FOTOGRAFIE: Zeugengesichter

Zeugen des Zweiten Weltkrieges sollen dabei helfen, das kollektive Gedächtnis wach zu halten. Zu diesem Zweck hat der Luxemburger Journalist und Fotograf Tom Hermes in einem engagierten Projekt über vier Jahre hinweg von 2007 bis 2010 noch lebende Zeitzeugen besucht, die in besonderem Maße von der Besatzung Luxemburgs durch die Deutschen betroffen waren, hat sie porträtiert und ihre Lebensläufe zusammengefasst. Eine Auswahl dieser Fotografien bildet nun die Grundlage für die Ausstellung „Témoins / Zeugen“, die aktuell im Musée national de la Résistance in Esch gezeigt wird.

Dicht an dicht nebeneinander im Karree hängen dort die überdimensionierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen ihrer vom Alter mit Falten und Runzeln gezeichneten Gesichter. Allen gemein ist der Versuch jede Gefühlsregung zu unterdrücken, dennoch erkennt man bei dem einen noch ein diebisches Funkeln in den Augen, wohingegen bei einem anderen schwere Schicksalsschläge die Freude aus dem Gesicht aufgelöscht zu haben scheinen.

Bei jeder Fotografie sind auf einem kleinen Kärtchen neben Namen und Lebensdaten auch ihre wichtigsten Stationen während des Zweiten Weltkrieges vermerkt. Dabei spielt es für Tom Hermes keine Rolle, ob es sich bei den Abgelichteten um aktive Widerständler, Zwangsrekrutierte, Deportierte oder um Freiwillige in einer der Alliierten Armeen handelt. Vielmehr ist es gerade sein Anliegen, diese Unterscheidung zurück zu nehmen und zu zeigen, dass jeder aus diesen verschiedenen Gruppen seinen Teil der Last hat tragen müssen. Insgesamt hat Tom Hermes 72 dieser Porträts in einem Bildband zusammengefasst, in der Ausstellung ist davon gut ein Drittel zu sehen. Die Zeugen im hohen Alter zu porträtieren ist ein origineller Ansatz, und dass die Zeit drängt, zeigen diejenigen Kärtchen auf denen neben dem Geburtsjahr auch das Todesjahr notiert ist. Es sind tatsächlich einige, die aus dieser Runde im Zeitraum des Projektes bereits gestorben sind.

Leider bleibt der Versuch im originellen Ansatz stecken. Zu wenig konsequent ist das Projekt umgesetzt, denn der Besucher erfährt im Grunde nichts. Die sogenannten Biografien, die den Porträts zugeordnet sind, beziehen sich allein auf die Zeit des zweiten Weltkrieges und sind derart stark zusammengefasst, dass sie im Grunde austauschbar sind. Darüber hinaus wird diesen Menschen ein Leben vor und nach dem Kriege, nach ihrem – zum Teil sicher – heldenhaften Einsatz, rundweg abgesprochen. Allein beim Porträt von Jean ?Bim‘ Diederich wird kurz darauf hingewiesen, dass er nach 1945 noch sechs Mal an der Tour de France teilgenommen hat – die andere Möglichkeit in Luxemburg zum Helden zu werden.

Merkwürdig, dass man weder verstehen noch nachvollziehen kann, wie auf deutscher Seite aus einfachen Arbeitern und Angestellten scheinbar gefühllose Monster werden konnten, wenn man sich auf der anderen nicht einmal die Frage stellt, wie aus im Grunde den gleichen Menschen mehr oder weniger Helden werden konnten, diese stattdessen aus ihrem Zusammenhang reißt, auf ein Podest stellt und ihnen quasi ein Leben im Alltag abspricht. So werden keine Vorbilder geschaffen. Gerade hierzu hätte die Ausstellung aber tatsächlich beitragen können, zu erkennen, dass auch „Vorbilder“ nicht in einem Elfenbeinturm leben, sondern einfache Menschen sind, die nach ihrem Vermögen Zivilcourage gezeigt haben. Was folglich bleibt ist der Eindruck von Fahndungsfotos. Der Aufruf, die Zeitzeugen zu stellen und mit ihnen zu reden, etwas über ihr Leben zu erfahren, bevor diese Quelle versiegt. Aber gerade diese Informationen sind es, die letztlich fehlen.

Tom Hermes „Témoins – Zeugen“ im Musée National de la Résistance in Esch. Noch bis zum 1. Mai.


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