ASTI: „Die Sprache reicht zur Integration nicht“

Die „Association de soutien aux travailleurs immigré“ (Asti), die seit 1979 „gewerkschaftliche“ Arbeit im Interesse der Zuwanderer betreibt, hat seit einigen Wochen eine neue Präsidentin: Laura Zuccoli.

Laura Zuccoli wurde in Luxemburg geboren und hat italienische Eltern. Sie hat ein Studium als Sozialarbeiterin und Arbeitssoziologin absolviert. Sie ist Mutter von drei Kindern und arbeitet seit 1983 bei der ASTI. 2009 hat sie den langjährigen Präsidenten der Asti, Serge Kollwelter, abgelöst.

In welcher Weise hat sich die Arbeit oder auch die Klientel der Asti in den vergangenen Jahren verändert? Wird die Asti nicht zunehmend zum bloßen Dienstleister, der über das Immigrationsgesetz oder die Schule informiert?

1983, als ich angefangen habe, mich zu engagieren, befand sich die Asti in einer gewissen Nähe zur politischen Linken. Langsam veränderte sich diese Stellung, nicht zuletzt auch dadurch, dass uns vorgeworfen wurde, nur Forderungen zugunsten der Zuwanderer zu stellen, ohne von den eigentlichen Problemen irgendeine Ahnung zu haben. So wurde die Projektarbeit stärker ausgebaut. In den 80er Jahren beschäftigten wir uns vor allem mit dem Wahlrecht. Wir haben damals eine Liste von Diskriminierungsfaktoren zusammengestellt – also von Fakten wie etwa dem, dass in Luxemburg Ausländer alleine keine asbl gründen durften. Anfang der 90er Jahre rückte dann die Flüchtlingsproblematik abrupt in den Vordergrund. Vorher beschäftigten wir uns eher mit den Einwanderungsproblemen der portugiesischen Mitbürger, zum Beispiel wenn sie keine gültigen Aufenthaltspapiere besaßen ? Portugal wurde erst 1985 in die europäische Gemeinschaft aufgenommen. Somit veränderte sich die Klientel der Asti deutlich in ihrer Zusammensetzung. Unsere Organisation war infolge dieser Entwicklung zunehmend genötigt, sich der Probleme von Asylbewerbern anzunehmen. In der Praxis haben wir versucht, die Ausbildung dieser Bevölkerungsgruppe zu fördern ? was letztlich auch dazu geführt hat, dass die Asti in gewissem Maße zum Dienstleister wurde. Dieses Angebot ist jedoch wichtig, denn wir bekommen auf diese Weise sehr viel über die Lebensumstände und Schwierigkeiten der Betroffenen mit. Politische Forderungen wären ohne diese Erfahrungen undenkbar. Unser Angebot hat sich insgesamt vervielfältigt, jedoch haben wir es immer abgelehnt, unsere Struktur auf das ganze Land auszuweiten. Unser Interesse besteht darin, Initiativ- und Modellprojekte zu starten, jedoch nicht in landesweitem Maßstab zu leiten.

Wie werden Sie sich gegenüber dem „Comité de liaison des association d’étrangers“ (Clae) positionieren, das ja ursprünglich aus der Asti hervorgegangen ist?

Wir sind Mitglied beim Clae. Unter dieser Dachorganisation sind viele Vereinigungen von Migranten vertreten, die im Gegensatz zur Asti nicht unbedingt einen politischen, sondern eher einen kulturellen Hintergrund haben. Auch funktionieren einige Ausländer-Vereinigungen in reduzierter Weise. Das ist bei uns anders, wir haben eine eigene Dynamik und diskutieren oft ähnliche Themen wie beim Clae. Wir bieten ihm oft unsere Mitarbeit an, aber es ist so, dass wir eine Reihe von Prioritäten politischer Art haben, die mit denen des Clae nicht immer kongruent sind. Sicher setzt sich der Clae auch für Migrationsthemen ein, doch scheint diese Arbeit mittlerweile nicht immer denselben Stellenwert zu haben. Dagegen wird sehr viel Energie auf einzelne Vorhaben verwandt, wie beispielsweise das „Festival de l’Immigration“. Mit dergleichen erzielt man aber letztlich One-Shot-Ergebnisse. Als Asti wollen wir keine großen Veranstaltungen mehr tragen, sondern uns eher auf spezifische Aspekte konzentrieren. Dennoch arbeiten wir ganz aktiv mit dem Clae im Flüchtlingsrat zusammen.

Sie übernehmen den Posten der Vorsitzenden, ein Amt, das jahrelang von einem Mann besetzt war. Werden Sie andere Schwerpunkte setzen, also etwa vermehrt frauenspezifische Themen behandeln?

Ein beträchtlicher Teil unseres „Conseil d’administration“ besteht aus Frauen. Bis jetzt hatte ich nicht das Gefühl, dass Frauen benachteiligt wurden. Auch in der Vergangenheit haben wir Veranstaltungen durchgeführt, die sich spezifisch an Frauen richteten, so etwa ein Essen für „sans-papiers“, bei dem sich Politikerinnen mit den Betroffenen zusammensetzten. Wir haben dem „Conseil national des femmes“ schon eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Jedoch interessiert uns weniger das Geschlecht als viel mehr die soziale Situation einer Person. Viele Probleme haben mit der sozialen Herkunft im Sinne der sozialen Klasse, der Schul- und Berufsmöglichkeiten zu tun. Künftig wollen wir vermehrt konkrete Projekte durchführen. Das Feedback der Betroffenen ist auch für unsere politische Arbeit wichtig. Die Mitbestimmung und Integration von Zuwandern wird auch weiterhin ein wichtiges Thema der Asti bleiben. Mit dem Klimawandel wird eine neue Problematik dazukommen. Wir beschäftigen uns aber auch mit Themen, die nicht alleine Ausländer betreffen – zum Beispiel den „cheques services“, bei denen es eine ganze Reihe von Schwierigkeiten gibt. Bestimmte Themen werden uns auch durch die aktuelle Lage diktiert. Wenn beispielweise eine erzwungene Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern stattfindet oder bevorsteht, dann muss die Asti politisch reagieren. Mein persönliches Interessensgebiet ist die soziale Arbeit. Und als Projektleiterin bei der Asti bin ich jemand, der die Praxis liebt und der aus der Praxis heraus Forderungen konzeptualisieren will. Daneben will ich meine Präsidentschaft auch nutzen, um eine Reihe von Mitarbeitern zu fördern und aufzubauen. Ich finde es wichtig, dass in einer Organisation nicht alles auf eine Person konzentriert ist.

Zurzeit klappern Sie die Gemeinden wegen des „Pacte d’intégration“ ab. Worum geht es hierbei?

Bei den Gemeinden wird oft sehr viel Energie in punktuelle Aktivitäten gesteckt, bei denen aber der rote Faden fehlt. Deswegen schlagen wir den „pacte d’intégration“ vor. Hier geht es im weitesten Sinne um die Zusammenarbeit zwischen den Eltern, den Kindern, der Schule und in diesem Fall den Gemeinden, die vertraglich fixiert wird und für verschiedenartige Zwecke aktivierbar ist, zum Beispiel für das Erlernen der luxemburgischen Sprache. Die Asti setzt schon seit längerem das Konzept der Verträge in ihrer „maison relais“ um. Die Verträge regeln, in welchem Bereich sich jeder engagiert. Das Ganze ist nicht kompliziert, und es entsteht eine andere Dynamik. Anstatt nur punktuell ein Zuwanderungsfest oder Sprachenkurse zu organisieren, treten die Betroffenen früher und längerfristig in Kontakt zueinander. Es geht vor allem um das Zusammenleben. Auch ein Ausländerbeauftragter in den einzelnen Gemeinden wäre sinnvoll, eine Person, die für die Organisation des „pacte d’intégration“ und für die Netzarbeit und den Ideenaustausch unter den Gemeinden zuständig wäre.

Wird die Asti auch verstärkt bei Grenzgängern aktiv werden?

Ja, wir überlegen uns, wie man eine stärkere Kohäsion schaffen kann. Die Asti unterhält ein Modellprojekt, bei dem es um Aufenthalte in ausländischen Familien geht: Unsere Schulklassen könnten, anstatt nach Österreich oder sonstwohin zu fahren, auch in die Grenzregion gehen und dort Sprachaufenthalte durchführen. Das böte nicht nur die Gelegenheit, sich in der deutschen und französischen Sprache zu üben, sondern auch die Grenzregion besser kennenzulernen. Kinder, die die Asti im Rahmen dieses Projektes etwa nach Wittlich schickt, befinden sich oft in Familien, bei denen der Vater in Luxemburg arbeitet. Solche Familien lernen dann auch Luxemburg von einer anderen Seite kennen.

Welche Bedeutung messen Sie persönlich dem Luxemburgischen als Integrationssprache bei?

Ich glaube, diese Diskussion um das Luxemburgische ist vor allem eine emotionale Frage. Und sie ist eine Integrationsfrage in dem Sinne, dass jemand, der sich politisch, gesellschaftlich oder im Umweltbereich engagieren will, die luxemburgische Sprache kennen muss. Meine Idealvorstellung ist, dass man Sprache benutzen kann, wie man will. Das Luxemburgische an sich ist keine unabdingbare Vorraussetzung für ein gutes Engagement im Interesse des Landes. Unserem „Conseil d’administration“ gehören Ausländer an, die sich stärker für Luxemburg einsetzen als gewisse Leute am Stammtisch. Aber auch viele Luxemburger setzen sich für Zuwanderer ein, auch wenn es sich eher um eine „masse silencieuse“ handelt. Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der das Französische vorherrschend war. In der Chamber wurde Französisch gesprochen, und die Luxemburgische Sprache wurde eher belächelt und als Schulfach nicht wirklich ernst genommen. Heute ist der Hype um die Luxemburger Sprache auch Ausdruck des Bewusstseinswandels einer Gesellschaft, die merkt, dass sich vieles verändert hat und die internationalen Einflüsse immer bedeutender werden. Problematisch finde ich vor allem, dass das Erlernen der Sprache von oben diktiert wird. Ich kenne viele, die das Luxemburgische gelernt haben, jedoch in ihrem Arbeitsumfeld und Alltag gar keine Gelegenheit haben, es anzuwenden. Um hiergegen etwas zu tun, hat die Asti ein Coaching-Angebot gestartet, bei dem Sprachenschüler das Luxemburgische mit Muttersprachlern üben können. Ich kann versichern, dass gerade bei den Ausländern das Bedürfnis, die Sprache zu lernen, sehr groß ist. Dennoch stört es mich, dass die Sprache als Integrationsbarriere aufgebaut wird. Zuerst sollten die Mitbestimmungsrechte geklärt sein. Die Integration lässt sich nicht alleine an der Sprache messen, sondern auch an der Art, wie und wo jemand Kontakte knüpft ? ob das auf Deutsch, Französisch oder in einem Kauderwelsch passiert. Sind erst einmal Kontakte da, dann entsteht auch die Motivation, das Luxemburgische zu lernen. Ich bin überzeugt, dass wenn die Frage der Mitbestimmung geklärt ist, auch die luxemburgische Sprache einen Auftrieb erfährt. Ich finde, man sollte eine offene, inklusive Einstellung haben – dann kommt das Luxemburgische von alleine. Und wenn es nicht kommt, dann ist das nicht ohne Grund so. In der Wirtschaft etwa geht der Sprachgebrauch eher zum Englischen hin.


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