INTEGRATION: „Aufenthaltsmöglichkeit nach 30 Monaten.“

Seit 30 Jahren setzt sich die Asti für die Rechte von in Luxemburg lebenden ZuwanderInnen ein. Vor zwei Wochen verabschiedete die Organisation eine Reihe politischer Forderungen und zog Bilanz. Gespräch mit der Präsidentin, Laura Zuccoli.

Acht Jahre bis zur Regularisierung eines „sans papiers“ ist zu lang, findet Laura Zuccoli, die bereits seit 26 Jahren bei der Asti engagiert und seit 2009 deren Präsidentin ist.

woxx: Wie akzeptiert sind Zuwanderer heute ? was hat sich in den letzten 30 Jahren verändert?

Laura Zuccoli: In den letzten dreißig Jahren hat sich verändert, dass die Portugiesen EU-Bürger geworden sind, wodurch sich ihre Akzeptanz deutlich verbessert hat. Sie haben nun eine Reihe von Rechten und fühlen sich hier sicherer, als sie es damals waren. Die Portugiesen bilden natürlich noch immer die größte Gruppe; vor allem aber sind sie dadurch gekennzeichnet, dass sie die Arbeiterbevölkerung in Luxemburg sind. Neu ist in Luxemburg die Flüchtlingsproblematik. Flüchtlinge gab es zwar auch schon vorher, aber es waren nur wenige. Ab den 90er Jahren jedoch, mit dem Balkankrieg, ist bei den Luxemburgern die Sorge aufgekommen, „überwältigt“ zu werden… Die Sicht der Flüchtlinge vor allem aus Afrika, hat sich zum Teil negativ entwickelt; manchmal wurden sie in Zusammenhang mit Drogen und Kriminalität gebracht. Das hat es für manche Menschen nicht einfacher gemacht, sich hier zu integrieren. Durch die Flüchtlinge kamen „neue“ Einwanderer nach Luxemburg, die sich von den vorherigen unterschieden: Es waren zum Teil weder Europäer, noch Katholiken, oftmals Muslime, was die Luxemburger in gewissem Grade verunsichert hat. Insgesamt hat dies eine neue Multikulturalität hervorgebracht, Kapverdianer waren ja bis dahin die einzig größere nicht europäische Gruppe.

Angesichts des vergleichsweise hohen Anteils von Ausländern kann man aber doch von einem Selbstverständnis Luxemburgs als Einwanderungsland sprechen, das sich nicht zuletzt auch aus der ökonomischen Bedeutung der Zuwanderer speist. Kann sich diese Akzeptanz in einer ökonomischen Krisensituation ? wie wir sie jetzt erleben ? verschlechtern?

Wichtig sind in diesem Zusammenhang vor allem die Grenzgänger. Wir haben in unseren Kontakten mit Jugendlichen in den Schulen erlebt, dass auf den Grenzgängern zuerst herumgehackt wird. Es heißt dann, „die nehmen unsere Arbeitsplätze weg“. Die Portugiesen werden eher akzeptiert, zumal sie ja die Arbeiten machen, die sonst keiner will. Von der Krise direkt betroffen sind vor allem die weniger qualifizierten Ausländer, sie haben es besonders schwer. Man sieht ja an den Ziffern der Adem, wie schwer es Arbeitslose haben, die gering qualifiziert sind, und dieses Manko haben viele ausländische Arbeiter nun einmal. Solange es den Luxemburgern gut geht und solange sie einen Job in abgesicherten Berufen haben bzw. einen finden und sich ein Haus leisten können, werden Ausländer eher als diejenigen angesehen, die unseren hohen Lebensstandard ermöglichen.

Werden die Grenzgänger als potentielle Konkurrenten empfunden?

Ja, in gewissem Sinne. Die Luxemburger trifft man traditionell im behüteten Sektor und im Mittelfeld unserer Gesellschaftsstruktur an. Die ökonomische Spitze war schon immer multinational. Es waren zwar immer ein paar Luxemburger dabei, um die Gemüter zu beruhigen, aber das Kapital auf der oberen Ebene war nie durchweg luxemburgisch, und die Banken waren und sind es auch nicht. Die Grenzgänger befinden sich in einer gewissen Mittellage, wenn sie auch qualifiziert bis hoch qualifiziert sind.

„Das Problem ist, dass die Luxemburger von je her keine Streitkultur haben.“

Hat sich die Arbeit der Asti in den letzten Jahren durch die europäischen „Ausländer-Regelungen“, wie beispielsweise „Drittstaaten-Regelung“, Schengen etc., verändert?

Ja, schon. Einerseits dadurch, dass die Asti ihre Aktivitäten in Bereichen wie Schule oder Integration ausgeweitet hat. Andererseits haben sich durch die steigende Zahl der Einwanderer und die Flüchtlingsproblematik für die Asti neue Aufgaben ergeben, so zum Beispiel mit Flüchtlingen zu arbeiten und sich aktiv für Menschen ohne Papiere einzusetzen. Die Diskriminierung der Nicht-EU-BürgerInnen bei der Arbeit, bei der Wohnungssuche oder im Alltag wurde in unserer Arbeit viel präsenter.

Eine eindeutige Verschlechterung für Nicht-EU-BürgerInnen?

Vorher waren ja fast keine da. Das heißt, man hatte relativ geringe Erfahrungswerte. Erst ab den 90er Jahren kamen verstärkt Flüchtlinge, aber auch weiter Migranten ins Land. Es gibt eine Globalisierung der Wirtschaft und der Migrationen, die Leute reisen viel mehr, und die Zahl der Eheschließungen zwischen EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern nimmt ständig zu. Auf EU-Ebene waren schon zahlreiche Regelungen vorhanden ? auf welche wir immer wieder gepocht haben und versucht, sie zum Teil in die luxemburgische Gesetzgebung aufzunehmen. Zwischen 1972 und 2008 galt das gleiche Einwanderungsgesetz, das Nicht-EU-Bürger betraf und das wenig geändert wurde.

Das heißt, die Realität wurde lange Jahre weitgehend ausgeblendet?

Erst 2008 mit dem neuen Migrationsgesetz wurden die EU-Direktiven in Luxemburger Recht umgesetzt.

Wie viel Unterstützung erfährt die Asti von engagierten BürgerInnen? Im konkreten Fall haben gegen die Ausweisung von vier seit langem hier lebenden Nigerianern nicht mehr als eine Handvoll Leute vor dem Gefängnis in Schrassig demonstriert ?

Das Problem ist, dass die Luxemburger von jeher keine Streitkultur haben. Man geht hier nicht gleich auf die Straße, und wenn doch, ist es immer sehr strukturiert, etwa mit den Gewerkschaften. Auch die Portugiesen sind von ihrer sozialen Zusammensetzung her nicht unbedingt diejenigen, die auf die Straße gehen. Das ist nicht ihre Art. Das Potenzial zum Protestieren, das in anderen Ländern zum Beispiel durch die Studenten erzeugt wird, ist in unserer Gesellschaft wenig vorhanden. Aber andererseits gibt es hier sehr viele Leute, die sich individuell für andere Menschen einsetzen. Es gibt sehr viel Hilfsbereitschaft unter den Luxemburgern, sobald es um Einzelschicksale geht. Das haben wir bei der Flüchtlingsproblematik wie auch bei der Legalisierung des Aufenthalts von Papierlosen miterlebt, und das kriegen wir heute noch mit, wenn Leute anrufen und versuchen, einem Nachbarn zu helfen.

Stichwort „Abschiebepraxis“ in Luxemburg. In der Vergangenheit hat die Asti diese immer wieder kritisiert ? vor allen Dingen ihre Inkonsistenz. Gäbe es denn einen Fall, in dem Sie eine Abschiebung als gerechtfertigt ansehen würden?

Es gibt Regeln und die sollte man auch anwenden. Wenn eine Person ohne luxemburgische Staatsangehörigkeit im Knast sitzt, weil sie gegen das Gesetz verstoßen hat und es erwiesen ist, dass sie eine Gefahr für unsere Gesellschaft darstellt, dann ist das eine gesetzlich verankerte Regelung, welche man annehmen muss. Was mich aber stört ist, dass jemand seine Strafe absitzt und es dann heißt, „der müsste abgeschoben werden“ und so muss er im „Centre de Rétention“ weiter eingesperrt bleiben, obwohl es ja genügend Zeit vorher gab, in der die Abschiebung dieser Menschen hätte vorbereitet werden können. Damit kann man nicht einverstanden sein. Leute, deren Flüchtlingsantrag abgewiesen wurde, werden unterschiedlich behandelt. Einige müssen zurück und fragen sich warum es sie trifft und nicht andere in ähnlicher Lage. Es gibt keine Transparenz der Kriterien was mit den Leuten geschieht, nachdem diese eine endgültige Ablehnung ihres Flüchtlingsantrages erhalten haben. Es gibt keine klare Politik, wer von welcher Maßnahme betroffen ist. Jeder hofft, die Abschiebung trifft nicht ihn, sondern jemand anderen und das ist sehr ungesund. Wir finden, es wäre besser, man würde den Leuten die Bedingungen klar sagen. Wenn eine Rückführung nicht stattfinden kann, dann müssten sie eine Möglichkeit haben sich hier ein neues Leben aufzubauen. Daher unsere Forderung nach 30 Monaten eine Aufenthaltsmöglichkeit anzubieten.

Wie viele Menschen ohne Papiere leben schätzungsweise in Luxemburg?

Das kann man nicht sagen. Wenn aber in den Medien von einer „Regularisierung“ gesprochen wird, dann melden sich auf einmal viele Leute, die bei uns nachfragen, ob sie Papiere zur legalen Arbeit in Luxemburg beantragen können. Das Gesetz sieht vor, dass ein Nicht-EU-Bürger, der acht Jahre Aufenthalt ohne Papiere in Luxemburg nachweisen kann, seinen Aufenthalt legalisieren kann. Die Aussicht, acht Jahre warten zu müssen, ist sehr, sehr hart.

„Solange es den Luxemburgern gut geht und sie einen Job in einem abgesicherten Beruf haben und sich ein Haus leisten können, werden Ausländer eher als diejenigen angesehen, die unseren hohen Lebensstandard ermöglichen.“

Weshalb fordern sie eine Legalisierung nach 30 Monaten? Wie stehen Sie zu dem Grundsatz „Kein Mensch ist illegal“?

Wir können verstehen, dass es Ängste gibt, dass es auch ökonomische Hürden gibt und dass viele Menschen die Frage stellen: Kann jetzt jeder hier einen Job finden? Wir sind der Meinung, dass die Festlegung auf 30 Monate diesen Ängsten, die es ja überall in Europa gibt, Rechnung trägt. Forderungen wie diese werden übrigens auch in anderen Ländern erhoben.

Anlässlich des 30jährigen Bestehens der Asti hat Premierminister Juncker angekündigt, dass in Zukunft Ausländer in Luxemburger Kommunen für das Amt des Bürgermeisters kandidieren dürfen. Welche weiteren Schritte der Politik erwartet die Asti jetzt?

Klar, wir waren froh darüber, dass für diese politischen Verantwortungen kein Unterschied zwischen EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern gemacht werden soll. Die Richtlinien des Maastrichter Vertrages sehen vor, dass EU- Bürger zu den gleichen Bedingungen an der Wahl teilnehmen sollen wie Einheimische. Da die Luxemburger ab 18 Jahren automatisch als Wähler eingetragen werden, müssten unseres Erachtens nach die Ausländer nach Erfüllen der Bedingungen (momentan 5 Jahre Aufenthalt) auch auf der Wählerliste eingetragen werden, verbunden natürlich ? wie bei den Luxemburgern ? mit der Wahlpflicht. Das ist eine unserer Hauptforderung im Moment.

Das heißt volle rechtliche Gleichstellung für EU und Nicht-EU-Bürger?

Wir sind dafür, dass für alle Ausländer die bei uns leben, dieselben Bestimmungen gelten wie für Luxemburger.


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