das aktuelle Leben der Arbeiterinnen versteht. Ein Außenstehender könne ihr Leben nicht nachvollziehen. Die Tendenz geht also momentan in diese Richtung.

Etwa drei Viertel der Fabrikarbeiter sind Frauen. War es schwierig für Sie, akzeptiert zu werden? 


Es war nicht einfach. Für die Arbeiterinnen war ich ein männlicher Stadtbewohner aus der Mittelschicht, der nun seinen PhD an einer europäischen Uni macht und nur temporär in der Fabrik arbeitet. Mit der Zeit aber entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis.

Sind Sie heute noch in Kontakt mit den Frauen? Haben Sie richtige Freundschaften geschlossen? 


Ja, habe ich. Mit einigen bin ich noch regelmäßig in Kontakt. Wir diskutieren über Politik und verfolgen die aktuellen Entwicklungen.

„Zeitdruck und Geldmangel verhindern, dass die Arbeiter ein menschenwürdiges Leben führen.“

Wie werden die Arbeiter und Arbeiterinnen von der Gesellschaft gesehen? 


Die Wahrnehmung ist ambivalent. Auf der nationalen Ebene werden vor allem die Arbeiterinnen gefeiert. Sie werden als tüchtige Frauen dargestellt, und Bangladesch kann sich so als Land des „women empowerment“ präsentieren. Im offiziellen Diskurs sind sie die Heldinnen der Hauptexportindustrie Bangladeschs. Auch die westlichen Firmen stellen ihre Industrie als emanzipatorisch dar. Aber im Alltag werden sie als Menschen mit schwacher Moral und ohne Kleidergeschmack angesehen. Es sind sehr fragile Menschen, die auf verschiedenen Ebenen ausgebeutet werden. Männliche Vorgesetzte, die sich an den Arbeiterinnen vergreifen, wissen, dass dies keine strafrechtlichen Folgen hat. Konkret, im Alltagsleben, stehen die Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter vor einem ausbeuterischen System.

Sagen sie das als Doktorand aus Europa, als gebürtiger Bangladescher oder als Aktivist? 


Natürlich hat die Forschung mich und mein Denken verändert. Ich bin in Dhaka aufgewachsen, wo die Fabriken zum Stadtbild gehören, aber sie gehörten nicht zu meiner Lebensrealität. Sie waren in einem gewissen Sinne weit entfernt. Was mich auch beschäftigte, war der Bruch zwischen dem akademischen Interesse, der Arbeit der Gewerkschaften und dem, was es wirklich bedeutet, in solch einem ausbeuterischen Kontext leben zu müssen, wie sich das anfühlt. Ich würde nicht sagen, dass ich ein Aktivist wurde, aber ich versuche, mit verschiedenen Mitteln auf diese Arbeitsverhältnisse und globalen Zusammenhänge aufmerksam zu machen.

„Von meinem ersten Arbeitstag an waren die Konzerne präsent, sie sind direkt für die harten Arbeitsbedingungen verantwortlich.“

Heute gibt es in Bangladesch über 5.000 Textilfabriken, die für den Export produzieren. Sie beschäftigen über 4,6 Millionen Menschen. In welchem Kontext ist diese Industrie entstanden? 


Bangladesch ist seit 1971 ein Nationalstaat. Die Staatspolitik war zu Beginn eher von sozialistischen, demokratischen, säkularen und nationalen Ideologien geprägt. Mitte der 1970er Jahre kam jedoch das Militär an die Macht und stellte 15 Jahre lang die Regierung. Diese orientierte sich an der neoliberalen, auf Export gepolten Wirtschaftsideologie. Die Fabriken mögen sich geographisch in Bangladesch befinden, aber sie sind keine lokalen Akteure. Sie produzieren nicht für den lokalen Markt, und die Entscheidungen über Produktionsprozesse werden auf übernationaler Ebene getroffen. Ob Walmart und GAP oder Esprit, Zara und H&M, die Marken besitzen die Urheberrechte über ihre Produkte, verkaufen sie und verwalten die Profite. Die Industrie existiert nur, weil es Aufträge von diesen Global Players gibt. Von meinem ersten Arbeitstag an war mir ihre Omnipräsenz deutlich: Es kommen Anweisungen von den Marken, sie setzen Preise durch und geben Deadlines vor, damit die Regale pünktlich für die neue Saison gefüllt sind. Die Konzerne sind also direkt für die harten Arbeitsbedingungen verantwortlich.

Vor genau drei Jahren ist in Dhaka das Rana-Plaza-Gebäude, in dem sich Konfektionsateliers befanden, eingestürzt. Mehr als tausend Menschen sind bei der Katastrophe umgekommen. Was hat sich seitdem geändert? 


Nicht viele Firmen haben Verantwortung übernommen. Dies zeigt auch, wie diese Industrie geführt wird. Über die vielen Zwischenhändler, mit denen Verträge abgeschlossen werden, werden Verantwortlichkeiten verschleiert. Das heißt aber nicht, dass die Zwischenhändler Handlungsspielraum hätten. Nein, die Preise und Produktionsprozesse werden top-down entschieden. Anstatt Verantwortung zu übernehmen, haben die multinationalen Firmen auf Bangladesch verwiesen: Dort fehle es an einer Arbeitskultur, und es seien die Vorgesetzten, die die Näherinnen unter Druck setzen und ausbeuten usw. Einige Firmen haben aber eine Kursänderung vollzogen. Damit dies geschehen konnte, musste jedoch erst Kritik von Außen geübt werden.

Aber auch politisch kam es zu Änderungen und zum Erlass neuer Gesetze?


Es kam zu zwei größeren Initiativen. Eine europäisch geprägte ist die des „Bangladesh accord on fire and building safety“ in Bandgladesch, der in Genf ausgehandelt wurde. Die andere ist die nordamerikanische „Alliance for Bangladesh workers safety“. Ersteres Abkommen ist juristisch verpflichtend, über 200 Firmen haben sich an ihm beteiligt. Die Alliance dagegen wurde von jenen Marken gegründet, die kein juristisch verpflichtendes Dokument unterschreiben wollten. Die Regierung in Bangladesch hat zudem in Zusammenarbeit mit der International Labour Organization einen Aktionsplan ausgearbeitet. Die Bildung von Gewerkschaften wurde etwas erleichtert, doch sind immer noch weniger als ein Prozent der Arbeiter in den Gewerkschaften aktiv. Die Fabrikinspektionen haben sich verbessert. Allerdings wird nicht genug unternommen zur Anhebung der Löhne und der Festsetzung eines Mindestlohns; man fragt auch nicht, wie man im Arbeitsprozess Zeitdruck und Erschöpfung entgegenwirken kann. Die eingeleiteten Maßnahmen sind technokratische Top-down-Lösungen, die sich auf die Gebäudesicherheit konzentrieren.

Und welchen Impakt haben Fair-Trade-Kampagnen? Was können sie erreichen?


Fair-Trade-Kleidung ist bisher eher marginal. Die Löhne werden vom Markt determiniert, in dem die großen Marken im Namen der Wettbewerbsfähigkeit Druck ausüben. Die nationale Regierung mischt sich wenig in die Lohnpolitik ein. Es bleibt also schwierig für den fairen Handel, hier Fuß zu fassen. Initiativen wie die Clean Clothes Campaign oder die Fashion Revolution könnten die Fabrikarbeiter stärker einbinden; alle diese Kräfte müssten deshalb stärker zusammenarbeiten. Ein Verdienst dieser Kampagnen ist immerhin, dass sie die Konsumenten über die Produktionsbedingungen aufklären.

Etika unterstützt Initiativen in Luxemburg, die fair gehandelte und ökologische Kleider verkaufen. Anlass für diesen Artikel ist die Sensibilisierungskampagne „Lëtz Step“ von Transfair Luxemburg, die noch bis zum 1. Mai andauert. 
Details unter: http://transfair.lu

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