DENKMALSCHUTZ: „Nicht den Kopf in den Sand stecken“

Auch unter ihrem neuen Leiter Patrick Sanavia kommt die Denkmalschutzbehörde noch oft zu spät. Der Dialog mit den Gemeinden und eine landesweite Bestandsaufnahme sollen eine neue Politik einleiten.

Patrick Sanavia ist von seiner Ausbildung her Anwalt. Neun Jahre war er Direktionsrat im Kulturministerium. Seit Januar 2007 ist er Präsident der nationalen Denkmalschutzkommission und fungiert seit Mitte September 2008 als Direktor des SSMN.

Woxx: Seit einem Jahr stehen Sie als Verantwortlicher dem Service des Sites et Monuments vor. Auf welcher Ebene sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Patrick Sanavia: Wir haben in den letzten Monaten den „Fonds pour les monuments historiques“ aufgearbeitet, um festzustellen, wo wir stehen, und zu klären, welche Projekte abgeschlossen und welche noch umgesetzt werden müssen. Außerdem wurde eine Bestandsaufnahme der „Procédures de protection“ vorgenommen, da diese sich über Monate oder gar Jahre erstrecken können. Und ich habe der damaligen Staatssekretärin ein Planungsbudget vorgeschlagen, das bis 2013 reicht und das vom Ministerium gebilligt wurde. Ich glaube, dass die Denkmalschutzbehörde bisher recht gute Arbeit geleistet hat, zumindest auf dem Terrain. Aber es waren vor allem die finanziellen Rahmenbedingungen, über die keine Klarheit bestand. Intensiviert wurden auch die Synergien. Hier denke ich vor allem an die Gemeinden.

Sie arbeiten zusammen mit den Gemeinden an der Erstellung des kommunalen Bebauungsplans.

Die Gemeinden müssen im Rahmen des zu erstellenden kommunalen Bebauungsplans nicht nur das bereits unter Schutz stehende Kulturerbe, sondern auch das noch zu schützende aufführen. Hierbei waren und sind wir beratend aktiv. Alle Gemeinden sind kontaktiert und wir waren schon bei über dreißig Bürgermeistern vorstellig, um unsere Hilfe bei der Aufstellung anzubieten. Wir haben Weiterbildungen organisiert, an denen zahlreiche Gemeindevertreter und alle beratenden Büros teilgenommen haben. Auch sind wir in der Kontrollinstanz, der „Commission de l’aménagement du territoire“, vertreten. Wenn bei der Erstellung der kommunalen Bebauungspläne, die bei dieser Kommission eingehen, die Richtlinien eingehalten wurden, gibt es keine Probleme. Wenn die Pläne jedoch nicht unseren Richtlinien entsprechen und wir als Service nicht zur Beratung hinzugezogen wurden, kann kostbare Zeit verloren gehen – für den Denkmalschutz, die Gemeinden und die Privatleute, die gerne Planungssicherheit hätten. Es gibt Gemeinden, die gut mit uns zusammenarbeiten, und andere, die sich nicht melden. Wir würden es sehr begrüßen, wenn wir mit allen eine gemeinsame Auseinandersetzung zum Thema Denkmalschutz hätten. Der Input der Gemeinderäte und der Lokalhistoriker ist wichtig. In Luxemburg Stadt besteht seit einem Jahr eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Denkmalschutzbehörde und des städtischen Urbanismus-Büros, die sich regelmäßig trifft, um ein Verfahren zur Beurteilung der rund 700 Straßen in der Hauptstadt zu erarbeiten. Neben dem Kommunalen Bebauungsplan, der landesweit in Arbeit ist, gibt es als weiteres Schutzinstrument für Kulturgüter die Bautenregelungen. Auch ist der Service des Sites et Monuments in einer Reihe von Bautenkommissionen vertreten.

Vor kurzem waren Wahlen. Ihre Vorgängerin in der Denkmalschutzbehörde, Christiane Steinmetzer, meinte einmal, sie fühle sich vom Kulturministerium im Stich gelassen.

Ich habe einen Vorteil: Ich komme aus dem Haus des Kulturministeriums. Ich habe dort auch gelernt, wie man Forderungen stellt und begründet, wie man nachhakt, und dass man nicht gleich den Kopf in den Sand stecken darf. Als ich in der Denkmalschutzbehörde angefangen habe, wollte ich mir erst einmal vor Ort ein Bild machen. Es fehlte eine allgemeine Bestandsaufnahme. Wenn es diese vorher gegeben hätte, dann hätte auch meine Vorgängerin mehr erreicht. Anfang des Jahres erhielten wir zusätzliche Finanzmittel und haben zwei Leute mehr einstellen können – wenn auch nur befristet. Ich kann nicht sagen, dass ich mich im Stich gelassen fühle. Ich werde nicht derjenige sein, der Abhilfe im Lamentieren sucht; ich werde bezahlt, um mir selbst zu helfen. Meine Aufgabe ist, den Service des Sites et Monuments so zu organisieren, dass es trotzdem klappt. Gerade im Bereich der Bestandsaufnahme von Kulturgütern hat am Anfang nur eine Person gearbeitet, mittlerweile sind es fünf. Hier haben wir eine Priorität gesetzt. Natürlich fallen damit andere Dinge unter den Tisch.

Glauben Sie, dass der Denkmalschutz den ihm gebührenden Stellenwert in der Kulturpolitik hat – auch wenn etwa das Gesetzesprojekt zum Denkmalschutz seit Jahren vor sich hin welkt?

Hier müssen Sie andere Leute fragen.

Sie haben keinen Einfluss darauf?

Im Jahre 2000 wurde der erste Gesetzentwurf zum Denkmalschutz vorgelegt. Der Staatsrat war zwei Jahre damit beschäftigt, eine Stellungnahme zu erarbeiten. Ich durfte, damals mit Frau Erna Hennicot-Schoepges, den Entwurf der Chamberskommission präsentieren. Das Gesetz wurde nicht verabschiedet, denn 2004 wurde ein anderer Text vorgezogen. Seitdem war ich mehrmals mit Frau Octavie Modert in der Chamberskommission. Mit den Jahren wird ein solcher Text jedoch nicht unbedingt besser. Am Ende muss man Kompromisse machen, und der ursprüngliche Text verliert mehr und mehr seine Konturen. Dass das Gesetzesprojekt noch immer der Verabschiedung harrt, ist natürlich nicht gut. Obwohl wir mit dem Gesetzestext von 1983 eigentlich noch immer ein Instrument haben, das gut funktioniert. Im Regierungsabkommen steht, dass der Gesetzestext, so wie er jetzt vorliegt, mit kleinen Veränderungen verabschiedet werden soll. Das heißt, wir gehen in die dritte Chamberskommission mit der Hoffnung, dass es dieses Mal schneller geht.

Fehlt nicht eine wirkungsvolle juristische Handhabe, um wirklichen Schutz zu garantieren?

Das Gesetz von 1983 geht weit genug. Wenn der Bagger heute bei einem Gebäude anrückt, können wir es noch am gleichen Tag unter Schutz stellen, und die Bauarbeiten dürfen nicht fortgesetzt werden. Diese Garantie bekommen wir auch im neuen Gesetz. Dieses Veto ist jedoch nicht das Instrument, von dem wir gerne Gebrauch machen werden. Wir wollen lieber, dass Gebäude geschützt sind, bevor jemand auf die Idee kommt, sie abzureißen.

Warum wurde kein Einspruch bei der Maison Berbère erhoben, die demnächst abgerissen wird?

Juristisch hätten wir den Abriss stoppen können. Jedoch wäre dann Schadensersatz fällig geworden, da das Gebäude nicht unter Schutz gestellt worden war und der Unternehmer schon Geld investiert hatte. Auch hatte die Gemeinde eine Abrissgenehmigung erteilt ? insofern hat der Unternehmer alles richtig gemacht.

Aber sagten Sie nicht, dass jemand von Sites et Monuments in der städtischen Bautenkommission sitzt?

Als für die Maison Berbère eine Abrissgenehmigung erteilt wurde, war niemand von uns bestellt. Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich dieses Dossier nachträglich mit dem städtischen Bürgermeister Paul Helminger besprochen und noch einmal klar gemacht habe, dass wir dabei sein müssen, wenn die Stadt Luxemburg an sensiblen Stellen Abrissgenehmigungen erteilt. Unsere gemeinsame permanente Arbeitsgruppe entstand auch aus dieser Geschichte.

Mangelt es an politischem Willen?

Es gibt halt die heilige kommunale Autonomie. Nicht jeder in der kommunalen Verwaltung will sich hineinreden lassen. Die Gemeinde Luxemburg hat immerhin zugesagt, uns in Zukunft bei Umbau-Anträgen heranzuziehen.

Bis die landesweiten kommunalen Bestandsaufnahmen abgeschlossen sind, kann noch einiges verschwinden.

Das ist richtig. Wir haben erst eine juristische Handhabe, wenn die Bestandsaufnahmen fertig sind und die Gebäude auf den „inventaire supplémentaire“ gesetzt oder klassifiziert wurden. Wir sind dennoch zuversichtlich, dass der Dialog, den wir jetzt mit vielen Gemeinden pflegen, dahin führen wird, dass man nicht mehr einfach versucht, sich an uns vorbei zu schleichen und etwas abzureißen, von dem man genau weiß, dass es historischen Wert besitzt. Dass wir trotzdem in den nächsten Jahren wohl noch Bausubstanz verlieren werden, davon muss man leider ausgehen. Wir können jedoch nicht in einer Hauruck-Aktion alles unter Denkmalschutz stellen. Die Besitzer würden sich gegen eine solche Aktion wehren. Schon jetzt laufen vor dem Verwaltungsgericht eine Reihe von Verfahren, in denen unsere Begründungen geprüft werden, warum wir gewisse Gebäude schützen wollen. Früher hat der Satz „Intérêt historique et architectural“ gereicht. Das genügt heute nicht mehr. Die Leute müssen verstehen, worum es uns geht.

Wenn man sich das Schloss in Vianden ansieht, dann hat man das Gefühl, dass das technische Know-How für eine Renovierung im Sinne des Denkmalschutzes komplett fehlt.

Unsere heutigen Projektleiter sind Konservatoren, aber auch Architekten mit einer Weiterbildung als Denkmalschützer. Sie sind verantwortlich für das, was vor Ort umgesetzt wird, und stehen im ständigen Kontakt mit den Architekten und Ingenieuren. Wir arbeiten mit Handwerkern zusammen, von denen wir wissen, dass sie eine gewisse Sensibilität für den Denkmalschutz mitbringen. Leider haben wir in Luxemburg nicht sehr viele Firmen in diesem Bereich. Heute geht man bautechnisch sensibler mit dem Thema Renovierung um als in der Vergangenheit. Die Charta von Venedig stellt klar, dass bei Umbauten oder Sanierungen das neue Mauerwerk sich deutlich vom alten abheben muss. Das Viandener Schloss wurde zu 80 Prozent neu aufgebaut. Damals haben eine Reihe von Komittees, darunter auch ausländische Experten und Unesco-Vertreter, sich beraten, bevor ein Renovierungskonzept beschlossen wurde. Dass man es heute anders machen würde, liegt auf der Hand. Schließlich haben sich die Kenntnisse weiterentwickelt. Man kann heute etwa die Zusammensetzung des Mörtels aus vergangenen Jahrhunderten wieder rekonstruieren. Diese Verfahren gab es bei der Renovierung des Viandener Schlosses noch nicht. Vieles wurde mit Beton gemacht; heute weiß man, dass dies zu Katastrophen führen kann. Bei unseren Burgen und Schlössern arbeiten wir mittlerweile länger und mit größerem Finanzaufwand, da wir andere Materialien einsetzen. Doch gibt es auch andersartige Herausforderungen. So liegt etwa der Denkmalschutzbehörde ein Antrag vor, auf der Burg in Burscheid ein Nebengebäude zu errichten. Hier stellen sich dann prinzipielle Fragen: Dürfen wir hier überhaupt etwas errichten und soll es etwas werden, was eher einen zeitgenössischen Stempel trägt? Das sind Fragen, die uns zurzeit beschäftigen.

Welche Kriterien kommen beim Schutz von Innenräumen ins Spiel? Und wie weit ist etwa der Hauptsitz von Arcelor-Mittal überhaupt geschützt. Hier vermuten Denkmalschützer, dass vom historischen Innenbereich schon einiges verschwunden ist.

Im Prinzip ist es so: Steht ein Gebäude unter Schutz, so fällt die ganze Katastereinheit unter die Schutzbestimmungen, also auch die Innenräume. Wenn jemand an Gebäuden dieser Art Umbauten vornehmen will, muss der Staat seine Genehmigung erteilen. Das Arcelor-Mittal-Gebäude ist nicht geschützt. Die Kulturministerin hatte Kontakt mit Verantwortlichen von Arcelor-Mittal. Eine Begehung wird in nächster Zeit stattfinden. Auch die Kommission für Denkmalschutz hat beschlossen, das Gebäude unter Schutz zu stellen. Es ist höchste Zeit.


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