FOTOGRAFIE: Nur Geduld

Die Schwarz-Weiß-Fotografie, die als Diapositiv an die Wand geworfen wird, zeigt zwei schick beschuhte Füße. Daneben eine Schildkröte, deren Hals von einer Leine umschlungen ist, die ihren Weg nach oben nimmt, aus dem Bildrahmen heraus. Die Fotografie ist inszeniert und heißt Dandy’s Walk. Sie erinnert an die Tatsache, dass Mitte des 19. Jahrhunderts Dandys das arbeitssame Bürgertum verhöhnten, indem sie Schildkröten an der Leine spazieren führten. Soviel Zeit hatten sie, soviel Zeit konnten sie sich nehmen.

Eigentlich will diese Situation, die Cyrill Lachauer hier festgehalten hat, nicht so recht in die Ausstellung passen, lässt den Betrachter eine Spur zu sehr schmunzeln im Vergleich zu den anderen Arbeiten. Auf der anderen Seite ist die Aussage, die dahinter steht auch ein Schlüssel, der die gesamte Ausstellung zu einer Einheit zusammenführt. Es ist der Apell sich Zeit zu nehmen, die „Entschleunigung“ unserer Gesellschaft, die in den Arbeiten mitschwingt, die aktuell in der Galerie Artgentik in Luxembourg gezeigt werden. Unter dem etwas seltsam anmutenden Titel „Beihirsche hinterm Feuchtblatt“ werden hier einige Werke des Luxemburgers Mike Bourscheid und der beiden Deutschen Cyrill Lachauer und Alexander Hicks präsentiert.

Kennengelernt haben sie sich durch ihre gemeinsame Leidenschaft für das Klettern und Bergsteigen. Diese Erfahrungen fließen auch in ihre Arbeiten ein und schlagen sich deutlich darin nieder. Dabei beschreiten sie in ihrer Motivfindung unterschiedliche Wege. Bourscheid etwa konzentriert sich im Wesentlichen auf die Eindrücke, die er quasi direkt vor seiner Haustür einfangen kann. So entstand mit Geduld und auch einer großen Portion Glück eine Fotografie von einem Feld hinter seinem Haus. Auf der Nachtaufnahme, die nur spärlich von einer Taschenlampe erhellt ist, kann man auf einer Kuppe zwischen Bäumen zwei Wildschweine mehr erahnen als sehen. Doch gerade in seiner Schemenhaftigkeit verdeutlicht sie die Unberechenbarkeit unseres natürlichen Umfelds.

Die beiden Deutschen, die sich schon mehr als ein Jahrzehnt kennen und sich bei vielen Arbeiten auch gegenseitig unterstützen, suchen ihre Motive eher in der Ferne. Dabei weist Lachauer aber explizit darauf hin, dass es ihm nicht darum geht, besonders exotische Ansichten zu präsentieren und Menschen in ihrer kulturellen, uns meist fremden Umgebung abzulichten als seien sie Tiere in einem Zoo. Vielmehr sucht er nach Alltäglichem, das dem Betrachter viel Freiraum lassen soll für eigene Interpretationen. Das Hauptaugenmerk wird bei dieser Ausstellung allerdings schnell bei dem Dokumentarfilm von Alexander Hicks hängen bleiben. Hicks, dessen Filme schon einige Male für Aufsehen sorgten, erzählt hier in einer Viertelstunde die Lebensgeschichte seines Großvaters, dessen Biografie vor absonderlichen Vorkommnissen und in ihrer Menge kaum zu glaubenden Schicksalsschlägen strotzt. Dies alles vor dem Hintergrund einer Seilschaft, die versucht einen Berg zu erklimmen, aber letztlich diesen Aufstieg abbrechen muss. Auch hier ist wieder die Geduld das zentrale Element. Trotz aller Sicherheit und trügerischer Hoffnungen lässt sich die Zukunft auch für uns nicht vorhersehen und so schon gar nicht vollständig planen. Oft muss man Umwege in Kauf nehmen.

Und hier darf lässt sich auch die eigentliche Bedeutung des Ausstellungstitels finden : Wenn Hirsche um das Vorrecht kämpfen, die weiblichen Tiere begatten zu dürfen, dann bleiben zwangsläufig einige außen vor. Diese Beihirsche können nur darauf hoffen, eines Tages die Rolle des Platzhirschs zu übernehmen oder auf anderen Wegen an ihr Ziel zu kommen: das sogenannte Feuchtblatt der Hirschkuh. Fast scheint es als sei Hicks Film der Platzhirsch der Ausstellung, dennoch sollte man als Betrachter auch die anderen Arbeiten nicht unterschätzen oder gar übersehen. Es lohnt sich allemal.

„Beihirsche hinterm Feuchtblatt“, in der Galerie Artgentik noch bis zum 5. Februar 2011.


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