FRAUENBEWEGUNG IN LUXEMBURG: 40 Jahre Rechtfertigung

20 Jahre Cid-femmes und 40 Jahre MLF. Die Luxemburger Frauenbewegung feiert einen doppelten Geburtstag mit einem Buch, das eine Gratwanderung zwischen Institutionalisierung und Authentizität dokumentiert.

Als Jean-Claude Juncker 1995 seine CSV-Parteikollegin Marie-Josée Jacobs zur Ministerin für Frauenförderung ernannte, nahm er nicht nur seinem Koalitionspartner LSAP, sondern auch der grünen und linken Opposition mit ihren Forderungen nach Gleichstellung der Frauen den Wind aus den Segeln. Er dokumentierte damit aber auch den teilweisen Erfolg einer jener „neuen sozialen Bewegungen“, die in der Folge der 68er Revolten entstanden waren und deren Forderungen zunächst in homöopathischen Dosen, dann aber in größerem Umfang in die Realität umgesetzt wurden.

Anders als die Umwelt- oder Internationalismus/Dritte-Welt-Bewegung, deren spezifische „Ministerien“ bereits eine Dekade zuvor ins Leben gerufen worden waren, hatten die „Emanzen“ des Mouvement de Libération des Femmes (MLF) von Anfang an mit großen Vorurteilen zu kämpfen. Obwohl die meisten ihrer Anliegen heute als Selbstverständlichkeit erscheinen, stehen sie bis heute unter dem Generalverdacht, weniger aus politischer Überzeugung als aus persönlicher Frustration heraus zu operieren. Sogar linke „fortschrittsgläubige“ Politiker sprachen der „Bewegung“ bisweilen die Daseinsberechtigung ab und stuften ihre Erfolgsaussichten als gering ein.

Das von der Historikerin Sonja Kmec in Zusammenarbeit mit dem Cid-femmes herausgegebene Buch „Das Gespenst des Feminismus; Frauenbewegung in Luxemburg – gestern – heute – morgen“ dokumentiert eine zwiespältige Entwicklung, die angesichts des Erreichten sicherlich als Success-Story eingeschätzt werden kann, bei den Beteiligten aber durchaus unterschiedliche Erinnerungen hervorruft.

Die Protagonistinnen kommen ausgiebig zu Wort, basiert doch das Buch, neben einer ausführlichen Aufarbeitung des MLF-Archivs, auf mehreren sogenannten „Erzählcafés“, in denen frühere und heutige Aktivistinnen über ihre Erfahrungen mit und in der Frauenbewegung diskutieren und teilweise recht divergierende Meinungen über den damaligen Kampf und das seither Erreichte zum Besten geben.

Die Historikerin Nadine Geisler zeichnet die Anfänge des MLF nach. Ihr 50-seitiger Rückblick auf zwei Dekaden Frauenbewegung geht auf ihre Masterarbeit zurück, ist aber, trotz des wissenschaftlichen Anspruchs, recht lesbar – das übliche Fußnoten-Wirrwarr wurde ganz leserInnenfreundlich ans Ende des umfangreichsten Kapitels gestellt. Aber auch die zahlreichen Bilddokumente und Faksimiles alter Flugblätter und Plakate machen Lust, das Buch nach und nach als Ganzes zu entdecken.

Von den militanten Anfängen mit den teilweise kompromisslosen Ansprüchen der Bewegung – am symbolträchtigsten dürfte der 1974 vollzogene „Ausschluss“ der Männer sein – bis hin zur Institutionalisierung, die dann zum staatlich geförderten und auch für Männer zugänglichen Cid-femmes führte, wird den LeserInnen reichlicher Stoff geboten – auch Vieles über weniger bekannte, oder weniger nach außen getragene Aktivitäten des MLF, wie etwa die Theatergruppe oder die Lesbenberatung.

Reformresistenter CSV-Staat

Als der MLF gegründet wurde, befand sich Luxemburg hinsichtlich der Geschlechtergleichheit im internationalen Vergleich auf Steinzeit-Niveau. Verheiratete Frauen wurden per Gesetz für unmündig erklärt, ein Bankkonto konnten sie nur mit der Genehmigung des Ehemanns eröffnen. Im CSV-Staat hatte es bis dahin eine einzige Frau zur Ministerwürde gebracht.

Trotzdem taten sich die MLF-Gründerinnen schwer damit, die große Mehrheit der Frauen für ihre Bestrebungen zu gewinnen. Wie viele nach-68er Bewegungen war auch der MLF weit links auf dem politischen Spektrum angesiedelt und damit für weite Teile des konservativ geprägten Luxemburg kaum akzeptabel. Während in Deutschland Mainstream-Blätter wie der Stern die Frauenfrage in die Öffentlichkeit trugen – zum Beispiel mit der „Ich habe abgetrieben“-Kampagne -, nahm sich hierzulande der hektographierte trotzkistische Rotstrumpf der Aufgabe an, für ein ähnliches Outing zu sorgen.

Gerade die militanten Aktionsformen, die einer zahlenmäßig nicht übermäßig starken Bewegung prompte und umfangreiche Publizität verschafften – wenn man von dem Totschweigen durch das damalige Wort-Meinungsmonopol einmal absieht – , waren für hiesige Verhältnisse ungewohnt. In Luxemburg hatte 68 vor allem im Fernsehen stattgefunden, in Form von brennenden Autos in Paris und „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“ skandierenden Massen in Berlin – weit weg von der behaglichen Idylle des kleinen Großherzogtums.

Sonja Kmec stellte diese Bewegung in einem zweiten Teil des Buches deshalb auch in den allgemeinen politischen Kontext. Reform oder Revolution, diese Frage stellten sich ja nicht nur die Frauen. Und innerhalb der Bewegung waren die Forderungen auch nicht alle von der gleichen Radikalität geprägt. Auch bei der Frauenbewegung hat der Marsch durch die Institutionen den Kampf auf der Straße nach und nach abgelöst. Das Truppenaufgebot anlässlich des 8. März dünnte ebenso aus wie die Teilnehmerschaft an den friedensbewegten Ostermärschen.

Nicht alle AktivistInnen haben die Wandlung des MLF zum heutigen Cid-femmes mitgemacht. Renée Wagener „rekonstruiert“ diesen spannenden Wandel und erinnert sich an einen Zeitabschnitt, in dem sie selber stark impliziert war.

Colette Kutten – erste Cid-femmes-Präsidentin, aber auch Vorstandsmitglied des ehemaligen MLF – ordnet in ihrem Beitrag den Anspruch des Frauendokumentationszentrums zwischen „Institution und Utopie“ ein. Sie diskutiert die Vor- und Nachteile der Institutionalisierung, glaubt aber, dass es möglich sein wird, den Charakter einer Bewegung lebendig zu erhalten.

Und Claudia Lenz analysiert in einem kurzen, letzten Kapitel einige politische Konzepte, die die Frauenbewegung auch international begleitet haben.

Hilfreich, nicht nur für alle, die die Zeit nicht miterlebt haben, ist eine ausführliche Timeline am Ende des Buches, die die wichtigen Events um die Frauenbewegung in der nationalen und auch internationalen Politik verortet.

In der Mitte des Buches gibt Véronique Kolber mit großzügig dimensionierten Porträts einiger Aktivistinnen aus den Anfangszeiten der Frauenbewegung ein vielfältiges Gesicht.

Heutzutage ist die Notwendigkeit einer Frauenbewegung nicht weniger umstritten als damals. Im Gegenteil: die Teilerfolge, etwa im Eherecht, bei der Lohngleichheit u.ä, lassen es sogar der zuständigen Ministerin geraten erscheinen, zu betonen, dass sie keine Feministin ist – womit der Charakterisierung des F-Wortes als Schimpfwort sozusagen der offizielle Stempel aufgedrückt wurde. Niemand würde aber zum Beispiel die Umweltbewegung für überflüssig erklären, nur weil irgendeine seit Jahren geforderte Abgasnorm irgendwann zum Gesetz erklärt wird. Doch gerade dieses „rollback“, das die Bewegung derzeit erfährt, dürfte die Chance bieten, ihre Rolle neu zu definieren.

Das Gespenst des Feminismus Frauenbewegung in Luxemburg – gestern – heute – morgen, Hrsg. Sonja Kmec / Cid-femmes, Jonas-Verlag, Marburg, 2012, ISBN 978-3-89445-465-4, 168 S., 91 Abb.; im Cid-femmes oder im Buchhandel für 25 Euro erhältlich.

Am 8. Oktober um 18h30 findet im Exit07 des CarréRotondes eine Podiumsdiskussion zum Thema „Warum Feminimus“ statt. Org.: Zeitschrift forum in Zusammenarbeit mit dem Cid-femmes.


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