Bei den Parlamentswahlen im Iran setzten sich die Konservativen klar durch, doch das Prestige von Mahmoud Ahmadinejad sinkt. Als Weichenstellung für die kommenden Präsidentschaftswahlen kann das Ergebnis ohnehin nicht gewertet werden.
Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei war mit dem Wahlausgang zufrieden. Bevor noch alle Stimmen ausgezählt waren, dankte er den Bürgern des Landes. „Erneut hat eure glorreiche und kraftvolle Anwesenheit die Verschwörungen der Feinde zu Fall gebracht und ihre psychologische Kriegsführung für eine geringe Wahlbeteiligung wurde zu einer leeren Seifenblase“, erklärte das geistliche und politische Oberhaupt des Iran. „Ich danke euch zutiefst. Ihr habt nationale Einheit demonstriert, besonders die jungen Menschen, die laut Statistik in großer Zahl an der Wahl teilgenommen haben.“
Seine Zufriedenheit ist verständlich, denn nach Angaben des Innenministeriums betrug die Wahlbeteiligung rund 60 Prozent. Trotz wachsender Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation des Landes sind damit, sollte die Zahl denn stimmen, mehr Menschen zur Wahl gegangen als vor vier Jahren – und dies, obwohl das Spektrum der politischen Alternativen äußerst eingeschränkt war. Bei der vorigen Parlamentswahl betrug die Beteiligung nur 51 Prozent.
Im Iran ist es beinah wichtiger, dass gewählt und nicht was gewählt wird. Nachdem Ex-Präsident Mohammad Chatami seinen Einfluss durch Zögerlichkeit und Halbherzigkeiten verspielt hatte, sorgte das Regime schon im Vorfeld dafür, dass es mit dem Wahlausgang leben kann. So wurden die meisten der reformorientierten Kandidaten bereits im Vorfeld disqualifiziert. Mehr als 1.700 Kandidaten wurden durch den „Wächterrat“ von der Wahl ausgeschlossen. 110 Bewerber des Oppositionsbündnisses blieben noch übrig, die schon rein mathematisch keine Mehrheit der 290 zu vergebenen Sitze erringen konnten. Den Rest konnten die Konservativen der verschiedensten Schattierungen unter sich aufteilen.
Die endgültige Zusammensetzung des neuen Parlaments wird wahrscheinlich erst in einem Monat bekannt sein, da in zahlreichen Stimmbezirken noch Stichwahlen stattfinden müssen. Nach dem gegenwärtigen Stand der Auszählung lässt sich aber erkennen, dass unter den Konservativen nicht unerwartet die Vereinigte Front der Prinzipientreuen, die sich noch am ehesten dem Spektrum von Präsident Mahmoud Ahmadinejad zurechnen lässt, den größten Block bilden wird. Der Rest der Stimmen verteilt sich auf Gruppen wie die Breite Koalition der Prinzipientreuen, die sich von der Front abgespalten hat, sowie auf eine Reihe von „moderaten“ Konservativen.
Geändert hat sich der Charakter des Parlaments. Es werden weniger Kleriker vertreten sein – ihre Stelle nehmen Mitglieder Revolutionären Garden ein.
Die Stimmabgabe selbst ist nicht einfach: Im Iran muss jeder Wähler die Namen seiner Favoriten per Hand auf den Wahlzettel schreiben, was bei mehreren hundert Bewerbern recht unübersichtlich sein kann. Kandidaten schließen sich deshalb zu Listen mit jeweils einer Galionsfigur an der Spitze zusammen, die kleine Zettel mit Namen verteilen, an denen sich die Wähler orientieren können. Programmatische Unterschiede sind nicht immer einfach auszumachen. Der offizielle Wahlkampf dauert nur eine Woche. Öffentliche Auftritte der Bewerber finden nur selten statt, Debatten, beispielsweise im Fernsehen, so gut wie gar nicht. Amtierende Politiker dürfen nicht attackiert werden, die „Einheit des Landes“ muss gewahrt werden. Was der jeweilige Bewerber konkret für Pläne zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit oder Inflation hat, werden die Wähler nie erfahren. So müssen sie sich bei ihrer Entscheidung daran orientieren, welchen Kandidaten sie kennen und wem sie vertrauen.
Die Listen wiederum sollen es weniger bekannten Bewerbern ermöglichen, am Rockschoß der Prominenten ins Parlament einzuziehen. Es handelt sich eher um Freundeskreise oder auch Zweckbündnisse als um etablierte Parteien mit ausgearbeiteten Programmen. Zudem muss nicht zwangsläufig jeder Parlamentarier, der ähnliche Positionen wie Ahmadinejad vertritt, den Präsidenten auch unterstützen. Mit seiner arroganten Art hatte Ahmadinejad, der im Wahlkampf nicht in Erscheinung getreten ist, schon im letzten Parlament seine Unterstützer schnell verprellt. Einige der von ihm vorgeschlagenen Minister fielen durch, zwei wurden abgewählt, und zu Beginn des Jahres rügte sogar der Ahmadinejad zugeneigte Revolutionsführer Khamenei den Präsidenten, auch für ihn gelte, was das Parlament beschließt.
Zu erwarten ist, dass im neuen Parlament Politiker vertreten sein werden, die bereit sind, Ahmadinejad offen die Stirn zu bieten. Dazu gehört beispielsweise der ehemalige Chefunterhändler in der Atomkontroverse, Ali Larijani, der auf Bitten der Leiter der religiösen Seminare in Qom angetreten ist und mehr als 70 Prozent der Stimmen erhielt.
Als einzige organisierte Opposition werden auch die so genannten Reformer wieder im Parlament vertreten sein, die sich glücklich schätzen, nicht völlig von der politischen Landkarte getilgt worden zu sein. Sie haben sogar noch die Chance, über ihre bisherigen 40 Sitze hinaus noch ein paar weitere hinzuzugewinnen. Im alten Parlament haben sie aber kaum auf sich aufmerksam machen können. Von den staatlichen Medien werden sie so gut wie ignoriert, und sie sind untereinander zu uneins, um eine wirkliche Alternative zur Politik Ahmadinejads zu formulieren.
Ahmadinejad hat sich nie besonders um das Parlament geschert und beispielsweise weit mehr Geld ausgegeben, als ihm der Haushalt zugestand. Solange er die Rückendeckung des Revolutionsführers hat, der seinen konfrontativen Kurs in der Atompolitik schätzt, kann er sich dies auch erlauben. Bei der Formulierung der Außen- wie der Atompolitik spielt das Parlament allemal nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Geändert hat sich allenfalls der Charakter des Parlaments. Es werden weniger Kleriker vertreten sein. Ihre Stelle nehmen Mitglieder der Revolutionären Garden ein. Die Generation der Mullahs, die 1979 beim Sturz des Schah noch eine Rolle gespielt haben, ist in die Jahre gekommen und die Jungen zeigen nur ein geringes Interesse an politischen Ämtern. Die Revolutionären Garden sind zum neuen Machtzentrum geworden. Untereinander gut vernetzt übernehmen sie mehr und mehr politische Positionen. Obwohl nicht wenige von ihnen inzwischen von „Wächtern der Revolution“ zu wohlsituierten Geschäftsleuten mutiert sind, vertreten sie eher eine stramme ideologische Linie und besitzen wenig Toleranz für Andersdenkende.
Es wäre voreilig, im Ausgang dieser Wahlen bereits eine Weichenstellung für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr zu sehen. Diese finden nach anderen Regeln statt. Für die Wähler sind die Alternativen deutlicher. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, der rapide zunehmenden Inflation von offiziell 19, real aber eher 30 Prozent sowie der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit wächst die Unzufriedenheit an der aktuellen Politik. Ahmadinejads Popularität sinkt, aber er sollte mit seinem Image als Vertreter der Armen und Entrechteten sowie seinen religiösen Appellen nicht unterschätzt werden.
Die große Unbekannte in der iranischen Politik ist, welche Entscheidung im Zentrum der Macht gefällt wird. Ahmadinejad kam mit Unterstützung des Revolutionsführers ins Amt, weil nach einem Mann gesucht wurde, der nach der Zeit der Reformer den „Geist der Revolution“ wiederbeleben konnte und dem Westen gegenüber selbstbewusst auftreten würde. Das Regime verfügt über ausreichende Mittel, seinen Favoriten dann auch durchzusetzen.
Wie geschickt das Regime seine Möglichkeiten einzusetzen versteht, beweist die hohe Beteiligung an dieser Wahl. Sehr nüchtern wurde abgewogen, dass es die Bevölkerung vor allem schätzt, durch die Stimmabgabe gehört zu werden. Die Appelle an die nationale wie religiöse Pflicht fallen immer noch auf fruchtbaren Boden, und mit Hilfe der Moscheen und weitverzweigter Organisationen wie der Basij-Miliz oder der Revolutionären Garden kann man viele Menschen mobilisieren.
Es gelang sogar, die zunehmende Lethargie der jungen Generation in den Städten zu kompensieren, die nicht mehr daran glauben mag, dass sich dieses System zum Besseren ändern lässt, und die sich von der Politik abwendet. Die Verantwortlichen im Zentrum der Macht sind klug genug, diesen Trend zu erkennen, wie der Hinweis des Revolutionsführers auf die „jungen Menschen“ belegt. Sie erkennen auch, dass die Kluft zwischen den vielen Armen und den wenigen Reichen immer größer wird, und dass die Mittelschicht wirtschaftlich stark unter Druck steht. Genauso wie sie wissen, dass die Frage, wieso die Öleinnahmen steigen und es trotzdem ökonomisch bergab geht, immer dringlicher gestellt wird.
Nach den Parlamentswahlen sitzt das Regime weiter fest im Sattel. Ob das so bleibt, wird auch von der Antwort auf diese Frage abhängen.
Martin Ebbing arbeitet als freier Autor und lebt in Teheran.