GROSSREGION: Ein ewiges „Visionspapier“?

„Luxemburg und die Großregion 2030“ ist das erste Projekt, mit dem sich die Gréng Stëftung an die Öffentlichkeit wendet. Initiator Robert Garcia gab der woxx Einblicke in sein Vorhaben, zu dem ein Rundtischgespräch am 17. Juni den Auftakt bildet.

Zur Person:
Der Realität ins Auge blicken und trotzdem neue Perspektiven sichten – der ehemalige Abgeordnete der Grünen und Kulturjahrkoordinator Robert Garcia wird am kommenden Donnerstag das Rundtischgespräch zum Thema „Meine Großregion 2030 – Ansichten, Hoffnungen, Realitäten“ moderieren.

woxx: Konnte sich eine der Großregion eigene Identität bisher, bei-spielsweise im Zusammenhang mit dem Kulturjahr 2007, behaupten und sich in einer breiten Bevölkerungs-schicht durchsetzen?

Robert Garcia: Die Großregion ist ein Mythos, eine Fiktion, die bisher eigentlich nur in den Köpfen manchmal zu visionsorientierter Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft existiert und bei den Bürgern oft nur in Form des „Kaufhaushoppings“ angekommen ist. Das Zusammenwachsen zu einer tatsächlichen Großregion ist ein Prozess, der Jahrzehnte und vielleicht sogar Generationen dauert ? noch ist es also eher eine Wunschvorstellung. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Großregion heute vor allem ein technokratisches Projekt darstellt. Das ist nicht unbedingt negativ, aber breite Bevölkerungsschichten werden von ihm nicht erreicht.

Haben Sie deshalb bewusst „Meine“ Großregion als Motto des Rundtischgesprächs gewählt?

Ich habe diesen Titel gewählt, da es in unserem Projekt darum geht, den Individuen in der Großregion einfach einmal die Möglichkeit zu geben, abseits von irgendwelchen strategischen und politischen Überlegungen darüber nachzudenken, wie die Großregion in 20 Jahren aussehen könnte. Wir versuchen auch ein jüngeres Publikum zu erreichen. Die älteren Generationen haben eine andere Perspektive, sind durch die Nachkriegserfahrung geprägt. Für sie war die Entstehung der Großregion ein kolossaler Fortschritt. Der sollte der jungen Generation bereits banal erscheinen. Die Jungen müssen deshalb einen Schritt weitergehen, statt sich in Rückzugstellung zu begeben. Ich hoffe, dass sie es schaffen, einfach etwas grenzüberschreitender zu denken.

Wie muss man sich Ihr Projekt genau vorstellen?

Unser Konzept ist folgendes: Wir wollen zunächst intern Diskussionen, beziehungsweise Interviews, mit sogenannten „Stakeholders“ über die Möglichkeiten der Großregion führen. Im ersten Jahr wird es dabei besonders um die grünen Kernthemen gehen. Diese internen Interviews sollen dokumentiert und auf einer Webpage veröffentlicht werden. Die Absicht ist, hierdurch bei aufgeklärten BürgerInnen Reaktionen und Stellungnahmen anzuregen. Es soll aber mehr als ein Blog sein, Niveau und Anspruch sind Voraussetzung. Zudem sollen periodisch Rundtischgespräche stattfinden, damit das Ganze auch öffentlich diskutiert wird. Wir werden dann, in wie auch immer gearteter Form, auch die objektiven Hindernisse, die einer Konvergenz der Großregion entgegenstehen, festhalten, also zum Beispiel nationale Befugnisse, Widerstände in der allgemeinen Bevölkerung oder speziell bei den Sozialpartnern und der Wirtschaft etc. Auch die subjektiven Hindernisse, das heißt Kräfte, die aus irgendwelchen Gründen einfach keine Großregion wollen, sollen Beachtung finden. Wir wollen sowohl die Gegenbewegungen als auch die Perspektiven untersuchen, um zu vermeiden, dass wir nach den drei Jahren, die für das Projekt geplant sind, lediglich ein „ökumenisches“ Konsens-Papier vorzulegen haben.

Die zum ersten Treffen eingeladenen Gäste stellen eine sehr heterogene Konstellation dar. Nach welchen Kriterien haben Sie gerade diese Zusammensetzung gewählt?

Ich habe versucht, alle politischen Stilrichtungen einzubringen, das heißt gewerkschaftliche, unternehmerische und sozial-engagierte. Die Zusammensetzung ist schon ziemlich gemischt, das ist richtig. Santer ist jemand, der schon sehr lange bei der Sache ist und dem die Frage gestellt werden kann, ob er überhaupt noch Chancen für das Projekt der Großregion sieht. Simone Peter, die gerade neu in der Politik angekommen ist, wird gefordert sein, jüngst von ihr gemachte Behauptungen über Kooperationspotenziale im Energiesektor mit konkreten Vorschlägen zu belegen. Dann haben wir einen Vertreter aus der Wirtschaft eingeladen und einen von den Gewerkschaften, der mit Problemen der Grenzgänger, wie beispielsweise dem Lohn-Dumping, konfrontiert werden kann. Christoph Langebrink kennt die Großregion durch seine journalistische Arbeit sehr gut, sodass ich mich als Moderator immer wieder an ihn wenden kann. Die nächsten Tischrunden und öffentlichen Debatten werden thematisch pointierter ausfallen; da wird es eher darum gehen, mit Fachleuten zu diskutieren. Jetzt wollen wir dem Projekt einen ersten Schwung verleihen. Das Treffen ist ein erstes Teasing.

Wie weit spielen die Finanz- und die Wirtschaftskrise in Ihrem Projekt eine Rolle, und sind durch die Krise auch neue Herausforderungen für die Großregion in ihrer Gesamtkonzeption entstanden?

Das Gute an der Finanzkrise ist, dass Luxemburg jetzt erkennt, dass sein Bankgeheimnis, wenn nicht abgeschafft, so doch zumindest verändert werden muss. Ich erinnere mich beispielsweise noch gut, dass es Anfang der 90er ein Thesenpapier gab, das vorschlug, Luxemburg solle ein Standort für umweltfreundliche Technologien werden. Das hat aber niemanden interessiert, da es einfach wirtschaftlich nicht notwendig war. Wir hatten damals ja fast zweistellige Wachstumsraten, da erschienen solche Vorschläge als irrelevant. Jetzt auf einmal ist es zu spät, jetzt haben andere diese Nische besetzt, und die Luxemburger müssen sich etwas anderes einfallen lassen. Eine Möglichkeit wäre nun, etwas mit der Großregion zu machen und zu versuchen, ihr in Europa eine Stellung zu schaffen. Es geht jetzt darum, sich eine Strategie zu überlegen, wie diese Großregion funktionieren kann. Hier kann man auch polyzentrische Schwerpunkte setzen. Jeder Teil der Großregion könnte sich spezialisieren, aber eine reale Zusammenarbeit müsste erreicht werden, damit die Entwicklung besser gesteuert wird und die Ungleichgewichte zwischen Luxemburg und den anderen Teilen der Großregion ausbalanciert werden.

Also könnte eine weitere wirtschaftliche Verflechtung Luxemburgs mit der Großregion dazu beitragen, die monolithische Abhängigkeit vom Finanzplatz abzumildern?

Ja. Punkt.

Ist nicht gerade in Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrise die Gefahr besonders groß, dass die einzelnen Länder, Teilstaaten und „régions“ das Interesse an der Großregion verlieren, ganz einfach, weil andere Probleme in den Vordergrund getreten sind?

Ja, sicherlich auch, aber andererseits müssen die etwas weitsichtigeren Protagonisten der Zivilgesellschaft erkennen , dass der Spielraum sogar für die Bundesländer, die größer sind als Luxemburg, immer enger wird. Weder Lothringen noch das Saarland oder Rheinland-Pfalz sind die Lokomotiven ihrer Heimatstaaten. Sie müssen auch Ausschau nach anderen Perspektiven halten, statt sich darauf zu verlassen, von Bayern oder Baden-Württemberg mitgezogen zu werden. Ich finde es normaler, dass man sich zu seinen Nachbarregionen hin bewegt. Die Krise macht es andererseits schwierig, weil kein Geld für Großprojekte mehr da ist. Doch sie sollte dazu führen, dass mehr über neue Ideen nachgedacht wird und konkrete Konzepte, beispielsweise im Energiebereich, entwickelt werden. Die einzige größere grenzüberschreitende Firma ist der Energiekonzern Enovos, aber im Großen und Ganzen sind größere grenzüberschreitende Wirtschaftslokomotiven nicht vorhanden. Der Energieversorgungsbereich ist ein spannender Bereich, wir müssen andere strategische Wege finden und dann entstehen konkrete Projekte der Zusammenarbeit. Dann redet man nicht mehr nur mit allgemeinen europäischen Floskeln.

Der Aufgabe, die Zukunftsperspektiven der Großregion abzustecken und umzusetzen, widmete sich bereits das Projekt „Zukunftsbild 2020“. Wie weit baut Ihr Vorhaben auf diesem Projekt auf bzw. grenzt sich von
ihm ab?

Das Papier 2020 wurde von den Verwaltungen erstellt, und zwar auf der Ebene von Ministerialbeamten. Es hatte aber kaum praktische Resonanz. Es gab keine realistische Wertung und Einschätzung. Es hing im Raum wie eine Fata Morgana. Das Ergebnis des Projekts „Zukunftsbild 2020“ liefert konkrete Ansätze für Think Tanks, aber die Öffentlichkeit bekommt davon nichts mit. Aber gerade auf die Einbeziehung der Öffentlichkeit kommt es dem Projekt „Meine Großregion 2030“ an.

„Zukunftsbild 2020“ sieht bewusst von dem Ziel einer Institutionalisierung der Großregion ab. Ist diese aber nicht notwendig, um die Großregion wirklich handlungsfähig zu machen?

Wenn ich nicht Moderator, sondern Teilnehmer des Rundtischgesprächs wäre, dann wäre gerade dies meine Vision 2030, nämlich eine „Governance“ einzurichten, sodass die Entscheidungen in der Großregion sowohl getroffen als auch legitimiert werden. Auch wenn ich noch nicht sagen kann, dass dieses Modell wirklich das Beste wäre ? wenn ich in der Runde säße, sollte es nach meiner Überzeugung 2030 eine Governance geben!

Es gibt kritische Stimmen, die die Großregion als „zu groß“ bezeichnen. Sind nicht die bekannten administrativen Schwierigkeiten „vorprogrammiert“ in einer Region, die von Namur bis nach Mainz reicht?

Ja, auf jeden Fall. Dieser Konstruktionsfehler war auch schon während des Kulturjahres 2007 offenkundig. Etwa 90% der Initiativen kamen aus den Großräumen Trier, Saarbrücken, Metz und Luxemburg. Diese Großregion wurde einfach willkürlich administrativ definiert, denn vorher bestand sie ja ohnehin nur aus der Region SaarLorLux.

In welchem Bereich lässt sich grenzüberschreitend am ehesten etwas bewegen?

Ich denke, der wirtschaftliche Bereich wäre am interessantesten, auch wenn es nicht der einfachste ist. Kultur kann oberflächlich bessere Ergebnisse erzielen, aber sie betrifft eben nicht die Masse der Bevölkerung. Die große Bevölkerungsmasse und die direkte Verbindung mit der Sozialpolitik sind in der Wirtschaft gegeben. Es gibt ein riesiges Potenzial der wirtschaftlichen Kooperation. Wenn ich alleine an die Altbausanierung denke, das ist gigantisch! Da braucht man nicht unbedingt seine Sachen nach China zu exportieren. Es gibt auch andere Märkte, die interessant sein könnten.

 

Gréng Stëftung
Die Gréng Stëftung wurde Ende 2009 gegründet, als sich die „Green European Foundation“, der Dachverband aller grünen Stiftungen, in Luxemburg etablierte. Die Stiftung ähnelt der Heinrich Böll Stiftung in Deutschland oder Etopia in Belgien und versteht sich als Ideenschmiede für praxisorientierte Vorschläge und Initiativen, die sich den Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung annehmen.
Wenn auch eine grüne Organisation, so ist die Gréng Stëftung  doch kein einfarbiges Gebilde, denn um innovative Visionen wie den „New Green Deal“ ernsthaft bewerten und mit konkreten Projekten auch in der Großregion verwirklichen zu können, ist ihr eine große Vielfalt an unterschiedlichen Meinungen besonders wichtig. So macht es die Stiftung zu ihrer Aufgabe, auch mit Kontrahenten unterschiedliche Themen zu diskutieren. Entscheidend ist ebenfalls, möglichst viele BürgerInnen in den Dialog über Perspektiven und Hindernisse in einer von Finanz-, Wirtschafts- und Umweltkrise geprägten Gegenwart, einzubinden.
Die Stiftung  organisiert am kommenden Donnerstag, den 17. Juni im Carré Rotondes, 1, Rue de l’Aciérie, L-1112 Luxemburg ,um 18 Uhr ein Rundtischgespräch unter dem Motto „Meine Großregion 2030 – Ansichten, Hoffnungen, Realitäten“. Die Veranstaltung leitet das von der Gréng Stëftung für die kommenden drei Jahre geplante Projekt „Luxemburg und die Großregion 2030“ ein. Der Terminkalender des Projekts sieht Ende September ein öffentliches Rundtischgespräch über Verkehr, Ende Oktober über Energie und Ende November über Umwelttechnologien vor.


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