SÜDAFRIKA: Kein Wintermärchen

Die Hoffnung auf positive Nachwirkungen der Fußball-WM war vergebens: Während der Weltverband Fifa Milliarden Gewinn einstreicht, bleibt das Gastgeberland auf seinen Problemen sitzen.

Die bunt gemalten Bilder vom allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung in Südafrika sind, abgesehen von Symbolen wie neu gebauten Stadien, eine Fata Morgana geblieben: Nach der WM liegt die Arbeitslosenrate bei circa 25 Prozent.

Es klingt nach einem Märchen: Eine Gruppe weißer Rugby-Fans feiert den Sieg ihrer Mannschaft, den „Blue Bulls“ aus Pretoria, im Orlando-Stadion von Soweto. Rugby galt in der Apartheid-Ära als Sport der Weißen und war lange Zeit ein Symbol für die Rassentrennung in Südafrika. Ermöglicht hat das Ereignis die Fußball-Weltmeisterschaft: Weil die Heimarena der blauen Bullen, das Loftus-Versfeld-Stadion, für die WM-Spiele benötigt wurde, musste das Rugby-Team im Mai und Juni nach Soweto ausweichen. Die Township-Bewohner jubelten den Spielern zu. Der Traum von der Versöhnung zwischen Schwarzen und Weißen in Südafrika scheint 16 Jahre nach dem Ende der Apartheid Wirklichkeit geworden zu sein.

Traumhaft sind auch die Zahlen, die der Weltfußballverband Fifa nach dem größten Sportereignis des Jahres veröffentlichte: Bei einer Umfrage unter Südafrikanern gaben 91 Prozent der Befragten an, dass das Turnier zu einer größeren Verbundenheit zwischen den Menschen der Regenbogennation geführt habe. Ein neues Selbstbewusstsein der Südafrikaner sei spürbar. Jérôme Valcke fühlt sich bestätigt: „Die WM war eine Erfolgsgeschichte“, sagte der Fifa-Generalsekretär dem verbandseigenen Magazin „Fifa World“. Das Großereignis kam auch im Ausland gut an: 98 Prozent der befragten Touristen empfanden die Stimmung im Gastgeberland als beeindruckend und kehrten mit guten Erinnerungen zurück.

„Südafrika – ein Wintermärchen?“, stellt sich die Frage in Anspielung auf das Turnier vier Jahre zuvor in Deutschland und angesichts des frostigen Winters am Kap. „Die Welt hat das Land in einem anderen Licht gesehen“, frohlockte Südafrikas Präsident Jacob Zuma. Er sprach von einem Anstieg des Bruttosozialprodukts um 0,4 Prozent und einem positiven Effekt auf Volkswirtschaft. Tourismusminister Marthinus van Schalwyk stieß ins selbe Horn: Die 100 Millionen Dollar teure Marketingkampagne zog bereits im ersten Quartal des Jahres 1,9 Millionen ausländische Besucher an – 20 Prozent mehr als sonst. Während der WM sollen eine halbe Millionen Touristen mehr gekommen sein. Finanzexperten berechneten, dass sie dem Gastgeber Einnahmen zwischen 1,5 und 1,8 Milliarden Euro bescherten. Allerdings deutlich weniger als die 4,2 bis 4,5 Milliarden Euro, die für Transport, Telekommunikation, Stadien und Sicherheit ausgegeben wurden.

Nach der Fußball-WM weist die wirtschaftliche Bilanz für Südafrika einen Nettoverlust von 2,1 Milliarden Euro auf

Angeblich hat die südafrikanische Regierung seit 2006 insgesamt 36 Milliarden Euro in die Infrastruktur gepumpt, einen beträchtlichen Teil davon in die Instandsetzung des desolaten Straßennetzes und in die Erneuerung des öffentlichen Verkehrswesens. Die Flughäfen wurden modernisiert, und der erste Hochgeschwindigkeitszug Afrikas, der Johannesburg mit dem Vorort Sandton verbindet, ging in Betrieb. Im nächsten Jahr startet der „Gautrain“ zwischen Johannesburg und Pretoria. Von den zehn WM-Stadien wurden sechs neu gebaut. Bei den meisten waren die Mehrkosten allerdings explosionsartig gestiegen. Dabei straften die Organisatoren alle Kritiker lügen, die Zweifel geäußert hatten. Alle Stadien wurden fristgerecht fertiggestellt. Die Arenen in den Metropolen dürften auch in Zukunft für mehrere Zwecke wie Fußball, Rugby oder Konzerte genutzt werden. Die Spielstätten in der Provinz hingegen drohen jedoch zu veröden.

Ernüchternd ist die Bilanz, die in der vom Schweizerischem Arbeiterhilfswerk in Auftrag gegebenen Studie „Vorläufige Evaluation der Auswirkungen der Fifa-Weltmeisterschaft auf Südafrika“ gezogen wird: Während sich das Geschäft mit dem runden Leder für die Fifa wieder einmal gelohnt hat und der Weltverband einen Gewinn von 2,27 Milliarden Euro einfuhr, den die südafrikanische Regierung sogar steuerfrei beließ, bleibt das Gastgeberland auf einem Nettoverlust von 2,1 Milliarden Euro sitzen. Gewonnen haben die wenigen Partner der Fifa, die exklusive Verträge in der Tasche hatten, sowie die großen Baufirmen. Dabei hätten vor allem mittlere und kleinere Unternehmen von den Investitionen profitieren sollen.

Auch aus dem prophezeiten Beschäftigungswunder ist nichts geworden. Zwar sind nach Regierungsangaben zur WM 415.000 Arbeitsplätze geschaffen worden. Zugleich gingen in Südafrika innerhalb eines Jahres insgesamt 627.000 Stellen verloren. Auch die mehr als 60.000 schlecht bezahlten Bauarbeiter in den Stadien sind ihre Job wieder los. Die Arbeitslosenrate liegt nach offiziellen Angaben bei etwa 25 Prozent. Dabei glaubten viele Südafrikaner, im Zuge des Großereignisses eine Arbeit zu ergattern. Doch nicht einmal die Straßenhändler machten das erhoffte Geschäft: Sie wurden von den Stadien und Fan-Meilen vertrieben. Sie störten nur den offiziellen Kommerz der Fifa und ihrer Partner.

Die gesellschaftlichen Konflikte schienen während der WM auf Eis gelegt. Der Traum von der „Regenbogennation“ lebte wieder auf. Doch von dem oft gepriesenen Zusammengehörigkeitsgefühl ist hundert Tage nach dem Finale nicht viel übrig geblieben. Die alten Konflikte werden nach dem Riesenspektakel umso unerbittlicher ausgetragen. Bereits im Vorjahr war es zu landesweiten Streiks gekommen. Zwar erholte sich die Wirtschaft Ende 2009 durch die weltweit wachsende Nachfrage nach Rohstoffen von der Rezession. Keine zwei Monate nach der WM riefen die Gewerkschaften erneut zum Streik: Im August und September gingen Krankenpfleger und Lehrer auf die Barrikaden. Auch neue Fälle von Korruption und Vetternwirtschaft, in die Mitglieder der Regierungspartei „African National Congress“ (ANC) verwickelt sind, werden wieder publik. Der Verdruss ist zurück.

Die ANC-Regierung hat bereits einen Hauptschuldigen gefunden. Die Presse schüre die Unzufriedenheit, heißt es. Eilends wurde der Entwurf für ein Gesetz zur Schaffung eines Medientribunals im Parlament eingereicht. Journalisten soll der Zugang zu Dokumenten verweigert werden können. Wer trotzdem unerlaubt an Informationen gelangt, dem droht eine Gefängnisstrafe von bis zu 25 Jahren. Südafrikanische Intellektuelle und Journalisten sehen die in der Verfassung garantierte Pressefreiheit in Gefahr. „Der ANC versucht, die Presse mundtot zu machen“, sagt Mzilikazi wa Afrika, „und das Tribunal soll uns kontrollieren.“ Der Journalist der „Sunday Times“ deckte zuletzt auf, dass der Polizeichef einen Bauauftrag ohne öffentliche Ausschreibung an ANC-Freunde vergeben hatte. Mzilikazi wurde daraufhin verhaftet, ist aber wieder auf freiem Fuß. Hunderte Intellektuelle unterzeichneten einen Aufruf der Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer zur Wahrung der Meinungsfreiheit. Der Brief ging an Präsident Jacob Zuma. Der Staatschef musste sich derweil vor allem parteiinternen Gegnern erwehren. Einer davon ist Julius Malema.

Einige Monate vor der WM hatte der Anführer der ANC-Jugendliga vor Studenten das alte Kampflied „Tötet die Buren!“ angestimmt, Präsident Zuma öffentlich kritisiert und einen kritischen BBC-Reporter aus einer Pressekonferenz geworfen. Seiner Partei brockte Malema, der als Zumas politischer Ziehsohn und potenzieller Nachfolger gilt, damit einen beträchtlichen Image-Schaden auf internationaler Ebene ein. Die ANC-Führung mahnte ihn in einem parteiinternen Disziplinarverfahren ab. Malema musste sich bei Zuma entschuldigen. Vor kurzem beendete er die ihm verordnete Zwangspause und forderte einmal mehr die Verstaatlichung der Bodenschätze und des Bergbaus sowie eine Landverteilung wie einst im Nachbarland Simbabwe: eine Zwangsenteignung der weißen Farmer mit einer vom Staat festgelegten Entschädigung.

Das wäre nicht nur Gift für Investoren, warnen Wirtschaftsexperten, sondern auch schlicht nicht bezahlbar. Der „National General Congress“, das höchste Entscheidungsgremium des ANC zwischen zwei Parteitagen, das Ende September in Durban tagte, war ein heikles Unterfangen für Zuma. Der Staatschef musste vor den Delegierten des ANC und dessen Verbündeten – Kommunistische Partei, Gewerkschaftsdachverband Cosatu, Malemas Jugendliga und ANC-Frauenliga – Stärke beweisen. Dies ist ihm gelungen. Zuma ist sich nach wie vor einer breiten Unterstützung sicher: Selbst die Kommunisten sprachen sich gegen jegliche Verstaatlichung aus, die nur dazu dienen würde, die politischen Eliten zu bereichern. Ein Denkzettel für Julius Malema und ein Punktsieg für Zuma, auch wenn die Probleme in Durban nur vertagt wurden – spätestens bis zum ANC-Kongress 2012, wenn die einstige Befreiungsbewegung ihr hundertjähriges Bestehen feiert.

Die Probleme der Energieversorgung und des Gesundheitswesens sind ebenso geblieben wie das der Kriminalität: Um das erste zu lösen, baut der staatliche Stromkonzern Eskom zwei der größten Kohlekraftwerke der Welt; das Projekt der National Health Insurance, einer allgemeinen Krankenversicherung, soll 2012 in die Startlöcher gehen; was die Kriminalität angeht, wurde zwar während der WM die Sicherheit durch einen riesigen personellen Einsatz gewährleistet, die Statistiken über den Zeitraum vom April 2009 bis März 2010 zeigen jedoch einen weiteren Anstieg von Einbrüchen und Raubüberfällen – Gewalttaten gegen Kinder und Frauen sowie Drogendelikte haben ebenfalls zugenommen.

Die Immigranten aus anderen afrikanischen Staaten fürchten sich vor einem ähnlichen Ausbruch fremdenfeindlicher Gewalt wie im Mai 2008. Diese Exzesse richteten sich nicht gegen Europäer, sondern gegen Afrikaner. Bei den etwa 60 Todesopfern der Ausschreitungen in den Armensiedlungen handelte es sich vor allem um Einwanderer aus Somalia, Mosambik und Simbabwe. Allein in der westlichen Kapprovinz wurden 18.000 Immigranten vertrieben und in „safe refugee camps“ untergebracht. Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus seien weit verbreitet, konstatiert der Integrationsforscher Norbert Kersting von der Universität Stellenbosch. Die Einwanderer aus den Nachbarländern werden – insbesondere von den einheimischen Händlern – als Konkurrenten wahrgenommen. „Sie nehmen uns die Jobs und die Frauen weg“, ist häufig zu hören. Auch werden sie für die hohe Kriminalitätsrate und die Verbreitung von Aids verantwortlich gemacht. War in der Apartheid-Ära der „Andere“ selbst Südafrikaner, sind es heute die „kwerekwere“ (Stotterer). So werden afrikanische Ausländer genannt, die keine einheimische Sprache oder diese nur mit Akzent sprechen. Sie werden selbst im studentischen Milieu diskriminiert, beobachtete Heike Becker, Professorin an der University of the Western Cape in Kapstadt. Studenten aus den Nachbarländern würden von ihren Kommilitonen nicht selten beschimpft und bedroht.

Die Frage nach der kulturellen „Identität“ und ethnischen Zugehörigkeit spiele im Südafrika von heute eine besondere Rolle, stellt die Ethnologin fest. Mit der Apartheid-Vergangenheit allein sei dies nicht zu erklären. Für die Gewalt gegen Ausländer ist nicht zuletzt die Enttäuschung über das Ausbleiben der erhofften raschen sozialen Verbesserungen verantwortlich. Die Kluft zwischen Armen und Reichen ist riesig, das Bildungssystem schlecht und jeder zweite Jugendliche unter 25 auf Jobsuche. Die Generation ohne Perspektive ist anfällig für die dumpfen Parolen eines Populisten wie Julius Malema Im Fußball erfüllte das Nationalteam „Bafana Bafana“ nicht die Erwartungen seiner Anhänger und scheiterte in der Vorrunde. In der Politik steht Jacob Zuma unter Erfolgsdruck. Den Frust über sein etwaiges Scheitern könnten leicht wieder die afrikanischen Einwanderer zu spüren bekommen, die „kwerekwere“.

Bustos Domecq arbeitet als freier Autor für die woxx.


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