FOTOGRAFIE: Nichts Erflogenes

Genau wie die Musik fällt auch die Fotografie als Kunstform immer mehr einer Verallgemeinerung zum Opfer. Schnell gemacht, schnell präsentiert verliert sich das Besondere in der Masse. Vorbereitung wird durch Nachbearbeitung ersetzt, überlegtes Vorgehen durch „trial and error“. Vielleicht ist das der Grund, warum sich der Fotograf Dieter Appelt eher als Bildhauer verstanden wissen will.

So leicht die Aussage „das kann doch jeder“ zu treffen ist, so schnell schießt dem so wenig geneigten Betrachter abstrakter Gemälde oder Plastiken der Gedanke an die damit verbundene Arbeit und den Aufwand durch den Kopf.Natürlich wäre es grundweg falsch Appelts Arbeiten als abstrakt zu bezeichnen, aber man erkennt deutlich, wie hart er sich seine Motive erarbeitet und mit welcher Kunstfertigkeit er sie auf Platte zu bannen versteht, auch wenn sein Weg zuerst in eine andere Richtung wies.

Geboren 1935 in Niemegk, Brandenburg, verfolgte Appelt erst eine Karriere als Opernsänger und studierte dazu in Leipzig und später West-Berlin Musik. Erst eine Begegnung mit dem Fotografen Heinz Hajek-Halke veranlasste ihn sich auch in dieser Richtung zu engagieren und er schrieb sich zusätzlich an der Hochschule für bildende Künste in Berlin ein. Vorerst hielt er aber an der Musik fest und bekam ein Engagement an der Deutschen Oper, Berlin, konzentrierte sich aber immer mehr auf die Fotografie. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass er dort 1974 auch seine erste Ausstellung verwirklichen konnte.

Inwieweit ihm bei seiner Arbeit als Künstler und Fotograf seine musikalische Ausbildung zu Gute kam sei dahingestellt, offensichtlich ist, dass er in der Gestaltung und Ausarbeitung seiner Motive einer klassischen Ästhetik folgt. Aktuell zeigt die Galerie Clairefontaine in Luxembourg einen Überblick seiner Arbeiten in ihrem Espace 2 in der Rue St. Esprit unter dem Titel „Schmerz und Poesie“.

In seinen Fotografien macht Appelt, in Schwarz und Weiß gehalten meistens sich selbst, seltener seine Frau als Objekt zum Spiegelbild des modernen Menschen, dessen Ziellosigkeit und seiner daraus resultierenden inneren Zerrissenheit. Appelt greift dazu auf klassische Mythen und christliche Symbolik zurück, aber ob man nun hier, in esoterischen Bewegungen oder asiatischen Religionen Heilsversprechen erwartet, bleibt dabei unwesentlich. Erklärungen oder gar Antworten liefert er kaum. Im Gegenteil verstärkt er die Zweifel, offenbart die destruktiven Elemente des Glaubens und vermittelt so eine andauernde Hoffnungslosigkeit. Der Verfall ist überall, die Geburt ein Trauma, das Grab keine Ruhestätte sondern eine menschenfeindliche Grube. Gerade bei diesen Bildern zeigt sich, welchen Strapazen er sich als sein eigenes Motiv ausgesetzt hat.

Auf der anderen Seite begegnet er dem Thema aber auch mit einer gewissen Portion Humor. Etwa indem er sich selbst mit ausgebreiteten Schwingen auf einen Felsvorsprung in einer Höhle stellt, gleich der Figur des Ikarus, der fliegen will und nicht kann. Auch wenn Appelt eine besondere Affinität zu Ezra Pound hat, mag er es hier mit Nietzsches Zarathustra gehalten haben: „Wer einst fliegen lernen will, der muß erst stehn und gehn und laufen und klettern und tanzen lernen – man erfliegt das Fliegen nicht“.

Und so hat sich wohl auch Appelts Ikarus seinen Weg erklettert, bis er auf einem zweiten Bild startbereit am Ausgang der Höhle steht mit Blick in die Freiheit.

Die Galerie Clairefontaine zeigt die Ausstellung „Schmerz und Poesie“ noch bis zum 20. Februar 2010


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