Anlässlich seines 30. Geburtstags veröffentlicht der Verbrecher Verlag dieses Jahr die Chronik: „Verbrecher Verlag Geschichte“. Darin werden die ereignisreichen letzten drei Jahrzehnte Verlagsgeschichte nachgezeichnet – von den Anfängen in einem Berliner Studentenwohnheim über Höhen und Tiefen, Preise und Buchmessen bis hin zu kleinen Druckfehlern und großen Erfolgen. Vom ersten Buch „Cordula killt Dich! oder Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini. Roman der Auferstehung“ von Dietmar Dath bis hin zu dieser Chronik des unabhängigen, linken Verlegens, wird alles in den Blick genommen.

Seit 30 Jahren veröffentlicht der Verbrecher Verlag Belletristik, politische Sachbücher und wissenschaftliche Titel – und das stets mit Haltung. (© Nane Diehl)
WIE ALLES GESCHAH
Ein beinahe authentischer Bericht aus der erinnerten Realität
Ui! Der Jörg hat angerufen. So heißt das! Nicht Herr Sundermeier oder Jörg, nein, »der« Jörg. Ich soll einen Text schreiben, darüber wie das mit dem Verbrecher Verlag angefangen hat.
Mir kommen ganz viele Sachen in den Sinn. Wie ich Jörg damals kennengelernt habe. Wie wir auf dem Dorf zusammen Abiturienten waren. Wie wir uns vorgenommen haben, die schlimmsten Pommesbuden in NRW zu finden (ist uns teilweise gelungen). Wie ich nach Berlin gegangen bin und Jörg in Bielefeld studiert hat.
Aber Moment mal! Das interessiert doch niemanden, oder?
Richtig. Und sowieso, wenn man eine wirklich coole Biografie lesen will, dann besorgte man sich das »Kuhlbrodtbuch«. Eigentlich haben wir nur Städtebücher so genannt: »Kreuzbergbuch«, »Bielefeldbuch« etc. Aber Dietrich Kuhlbrodt hat so viel erlebt, der geht als eigene Stadt durch, wenigstens als Kleinstadt. Und er ist sowieso ein verrückter Mann. Liebe Grüße Dietrich. Ich weiß, Du freust Dich, dass ich dich verrückt nenne. Denn Dein Verrücktsein, das macht nicht nur Dir, das macht auch den anderen Spaß.

(© Verbrecher Verlag)
Also: Start Verbrecher Verlag. Anfang der Neunziger. Ich sitze in Berlin, Jörg sitzt in Bielefeld. Wir haben versucht, über Postkarten Fernschach zu spielen. Dafür waren wir zu blöd. Wir haben öfter telefoniert und uns gegenseitig besucht. Nebenher versuchten wir zu studieren. Sachen mit Literatur. Jörg hat es, glaube ich, ein bisschen eifriger betrieben als ich. So richtig glücklich waren wir damit nicht. Dafür haben wir viel gelesen.
In verschiedenen (Literatur-)Zeitschriften berichteten Autor*innen, die wir gerne mochten, darüber, dass sie ein Manuskript in der Schublade haben. Und dass sich kein*e Verleger*in dafür interessieren würde. Manchmal meinten die Autor*innen, ihre Literatur sei sehr anspruchsvoll und kompliziert und der Buchmarkt nicht bereit dafür.
Jörg und ich haben uns für abseitige Autor*innen aus der Zeit des Expressionismus interessiert. Zum Beispiel für Robert Müller oder Melchior Vischer. Man sollte dazu wissen: Diese Texte konnte man entweder in der Bibliothek ausleihen oder musste sie in staubigen Antiquariaten jagen. Heute gibt’s das alles für 50 Cent aufm Reader. Dies ist wirklich ein Text über anno dunnemals.
Und wir interessierten uns für zeitgenössische Autor*innen. Aber wie sollten wir je deren Manuskripte lesen, wenn der Buchmarkt noch nicht bereit dafür war? Ein Dilemma.
Soweit zur Ausgangslage.
Jörg besuchte mich in Berlin. Zu der Zeit wohnte ich in Charlottenburg. Wir sind dann regelmäßig in die Kinokneipe Klick gegangen. Da haben wir gesessen, Bier getrunken, uns gegenseitig über unsere Professores und die Uni beschwert und träumten davon, wie schön es wäre, all diese Bücher und vor allem diese unveröffentlichten Manuskripte zu lesen. Dann hatten wir eine Idee: Wir tun einfach so, als wären wir ein Verlag, schreiben die Leute an, die schicken uns die Manuskripte, wir lesen die, sind glücklich, schicken alles mit einer freundlichen Absage zurück. Niemand hätte was verloren außer etwas Porto. Gleichzeitig dachten wir: Nee, das geht nicht. Da machen sich die Autor*innen Hoffnungen, dass ein Verlag auf sie aufmerksam geworden ist. Sie überlegen sich dann vielleicht, was sie mit all dem vielen Geld machen, das sie verdienen werden. Dabei hatten wir gar nicht die Absicht, jemals ein Buch daraus zu machen. Wir wollten nur exklusiv lesen.
Okay, wir mussten also nachdenken, wie wir das ohne schlechtes Gewissen hinkriegen. So kamen wir auf die glorreiche Idee, dass wir alles abmildern können, indem wir uns einen komplett bescheuerten Namen geben. Und wie auch immer es passiert ist (es war möglicherweise Alkohol im Spiel), wir kamen auf den Namen: Verbrecher Verlag. Wahrscheinlich war es so.
Was sicher ist: Der Name Verbrecher Verlag stand zusammen mit dem berühmten Logo am nächsten Morgen auf einem Bierdeckel, der sich in meinem Zimmer im Studentenwohnheim fand.
Jörg und ich tranken viel Kaffee, gaben mit unserem jeweiligen Kater an und fanden unsere Idee vom Vorabend großartig. Dann haben wir uns gedacht, das machen wir. Also habe ich in Word das Logo nachgezeichnet, einen wirklich spärlichen Briefkopf entworfen und los ging’s.
Jörg hat versucht, ein Manuskript eines hochbetagten New Yorker Autors zu erlangen. Ein Mittelsmann wollte allerdings allein dafür, dass er uns das Manuskript schickt, Geld sehen. Geld hatten wir aber nicht.
Irgendwann kam ein Kontakt mit Dietmar Dath zustande. Den schätzten wir sehr, weil wir seine Texte in der Titanic oder dem Fanzine Heaven Sent umwerfend fanden.
Also kontaktierten wir Herrn Dath. Nach einigem Hin und Her, sagte er zu uns am Telefon ungefähr: Ach, ihr seid bestimmt demnächst auf der Frankfurter Buchmesse, da können wir uns treffen, das wäre eine tolle Gelegenheit, sich kennenzulernen. Geübte Geschäftsleute wie wir waren, stammelten wir: Ja, ja, klar natürlich, wir sind da, wir haben keinen Stand, sind ja noch am Anfang, aber auf jeden Fall, klar, Buchmesse.
Wir fuhren zur Buchmesse. Als wir dort ankamen, stellten wir fest, dass es eine Messe für Fachbesucher*innen ist. Jörg war der Meinung, das sei kein Problem, denn er hatte ja schon Artikel bei einigen Fanzines und ich sogar schon einen winzigen Artikel bei der taz untergebracht. Das hat nicht wirklich gereicht. Der Mann, der die Karten verkaufte, lächelte uns müde an und meinte, dass er schon irgendeinen Nachweis brauche. Jörg sagte: Ja, man könne ja dann mal da anrufen. Bei den Zeitungen. Die würden das dann schon bestätigen. Denn er hätte jetzt eben keinen Nachweis dabei. Und dann standen wir rum und behaupteten, wir hätten eine dringende Verabredung. Auf der Buchmesse. Und was wir denn nun machen sollen … Irgendwann hat er mit den Schultern gezuckt, uns zwei Karten verkauft und durchgewunken. Ich glaube bis heute, er hat einfach ein bisschen gezögert, weil man ja nicht Hinz und Kunz auf die Fachbesucher-Buchmesse lassen darf. Wenn Hinz und Kunz jedoch genügend Theater aufführen, dann sind die bestimmt irgendwie im Literaturbetrieb und man kann denen ruhig Eintrittskarten verkaufen.

