Sehr sinnlich ist die neue Ausstellung „L’Emprise du genre“. Endlich darf der Mann einmal im Mittelpunkt stehen.
Als Paul Mc Carthy 1974 seinen Penis in einer Pollock-Persiflage in einen Farbtopf tunkte und Gemälde mit dem Titel „Penis Dip Painting“ schuf, war der Aufschrei groß. Seit dieser sexuell provokativen Arbeit geht es in der Auseinandersetzung mit der Männlichkeit eher gemächlich zu. „Wie lässt sich erklären, dass seit dreißig Jahren kein Mann einen wegweisenden Text zum Thema Männlichkeit verfasst hat – die Männer, die so gesprächig sind und kompetent, wenn es darum geht über Frauen herzuziehen?“, fragt sich die französische Feministin Virginie Despentes. In der Tat reden die Männer wenig über sich selbst. Über die männliche Identität zu reden ist fast schon ein Tabu. Nun will die Galerie „Nei Liicht“ einen Funken aufklärerischen Lichts auf die Herrn der Schöpfung werfen. „L’Emprise du genre. Tentative de l’approche de la représentation masculine“, so der ziemlich gestelzte Titel der Ausstellung, die den Mann in den Fokus nimmt. Rund zwanzig Künstler und Künstlerinnen haben sich auf experimentelle Weise mittels Fotografie, Installation oder Video mit der Frage beschäftigt, wann ein Mann in der heutigen Gesellschaft als Mann gilt und welches Selbstbild er von sich hat. Durchgespielt werden nicht nur Stereotypen wie Macht, Virilität, Dominanzverhalten unter Männern und gegenüber Frauen, Gewalt, die auf einem androzentrischen Geschlechterverhältnis basiert. Auch der zerbrechliche, androgyne oder verträumte Mann wird thematisiert. Ebenso kommt die Rolle des männlichen Körpers als politisches Element zur Sprache. Denn in der Mode, in den Jugendkulturen, der Werbung, in Filmen und anderen Medien werden immer wieder neue Männlichkeitsbilder und -ideale angeboten. Einige Künstler wählen dabei einen eher sozialen Blickwinkel. So etwa die Videoinstallation „Fusion“ der deutschen Künstlerin Ingeborg Lüscher. Die Gesellschaft valorisiert einerseits den jungen erfolgreichen Businessmann und andererseits auch den guten Fußballspieler. Lüscher bringt beide Erfolgstypen zusammen, indem sie in ihrer Videoinstallation junge Männer in Anzügen mit Hemd und Kravatte Fußball spielen lässt. Es gelingt ihr so auch das gesellschaftliche Klischee des erfolgreichen schlagfertigen Mannes auf den Punkt zu bringen. Als traditionelles Indiz für Männlichkeit gilt auch die Selbstbeherrschung, was es für viele Männer schwer macht ihren eigentlichen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. In der Videoinstallation „Proteus Lover“ der belgischen Künstlerin Karine Maremme geht es um die Komplexität der Gefühlslagen: Hier vergießt auch mal ein muskulöser braungebrannter Mann mit Fliege einige Tränen.
Der Bezug zum eigenen Körper wird insbeondere von den männlichen Künstlern der Ausstellung sehr offen thematisiert. Mittlerweile bekannt sein dürften die Schwarz-Weiß-Aufnahmen des amerikanischen Künstlers
Robert Mapplethorpe, die vor allem in den Achtzigerjahren schockierten. In einer Zeit, in der eine Erektion noch in die Nähe der Pornografie gerückt wurde, machte Mapplethorpe unbeirrt sinnliche Aufnahmen von Männern, bei denen auch Homosexuelle und Menschen anderer Hautfarbe vorkommen. Auch in den Farbfotos „Morning Glory“ des jungen Engländers Luke Stephenson geht es um den eigenen Körper. Er hat die Morgenerektionen von Männern fotografiert. Er will damit eine alltägliche intime Männerangelegenheit darstellen, „qui transcende toutes les frontières de couleurs, de classes et de croyances.“ Gegenüber dieser eher offenen Sexualität, geht es in der suggestiven Videoinstallation von Juan Bernardo Pineda viel verdeckter zu. Die Kamera fokussiert auf die Hüften eines tanzenden Mannes, die mit einem schwarzen Schleier umgeben sind. Das Video sei in einer Zeit entstanden – so Pineda – als Spanien noch sehr konservativ war und man sich zu seinen sexuellen Bedürfnissen noch nicht bekennen konnte. Unsicher über die eigene Rolle und Identität als Mann scheint auch der österreichische Künstler Arnulf Rainer zu sein. In seiner Gummibandserie hat er skurrile Selbstaufnahmen gemacht, eingezwängt in ein schwarzes Gummiband – als ob die Erwartungshaltungen der Gesellschaft ihn erdrückten.
„L’Emprise du genre“ ist insgesamt eine sehr sinnliche Ausstellung, die von einer eher experimentellen Warte aus, „den Mann“ aus vielen Richtungen in den Blick nimmt.
Zu sehen in der Galerie „Nei Liicht“ noch bis zum 6. Februar.
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