EUROKRISE: Auch Mister Euro kennt Europas Grenzen

Jean-Claude Juncker ist ein beliebter Interviewpartner bei ARD und ZDF. Dort schlägt der Chef der Eurogruppe europäischere Töne an als manch anderer Regierungschef. Doch dies entspricht nicht immer der Politik, die der Premierminister in EU-Gremien vertritt. Auf der europäischen Tribüne bahnt sich für die Luxemburger Polit-Nummer Eins der Abschied an.

Die Kommission an der Spitze einer europäischen Wirtschaftsregierung?
Jean-Claude Juncker hat seine Zweifel: „Brüssel hat der Chamber nichts zu sagen.“

Ob im Interview im Heute-Journal oder in der Debatte mit Europa-Parlamentariern: Jean-Claude Juncker ist der etwas „andere“ EU-Politiker. Das liegt nicht nur an seiner unkonventionellen und zuweilen schnoddrigen Ausdrucksweise, die sich vom gestelzten und geglätteten Politikersprech manch anderer Regierungschefs abhebt. Als Repräsentant eines kleinen Staates gilt der Luxemburger Premier eher als andere als „unparteiisch“, ihm kauft man eine authentische, nicht von nationalen Interessen getrübte, europäische Denke ab. Sein Vermögen, Live-Interviews mühelos in mehreren Sprachen zu geben, macht ihn bei der ausländischen Presse besonders beliebt und unterstreicht das Bild des Muster-Europäers. Ein Chef der Eurogruppe, der alles andere als unnahbar und meist bereit ist, über die komplizierte Welt der Eurofinanzen auch für Nicht-Wirtschaftsjournalisten halbwegs verständliche Statements abzugeben. Dabei setzt die seit langem in Luxemburger Politbarometern unschlagbare Nummer eins durchaus europäische Prioritäten: Nicht selten kommt die nationale Presse bei Interviewanfragen an zweiter Stelle.

Hört man genau hin, argumentiert Jean-Claude Juncker längst nicht immer europäischer als seine KollegInnen. „Sie beschreiben mich hier als Täter und als Opfer“, stellte der Chef der Eurogruppe Ende September im Straßburger Europaparlament fest, als er den Abgeordneten Rede und Antwort zur Situation des Euro stand. Der Chef der europäischen Sozialdemokraten hatte ihm eine Frage als „Premierminister von Luxemburg“, und als solcher als „Mitglied des Clubs der Intergouvernementalisten“ gestellt. „Wir wissen von Ihnen, dass sie keiner sind“, schmeichelte Martin Schulz seinem Opfer, „aber ich muss Sie zunächst einmal in Haftung nehmen für ihre liebenswerten Kollegen und Kolleginnen, mit denen sie ja regelmäßig zusammensitzen.“ Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone seien es schließlich, welche die gemeinschaftliche europäische Methode des Regierens derer zwischen einzelnen Staaten vorziehen würden. „Was sagt denn der Premierminister Luxemburgs dazu, dass der Chef der Euro-Gruppe ausgebootet werden soll?“, fragt Schulz ganz direkt. Solchen Fragen weicht Juncker wie so oft diplomatisch aus. „Ich trage den Vorschlag von Frau Merkel und Herrn Sarkozy mit, Herrn van Rompuy zum Präsidenten der Euroformation des Europäischen Rates zu ernennen“. Herr von Rompuy sei es als Präsident des Europäischen Rates gewohnt, eine Gruppe von 27 zu betreuen und könne dies sicher ohne große Umstellung für 17 tun. Muskeln zeigen gegen das Duo Merkozy? Diese Performance überlässt der Premier seinem Finanzminister, der sich weniger auf der europäischen Tribüne produziert, sondern vorwiegend zu Hause vor dem landeseigenen Publikum. Erfahrungsgemäß trifft dort Kritik am deutsch-französischen Diktat auf fruchtbaren Boden.

Eine solche personelle Arbeitsaufteilung in der Kommunikationspolitik bringt Vorteile: Das, was auf der europäischen Tribüne nach außen verkündet wird, kann der heimischen Wählerschaft zu Hause auf andere Art und Weise nahegelegt werden. Als nach dem sommerlichen deutsch-französischen Gipfel der Vorschlag einer europäischen Wirtschaftsregierung Einzug in die Debatte hielt, wetterte Luc Frieden anders als der Chef der Eurogruppe zunächst einmal dagegen. Da schien es in der Luxemburger Regierung auch niemanden zu stören, dass der Luxemburger Finanzminister mitten im Land des Erfinders der viel diskutierten Eurobonds in dieser Sache Vorsicht und Zurückhaltung predigte. Europäische Staatsanleihen seien kein Instrument gegen die Krise, so Frieden, der damit ganz auf der Linie der zuvor kritisierten deutschen Kanzlerin lag.

Merkozy braucht Mister Euro nicht mehr

Dass Jean-Claude Junckers Visionen für eine „méthode communautaire“ der europäischen Union deutliche Grenzen gesetzt sind, zeigte sich in einer weiteren Debatte im Europaparlament. Mit Fassung trugen es die Parlamentarier, als sie vom Präsidenten der Eurogruppe zu einer ihrer zentralen Forderungen für den Weg aus der Finanzkrise einen Korb bekamen. „Die Kompetenz einer europäischen Wirtschaftsregierung liegt bei der europäischen Kommission“, hatte der Kommissionspräsident in Straßburg unter viel Beifall festgestellt. Demzufolge liege die Verantwortung des Vorsitzes einer solchen Regierung beim Wirtschaftskommissar, so José Manuel Barroso. Dasselbe unterstreichen seit Wochen Liberale, Sozialdemokraten und Grüne im Parlament. Sollte man so weit gehen? „Je m´interroge“, lautete Junckers Reaktion auf diesen Vorschlag. Man brauche sich nicht einzubilden, dass die Regierungen eines Tages vollkommen aus dem Entscheidungsfeld der Eurozone oder der Europäischen Union verschwinden werden. „Sie können dieses Gerüst nicht zerstören.“ Im Interview mit der Luxemburger Presse wird der Eurogruppenchef, jetzt wieder ganz Premierminister, noch deutlicher: „Ein EU-Kommissar hat kein Recht, einen nationalen Haushaltsplan umzuschreiben und es nicht die Aufgabe Brüssels, der Chamber Vorschriften zu machen.“

Junckers Argument, die Kommission könne schließlich nicht gleichzeitig Gesetze vorschlagen und auch darüber entscheiden, ist indessen wenig überzeugend. Dasselbe Szenario spielt sich immerhin seit Jahren in den Ministerräten und im europäischen Rat ab. Dass Jean-Claude Juncker als langjähriger Regierungschef des Finanzplatzes Luxemburg maßgeblich mitverantwortlich ist für die traditionelle Politik des Festhaltens an heute europaweit kritisierten Instrumenten wie Bankgeheimnis und Steuervergünstigungen, stand seinem guten Ruf als Muster-Europäer erstaunlicherweise nicht überall im Wege. Etwa im Europaparlament, wo Martin Schulz dem Luxemburger Premier attestiert, „exakt der richtige Mann“ für den Posten des permanenten Chefs der Eurogruppe zu sein. Junckers Mandat läuft im Juni aus. In der deutsch-französischen EU-Kaderschmiede steht der einstige Zögling von Helmut Kohl heute nicht mehr hoch im Kurs. Als vor drei Jahren Franz Müntefering publikumswirksam Soldaten in Steueroasen wie Luxemburg entsenden wollte und der frühere deutsche Finanzminister Peer Steinbrück das Großherzogtum auf eine Stufe mit Ouagadougu stellte, begann Jean-Claude Juncker aus dem Kreis derer auszuscheiden, die in dieser europäischen Union für höhere Jobs gehandelt werden. Sein nicht immer sehr überzeugendes Management der sich zuspitzenden Eurokrise tat ein Übriges. „Ich bin absolut nicht an diesem Posten interessiert“, versicherte der Staatsminister der heimischen Presse in einem eilig anberaumten Briefing nach einer weiteren Debatte im Parlament. Sein Desinteresse kommt nicht zur Unzeit, denn seine Kandidatur würde heute wohl kaum mehr Berücksichtigung finden.

Martin Schulz rang dem Premierminister Jean-Claude Juncker vor der Straßburger Vollversammlung dann doch noch ein „europäisches“ Versprechen ab. Sollte Herman van Rompuy tatsächlich zum Vorsitzenden der europäischen Wirtschaftsregierung ernannt werden, müsse sichergestellt sein, dass er in seiner neuen Funktion auch dem Europäischen Parlament gegenüber verantwortlich gemacht wird „Sind Sie bereit, als Premierminister Luxemburgs den Beschluss nur dann mitzutragen?“, fragte Schulz. Unter großem Beifall lautete Junckers knappe Antwort: „Ja!“ Ob dieses Versprechen eingelöst wird oder nicht, steht derzeit noch nicht fest. Die jüngsten Gipfelbeschlüsse lassen noch viel Interpretationsspielraum im Hinblick darauf, ob das Parlament gestärkt oder geschwächt wurde. Welche Meinungen und Vetos neben David Cameron die anderen 26 Regierungschefs in der EU-Runde jeweils vertreten haben, bleibt weiterhin hinter den geschlossen Türen der Verhandlungsräume auf Brüsseler Gipfel verborgen. Dies liefert somit für spätere Stellungnahmen den nötigen nationalen und europäischen Spielraum.


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