REPORTAGE: Die Klimagipfelstadt und der Müll

Noch bis zum 10. Dezember tagt im mexikanischen Cancún der Weltklimagipfel. Die Stadt ist alles andere als ein Vorzeigebeispiel für nachhaltige Entwicklung.

Das Hotel Moon Palace, Veranstaltungsort des Klimagipfels, wurde illegal auf Mangrovenwäldern errichtet.

Villas Otoch ist einer jener gesichtslosen Vororte an den Rändern Cancúns, einer Stadt, die selbst in ihrem Zentrum erschreckend gesichtslos ist. Kleine einstöckige Reihenhäuser, in hellem Gelb gestrichen, prägen das Bild. In einem der Häuser verarbeitet eine Maschine ratternd Maisstärke zu einem Teig, der dann auf heißen Platten zu Tortillas ausgebacken wird. Vor anderen Häusern stehen Nachbarn zusammen und unterhalten sich. Die Szenerie wirkt fast schon idyllisch.

Wenn da nicht dieser Geruch wäre, der immer wieder in die Nase steigt. Mal penetrant, fast schon beißend, dann wieder kaum spürbar, aber immer da. Es riecht faul, nach verschimmelten Abfällen. Wenn es geregnet hat, ist der Gestank besonders schlimm – und treibt die Bewohner zur Verzweiflung. Dichtes Gestrüpp, das direkt hinter den Häusern beginnt, verdeckt den Blick auf die Mülldeponie. Geier kreisen über der Halde: zwanzig, dreißig, vielleicht mehr. Ein beeindruckender Anblick – aber wohl nur, wenn man nicht hier zu leben gezwungen ist.

Die Deponie ist die einzige in Cancún. Der Müll stammt vor allem aus der Zona Hotelera, der Hotelzone, und wird hier am Rande der Stadt abgeladen. Wie so vieles in der Stadt ist auch das Müllproblem eine Folge zu schnellen, ungeregelten Wachstums und mangelhafter bzw. nichtexistenter Planung. Bis in die 1960er Jahre war Cancún eine weitgehend unberührte Insel an der Karibikküste mit einigen wenigen Fischerdörfern. Dann beschloss die mexikanische Regierung 1969 gemeinsam mit Privatinvestoren, hier einen Urlaubsort zu errichten, um den Tourismus im Südosten des Landes anzukurbeln. Ein Hotel nach dem anderen wurde errichtet; Cancún begann, fast ungebremst zu wachsen. Heute ist Cancún eine Großstadt mit 900.000 Einwohnern. Anders als in anderen mexikanischen Städten findet man in Cancún weder einen zentralen Platz noch eine alte Kathedrale oder sonstige historische Bauwerke. Stattdessen bestimmen breite Avenidas, Shopping Malls und eingezäunte Residenzen das Bild.

Deponie in Riechweite

Cancún ist vor allem Tourismus – mit allen Problemen die dieser mit sich bringt: Zerstörung der Mangrovenwälder, Überangebot an Hotelbetten, erodierende Strände, Luftverschmutzung und eben eine zusammenbrechende Müllentsorgung. Und die Stadt wächst unaufhörlich weiter, vor allem an den Rändern, der Kehrseite der schönen heilen Tourismuswelt mit ihren mehrstöckigen Bettenburgen an weißen Sandstränden und türkisblauem Meer. Die meisten Bewohner Cancúns sind Zuwanderer aus allen Teilen des Landes, die die relativ guten Verdienstmöglichkeiten im Tourismus und den angegliederten Dienstleistungsbetrieben hierher gelockt haben.

Einer von ihnen ist Sinar Martínez, der vor fünf Jahren aus Tapachula, Chiapas, nach Cancún gekommen ist und nun in Villas Otoch lebt ? in Riechweite der Mülldeponie. Er arbeitet für den privaten Wasserversorger AguaCan, der die städtischen Haushalte mit Trinkwasser beliefert. „Die meisten hier arbeiten jedoch in der nahegelegenen Coca-Cola-Fabrik“, erklärt er. Seit dem 29. November versuchen Delegationen aus aller Welt auf der 16. Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen in Cancún, über Maßnahmen zur Begrenzung des Kohlendioxidausstoßes und zum Stopp der Erderwärmung eine Einigung zu erzielen. „Ach, das ist weit weg“, wischt Martínez das Thema vom Tisch. „In der Zeitung schreiben sie, das wäre gut für die Stadt, das würde den Tourismus ankurbeln.“ Er sieht nicht danach aus, als habe er sich darüber schon Gedanken gemacht. Von den Gipfelteilnehmern oder Touristen wird sich ohnehin niemand hierher nach Villa Otoch verirren; selbst von den Bewohnern des Zentrums kennen viele die Gegend nur vom Hörensagen oder aus der Zeitung: wegen der Müllkippe.

„Die Siedlung hier wurde vor fünf Jahren gebaut“, erklärt Martínez mit leicht melancholischem Blick. Er wirkt ein bisschen so, als bereue er es, hierher gezogen zu sein. Wer kann es ihm verdenken. Die wenigen befestigten Straßen sind in schlechtem Zustand. Selbst wenn es nur kurz regnet, wie heute morgen, stehen einige Straßen sofort unter Wasser, da es keine Abflüsse gibt.

„Man hätte es ja wissen können; die Müllkippe gab es schon vorher. Trotzdem hatten wir wohl gehofft, dass es eine Lösung geben könnte.“ Doch die gibt es bis heute nicht. „Politiker waren einige hier, Leute von der Umweltbehörde. Alle haben sie Versprechungen gemacht, vor allem, wenn Wahlen anstanden. Passiert ist nie etwas.“ Es ist mehr Enttäuschung als Ärger in Martínez‘ Stimme. „Es gab Zusagen, die Mülldeponie zu verlegen.“ An der Schnellstraße nach Mérida sollte eine neue Deponie gebaut werden. „Auch Greg Sánchez war ein paar Mal da und hat versprochen, etwas zu tun“, erklärt Martínez versonnen. „Er hätte vielleicht etwas bewirken können ? mit seinem Einfluss und seinen Beziehungen.“

Gregorio „Greg“ Sánchez von der sozialdemokratischen PRD war auf gutem Wege, Gouverneur des Bundesstaates Quintana Roo zu werden. Als Oberbürgermeister von Cancún hatte er auch einige Mal Villas Otoch besucht und sich die Klagen der Anwohner angehört. Die Verlegung der Mülldeponie hätte ihm hier in jedem Fall eine Menge Stimmen eingebracht. Doch am 25. Mai dieses Jahres, anderthalb Monate vor den Regionalwahlen, die wohl erfolgreich für ihn ausgegangen wären, wurde er verhaftet und sitzt seitdem im Knast – wegen Verbindungen zur organisierten Kriminalität und Betrugs in Millionenhöhe. Seine Partei beschuldigte den politischen Gegner, unsaubere Methoden anzuwenden, doch war Sanchez selbst bereits zuvor wegen diverser dubioser Geschäfte ins Visier der Justiz geraten. So hatte er illegalerweise versucht, den Malecón, die Esplanade von Cancún, zu privatisieren, und wurde verdächtigt, in die Schleuserei kubanischer Flüchtlinge verwickelt zu sein.

Die Nationale Wasserbehörde Conagua und die Umweltbehörde Seduma verhinderten schließlich die Verlegung der Deponie. Sie befürchteten, dass die Müllhalde die Trinkwasserreservoirs kontaminieren könnte. Allerdings gab es keinerlei technische Studien, die diese Befürchtung untermauert hätten.

„Es gab Demonstrationen, Petitionen, sogar eine Blockade der Müllhalde, die aber von der Polizei aufgelöst wurde.“ Sinar Martínez wirkt ratlos. „Ein anderes Problem sind die überall herumliegenden Müllsäcke“, sagt er plötzlich und deutet auf einige verschnürte Plastiksäcke am Straßenrand. Vor fast jedem Haus stehen einer oder zwei. „Die Leute stellen sie schon nicht mehr raus, weil streunende Hunde auf der Suche nach Nahrung alles durchwühlen.“

Dem Müllentsorger Domos ist gerade erst dieser Tage von der Stadtverwaltung die Konzession entzogen worden, da er seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllte. Überall in der Stadt stapelt sich der nicht eingesammelte Müll. Bemerkenswert ist, dass Domos von Anfang an, das heißt seit der Aufnahme des Betriebs im Januar 2009, gegen Vereinbarungen verstieß. So verfügte der Entsorger nie über die ausreichende Anzahl von Müllautos und war nicht zuletzt deshalb nie in der Lage, die Routen planmäßig abzufahren. Zudem hatte es schon bei der Ausschreibung Unregelmäßigkeiten gegeben.

Martínez Nachbarin Eugenia Zavala schaltet sich in das Gespräch ein. „Die Müllhalde und der Gestank sind das bestimmende Thema hier in der Gegend. Jeder in der Nachbarschaft wird das bestätigen.“ Der Gestank mache die Leute krank ? Kopfschmerzen, Grippe, Hautkrankheiten. Sie selbst sei wegen Ausschlags in Behandlung gewesen. Zunehmend aufgebracht erklärt sie: „Es kann nicht sein, dass meine Kinder ständig Hautkrankheiten haben und dass ihre Sachen stinken wegen der schlechten Gerüche von der Deponie.“ Auch Martínez klagt öfters über Kopfschmerzen.

Illegales Klimagipfelhotel

Ein weiteres Problem ist die Abwasserentsorgung, wie auch die Nachbarin betont. Sogar die Explosion in dem Ferienkomplex Hotel Princess Riviera Maya vor wenigen Wochen hatte mit Abwasser zu tun. Durch ein Leck in der Abwasserleitung war mutmaßlich Methangas in ein Gewölbe unter der Hotellobby gelangt, hatte sich dort gesammelt und schließlich die Explosion verursacht. Dabei waren sieben Menschen umgekommen und 18 weitere verletzt worden. Zunächst war vermutet worden, das Gas sei durch die Zersetzung der Mangroven entstanden, auf denen das Hotel errichtet wurde. Dies wird mittlerweile ausgeschlossen; doch haben Untersuchungen ergeben, dass beim Bau des Hotels gegen eine Reihe von Umweltauflagen verstoßen wurde. So waren rund 54 Hektar Mangrovenwälder illegal abgeholzt und dort Gebäude des Hotels errichtet worden. Ironischerweise wurde selbst das Moon Palace, Versammlungsort des Klimagipfels, wegen der illegalen Errichtung von Hotelbauten auf Mangroven verurteilt.

Mangrovenwälder bedecken eine Fläche von 65.000 Hektar im Bundesstaat Quintana Roo; jedes Jahr gehen fünf Prozent verloren. Neben der Bewahrung der Artenvielfalt haben sie eine reinigende Funktion und schützen die Küsten vor Hurrikanen, Sturmfluten und Erosion. Außerdem binden die Mangroven Kohlendioxid.

Die Gründe für das Verschwinden der Mangrovenwälder sind bei der mächtigen Hotelindustrie zu suchen. Die Staatsanwaltschaft für Umweltschutz schätzt die Anzahl der Hotelbetten auf 36.852; 5.862 mehr als offiziell genehmigt. Ursache der Diskrepanz sind illegale Ausbauten wie im Hotel Princess. Auch wird das Abwasser aus den Hotels nicht selten direkt in die Mangroven geleitet.

Die Hotelzone mit ihren Problemen ist für Martínez eher weit weg, auch wenn diese ihn direkt betreffen. Denn der Müll landet direkt vor seiner Haustür. „Wegziehen geht nicht, da die Häuser zum Großteil noch nicht abbezahlt sind“, sagt Zavala resignierend. Dann verschwindet sie schnell im Haus, da ein kurzer Schauer niedergeht. Und dafür sorgt, dass der Gestank wieder besonders penetrant herüberweht.

Nicht die Verlegung der Müllhalde wurde am Ende beschlossen, sondern ihr Ausbau! Aber es soll Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe gegeben haben. Die Bewohner von Villas Otoch haben derweil 36.000 Flyer gedruckt, „gesponsort von den kleinen Geschäftsleuten der Gegend, die ihre Geschäfte wegen des Gestanks bedroht sehen“, erklärt Martínez. „Von den Nachbarn hat jeder gegeben, was er hatte oder geben wollte – 1000, 500 oder 10 Pesos.“ Die Flugblätter rufen dazu auf, in diesem Jahr die Grundmiete nicht zu zahlen. Ein erneuter Versuch, die Verlegung der Deponie doch noch zu erreichen. „Uns bleibt doch nichts übrig, als weiter zu kämpfen.“

Andreas Knobloch ist freier Journalist und berichtet aus Cancún für die woxx.


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