GROßBRITANNIEN: Brüten für die Bombe

Trotz der Atomkatastrophe in Japan will die britische Regierung acht neue Reaktoren errichten. Nach Investoren wird allerdings noch gesucht.

Hier fand der erste Atomunfall in Großbritannien statt: 1956 brach im Brutreaktor Windscale bei Sellafield ein Feuer aus, worauf tagelang große Mengen Radioaktivität freigesetzt wurden.

Chris Huhne hat es nicht eilig. Der liberaldemokratische Energieminister sagte nach der Atomkatastrophe in Fukushima, man wolle keine überhasteten Entscheidungen treffen. Die britische Regierung hat eine Untersuchung über die Sicherheit der britischen Reaktoren in Auftrag gegeben. Deren Ergebnisse, die im Mai erwartet werden, wolle man abwarten.

Der Energieminister gilt eigentlich als Atomkraftgegner. In der Opposition hatte er als energiepolitischer Sprecher der Liberaldemokraten noch im Jahr 2007 die Nuklearenergie als eine „gescheiterte Technologie“ bezeichnet und ein Ende der politischen Unterstützung der Atomindustrie gefordert. Doch im Koalitionsvertrag mit den Konservativen ließen sich die Liberalen auf einen Kompromiss ein, demzufolge, wie bereits von der Labour-Regierung geplant, mindestens acht Atomkraftwerke einer „neuen Generation“ gebaut werden sollten.

Für die Reaktorneubauten soll es allerdings keine staatlichen Subventionen mehr geben. Doch bereits vor der Katastrophe in Fukushima war klar, dass es Investitionen in Atomkraftwerke nicht ohne solche Subventionen geben wird, zu hoch wäre das Haftungsrisiko bei Unfällen, aber auch die Kosten des Normalbetriebs, vor allem der Lagerung des Atommülls, wollen die Betreiber nicht übernehmen. Der stellvertretende Premierminister Nick Clegg stellte nun fest, dass sich angesichts der Katastrophe in Fukushima das „Investitionsklima“ für Atomkraftwerke deutlich verschlechtert habe und daher die britische „Nuklearrenaissance“ in Schwierigkeiten kommen könne.

Die konservativen Koalitionspartner wollen von solchen Zweifeln nichts wissen. Tim Yeo, der umweltpolitische Sprecher der Tories, sagte, eine Abkehr von der Atomkraft wäre ein großer Fehler: „Sollte Großbritannien seine Ausbaupläne verzögern, hätte dies drei unvermeidliche Konsequenzen.“ Die Energiepreise würden steigen und Großbritannien würde seine Ziele bei der Reduzierung der Kohlendioxidemissionen verfehlen. Auch das älteste Argument aller Atomkraftbefürworter ließ Yeo nicht aus: Ohne Nuklearenergie drohe das Licht auszugehen.

Die oppositionelle Labour Party unterstützt die Atomkraft und trägt gegenwärtig durch ostentatives Schweigen dazu bei, dass eine öffentliche Debatte über die Zukunft der Nuklearenergie in Großbritannien weitgehend vermieden wird. Atomkraftgegner gibt es in der Medienöffentlichkeit wenige. Die Grünen stellen bloß eine Abgeordnete im britischen Unterhaus. Überdies haben sich maßgebliche Leute aus der einflussreichen Umweltschutzbewegung nach der Katastrophe in Japan sofort mit Reden zur Verteidigung der Atomkraft zu Wort gemeldet.

Georg Monbiot, Publizist bei der britischen Tageszeitung „Guardian“ und Klimaschützer, sah sich zu einer Lobrede auf die Atomkraft veranlasst. Er sei nun viel mehr von Nuklearenergie überzeugt als zuvor, denn schließlich habe selbst das veraltete Atomkraftwerk Fukushima das Erdbeben und die Flutwelle „einigermaßen heil überstanden“. „Niedrigstrahlung“ sei ohnehin zu vernachlässigen, und die Lobby der AKW-Gegner schüre Hysterie, meint Monbiot. Der Umweltschützer Mark Lynas bot sogar an, Milch, Spinat und Bohnen mit überhöhten Strahlenwerten zu essen, um zu zeigen, wie harmlos die Katastrophe gewesen sei. Monbiot und Lynas schätzen die Risiken des Klimawandels so hoch ein, dass sie die Nuklearenergie für vertretbar halten.

Nicht alle britischen Umweltschützer sind derart atomkraftfreundlich. Die NGO Friends of the Earth gab nach der Katastrophe eine Umfrage in Auftrag, derzufolge die Briten gegenüber der Atomkraft skeptischer als zuvor sind. Demnach ist die Unterstützung für die Nuklearenergie um zwölf Prozent auf 35 Prozent gefallen, während 28 Prozent Atomkraftwerke ablehnen, ein Zuwachs von 19 Prozent gegenüber einer vergleichbaren Umfrage aus dem Jahr 2008. Doch in den britischen Medien finden sich zahlreiche Beiträge von Wissenschaftlern und Wissenschaftsjournalisten, die das Geschehen in Fukushima zum Anlass nahmen, die Atomkraft zu verteidigen.

Einige britische Umweltschützer schätzen die Risiken des Klimawandels so hoch ein, dass sie die Nuklearenergie für vertretbar halten.

Der Ausstieg wäre möglich, Großbritannien ist nicht von der Atomkraft abhängig. Gegenwärtig produzieren dort 20 Reaktoren etwa 18 Prozent des Stroms. Keine Partei will den Anteil erhöhen, doch stehen die meisten der Reaktoren vor ihrem Betriebsende und müssen bis 2020 abgeschaltet werden. Die Industrie war bereits von der Labour-Regierung aufgefordert worden, neue Reaktoren zu planen, doch immer deutlicher wird, dass sie ohne politische Unterstützung, also staatliche Mitfinanzierung, nicht investieren wird. Weil das der Koalitionsvereinbarung widerspricht, plant die Regierung eine indirekte Subventionspolitik. Das neue Energiegesetz sieht zum Beispiel einen Garantiepreis für Emissionszertifikate vor, wenn der Preis dieser carbon credits, die zur Emission von Kohlendioxid berechtigen, zu niedrig liegen sollte. Die Gewinne werden an die Stromunternehmen ausgezahlt, die kein Kohlendioxid emittieren, unter anderem an Konzerne, die neue Atomkraftwerke bauen.

Catherine Mitchell, Professorin für Energiewirtschaft an der Universität Exeter, sieht in dieser Maßnahme ein Täuschungsmanöver. Die Regierung wolle die Atomkraft fördern, allerdings möchte sie nicht zugeben, dass diese subventioniert werden muss. Unklar bleibe, warum die Regierung auf der Förderung der Atomkraft beharre.

Um das zu verstehen, muss man allerdings weiter in die Vergangenheit schauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es der britischen Regierung zunächst darum, so schnell wie möglich Atombomben herzustellen. Deshalb begann man in den Fünfzigerjahren, im ersten britischen Reaktor in Windscale Plutonium zu erbrüten. Die Eile bei der nuklearen Rüstung hatte schwerwiegende Konsequenzen. 1956 brach im Brutreaktor Windscale ein Feuer aus, tagelang wurden große Mengen Radioaktivität freigesetzt, eine Kernschmelze konnte gerade noch abgewendet werden. Von dem Unfall in Windscale erfuhr die britische Bevölkerung jahrelang nichts, auf der Bewertungsskala für „nukleare Ereignisse“ (Ines) wird er auf Stufe 5 eingeordnet, wie die Katastrophe in Fukushima bis zur vergangenen Woche.

Im Jahr 2002 ereignete sich in der gleichen Anlage, die nun Sellafield heißt, ein Unfall der Stufe 3, Millionen Liter radioaktiv verseuchten Wassers liefen aus der dortigen Wiederaufbereitungsanlage. Doch nach wie vor unterliegt die gesamte Anlage wegen ihrer militärischen Nutzung besonderen Geheimhaltungskriterien. Eine offene Diskussion, zum Beispiel über die erhöhte Leukämierate in der Umgebung von Sellafield, kann es daher kaum geben.

Als in der vorigen Woche die japanischen Behörden mitteilten, dass sie die Reaktorkatastrophe nun als einen Unfall der Stufe 7 ansehen, gab es einmal mehr beschwichtigende Informationen auf der Website der BBC und anderer britischer Medien. Bei der BBC hieß es, dass die Einstufung in die Kategorie der Katastrophe von Tschernobyl nichts mit der tatsächlichen Gefahr für die Menschen in der Umgebung zu tun habe. Zwar seien etwa zehn Prozent der in Tschernobyl ausgetretenen Radioaktivität frei geworden, doch sei der Unfall weitaus harmloser, da die radioaktiven Substanzen nicht durch eine Explosion verbreitet wurden. Dass der Konzern Tepco, der Betreiber der Reaktoren von Fukushima, eine erste Entschädigung von 400 Millionen Dollar an die Evakuierten zahlen muss, dürfte den Enthusiasmus der britischen Energiekonzerne für die Atomenergie allerdings weiter dämpfen.

Fabian Frenzel berichtet für die woxx aus Großbritannien.


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