Das gescheiterte Misstrauensvotum hat die Krise der Regierung von Silvio Berlusconi nicht beendet. Seine Koalitionspartner fordern Neuwahlen, gleichzeitig radikalisiert sich der soziale Konflikt.
„Wir brauchen eine präventiveAktion!“ Maurizio Gasparri, Fraktionsvorsitzender der rechtskonservativen Regierungspartei Volk der Freiheit (PDL) im italienischen Senat, geht der Vorschlag, den sein Innenminister zuvor gemacht hatte, nicht weit genug. Roberto Maroni hatte angeregt, ähnlich dem Stadionverbot für Hooligans, auffällig gewordenen Demonstranten die Teilnahme an Protesten zu verbieten. Gasparri möchte vermeintlich stadtbekannte Rädelsführer dagegen bereits vorbeugend verhaften lassen. Angesichts der Radikalisierung der sozialen Proteste gibt sich die zerstrittene Rechte einträchtig. Auch Gianfranco Finis neu gegründete Rechtspartei „Zukunft und Freiheit für Italien“ (FLI) unterstützt die vorige Woche gegen die „Stadtguerilla“ eingeleiteten Repressionsmaßnahmen, insbesondere die gegen den Willen der römischen Präfektur angekündigte Ausweitung der sogenannten roten Zone.
Obwohl anlässlich des Misstrauensvotums gegen Ministerpräsident Silvio Berlusconi am Dienstag voriger Woche die Straßen und Plätze rund um das Parlament und den Senat weiträumig abgesperrt worden waren, war es mehreren hundert Teilnehmern einer imposanten Demonstration von Schülern, Studenten und Mitgliedern der Metallgewerkschaft Fiom gelungen, über die Piazza del Popolo in Richtung Parlament vorzustoßen. In der Via del Corso kam es zu einer kurzen, spektakulären Auseinandersetzung mit der Polizei: Müllsäcke, Pflastersteine und Feuerwerkskörper flogen, Abfalleimer und mehrere Fahrzeuge gingen in Flammen auf. Rauchschwaden stiegen in den Winterhimmel, der Brandgeruch vermischte sich mit dem Tränengas. „Rom brennt!“, meldeten die Presseagenturen. Das Feuer war rasch gelöscht, doch noch bis in die späten Abendstunden zogen Gruppen von Jugendlichen in euphorischer Stimmung durch die Innenstadt. „Und das ist erst der Anfang!“ Die Sprechchöre klangen noch nicht wie eine Drohung, sie glichen eher Freudengesängen.
Berlusconi hatte die Abstimmung noch einmal knapp für sich entscheiden können, doch wie die zerbrochenen Vitrinen und verwüsteten Weihnachtsdekorationen zeigen, wächst der Widerstand. Der Kontrast zwischen der gespenstischen Leere hinter der abgeriegelten Sicherheitszone und der entschlossen auftretenden Masse der Demonstranten spiegelt sich seit Tagen in der politischen Auseinandersetzung. Verbarrikadierten sich die Parlamentarier am Abstimmungstag hinter den gepanzerten Polizeifahrzeugen, so verschanzen sie sich in der Debatte hinter rhetorischen Floskeln und historischen Stereotypen.
Gianfranco Finis politisches Projekt einer „modernen“ Rechten ist gescheitert.
Die Regierungskrise ist trotz des Scheiterns des Misstrauensvotums nicht zu Ende. Berlusconi konnte zwar der Opposition einige Abgeordnete abwerben, doch mit der knappen Mehrheit von nur drei Stimmen wird er nicht dauerhaft regieren können. Noch gibt sich der Regierungschef wie gewohnt siegessicher. Unbeeindruckt von den Vorwürfen, sich die entscheidenden Stimmen beim Misstrauensvotum durch Korruption gesichert zu haben, kündigte er an, in der Weihnachtspause durch „persönliche Gespräche“ weitere Oppositionsmitglieder für seine Partei zu gewinnen. Sein Koalitionspartner, die Lega Nord, tritt dagegen für Neuwahlen ein, in der Überzeugung, Berlusconi werde die Koalition im Frühjahr noch einmal zum Sieg führen können. Gleichzeitig geht das Werben um die politische Mitte weiter. Bisher hat Pierferdinando Casini von der Union der Christdemokraten (UdC) Berlusconis offene Einladung, in der anstehenden Kabinettsumbildung einen Ministerposten zu übernehmen, abgelehnt. Stattdessen hat er mit Berlusconis Erzrivalen Gianfranco Fini und weiteren Splittergruppen der katholisch-konservativen Mitte ein „Bündnis für die Nation“ geschlossen. Dieser „dritte Pol“ wird auch von der Führung der Demokratischen Partei (PD) umworben, die weiterhin für die Einrichtung einer parteiübergreifenden „Übergangsregierung“ zur Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes eintritt. Insbesondere der PD verhält sich in der Debatte so, als ginge die Regierungskrise nach der gescheiterten Abwahl Berlusconis einfach in die nächste Runde.
Dagegen markiert der 14. Dezember einen Wendepunkt: Finis politisches Projekt einer „modernen“ Rechten ist gescheitert. Es gelang ihm nicht, seine parlamentarischen Anhänger zusammenzuhalten, die FLI fiel am Abstimmungstag auseinander, mehrere Fraktionsmitglieder stimmten im entscheidenden Moment gegen den von ihrer eigenen Partei eingereichten Misstrauensantrag. Damit sicherten sie einer korrupt-mafiösen, chauvinistischen Rechten noch einmal die Mehrheit. Gleichzeitig wurde offensichtlich, dass die Strategie der Demokraten, Fini die Rolle des Oppositionsführers zu überlassen, von Anfang an falsch war. Die teilweise handgreifliche parlamentarische Debatte machte deutlich, dass es im Streit um Berlusconis Erbe allein um die Zusammensetzung der zukünftigen Rechten geht, um die Fortsetzung des „Berlusconismus ohne Berlusconi“.
Die Demokratische Partei hat der Neuformierung der italienischen Rechten nichts entgegenzusetzen. Zwar hat sie einige Tage vor dem Misstrauensvotum ihre Mitglieder mit Bussen und Schiffen aus ganz Italien zu einer Kundgebung in die Hauptstadt geschickt, doch die Veranstaltung setzte eher die Schwäche der vermeintlich größten Oppositionspartei in Szene als die viel beschworene „Alternative“. Auf dem Platz stand keine kämpferische Linke, sondern eine gut situierte Mittelschicht, die ihren Dissens während des Vorprogramms durch das Mitsingen sozialkritischer Schlager zum Ausdruck brachte.
Der Protest jener, die sowohl gegen die Machenschaften der Rechten als auch gegen die Zurückhaltung der Demokraten opponieren, radikalisiert sich.
Der feine Unterschied zur Rechten manifestiert sich nicht in einer alternativen Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialpolitik. Es geht den Demokraten nicht um eine andere Politik, sondern um eine andere Moral. Dass die Parteiführung weiterhin darauf setzt, die angestrebte „moralische Erneuerung des Landes“ in einer gemeinsamen „Befreiungsfront“ mit den Christdemokraten und dem Postfaschisten Fini herbeizuführen, kann nur als politische Bankrotterklärung verstanden werden.
Angesichts dieser parteipolitischen Konstellation radikalisiert sich der Protest jener, die sowohl gegen die Machenschaften der Rechten als auch gegen die Zurückhaltung der Demokraten opponieren. Zuletzt schlug deshalb auch einer hochverehrten linken Symbolfigur wie dem Autor Roberto Saviano scharfe Kritik entgegen, als er die moralisch-paternalistische Warnung ausgab, die Gewalt von „50 oder 100 Schwachköpfen“ schade der gerechten Sache der friedlichen Demonstranten. Nicht die blinde Wut einiger weniger „Jungs“ ließ die Proteste eskalieren, sondern das Bewusstsein unzähliger Demonstrationsteilnehmer, der Arroganz der Regierung entgegenwirken zu müssen. Nicht nur die allseits konstatierte „Verzweiflung“ angesichts der wirtschaftlichen und kulturellen Misere des Landes führte zur Radikalisierung des Konflikts, sondern auch der Entschluss, der Gewalt des Staatsapparats entgegenzutreten. Deshalb wurde die „rote Zone“ von Hunderten Demonstranten durchbrochen – auch und gerade von Frauen und Männern, die sich der Polizei keinesfalls heroisch entgegen warfen, aber auch nicht einfach zurückweichen wollten.
Die Proteste werden weitergehen, solange die sozialen Konflikte von den parlamentarischen Parteien ignoriert oder kriminalisiert werden. Und sie werden sich weiter radikalisieren, solange es keiner politischen Partei gelingt, den Widerstand zu institutionalisieren. Als einzige Integrationsfigur drängt sich Apuliens Regionalpräsident Nichi Vendola auf. Trotz seiner katholisch-pazifistischen Biographie verzichtete er auf eine ausdrückliche Verurteilung der „Rebellion“. Gleichzeitig starteten seine Unterstützer – im Hinblick auf die im Frühjahr wohl unvermeidlich werdenden vorgezogenen Parlamentswahlen – via Internet die Kampagne „Es gibt ein besseres Italien“ (www.ceunitaliamigliore.it). Vendolas eigenmächtige Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten stellt die Demokratische Partei vor eine Zerreißprobe. Die Spaltung dieses hybriden Gebildes aus ehemaligen Kommunisten und linken Christdemokraten böte immerhin die Chance für ein neues linkes Bündnis in Italien.
Catrin Dingler ist freie Journalistin und lebt zwischen Rom und Stuttgart.