MALEREI/SKULPTUR: Kunst aus der Kälte

Das erste, das einem Besucher beim Betreten der Covart Gallery ins Auge springt, ist ein Porträt Alfred Hitchcocks mit dem für den britischen Regisseur so typischen herablassenden Blick, den hochgezogenen Augenbrauen und der trotzig hängenden Unterlippe. Mit pointierenden Farbsprengseln und -schlieren ausdrucksstark in Szene gesetzt von Igor Tishin. Der 1958 geborene Weißrusse gilt als herausragender Repräsentant der zeitgenössichen Kunst seines Landes und hat mehr als zehn Jahre lang an der Kunstakademie in Minsk studiert und gelehrt. In dem von westlichen Beobachtern oft als „letzte Diktatur Europas“ bezeichnetem Land, hat man es als Künstler naturgemäß schwer, besonders wenn man mit seinen Arbeiten auch politische Aussagen verfolgt. Inzwischen lebt und arbeitet Tishin in Belgien. Dennoch widmet er sich weiterhin auch den „paradiesischen“ Zuständen in seinem Geburtsland. Nicht nur mit seinen „Fleurs de bonheur“, sondern auch mit seiner Rotkäppchen-Interpretation „Foulard rouge“. Eine Frau mit rotem Kopftuch spricht gehetzt in ein Telefon, beobachtet und kontrolliert von einem grauen Schattenmann, der ihr wie ein Geheimpolizist über die Schulter sieht.

Oft nutzt Tishin Fotografien als Vorlage für seine Arbeiten. In einigen Serien dienen sie ihm auch als Verfremdungsgrundlage. Diese Bilder wirken wie das abgerissene Ende eines durch einen Projektor laufenden Filmstreifens. Seinen anderen Arbeiten scheint man ihre Entstehung aus dem Gedächtnis anzusehen. Die Proportionen stimmen nicht und die Gesichter sind verzerrt. Zu diesen Bildern gehört auch „Foulard rouge“. Doch gerade diese Verzerrung des Gesichtes der jungen Frau betont ihre Gehetztheit und Geheimnistuerei und die damit verbundene Verzweiflung. Vorbei an dem etwas versteckten, aber sehenswerten „Babel“ und dem sogar zweimal auftauchenden elektrisierenden Blick des irischen Malers Francis Bacon trifft der Betrachter in der hintersten Ecke der Galerie auf das im Vergleich kleinformatige Bild des „L`étranger“. Auf einem einsamen Stuhl sitzend, mit zusammengepressten Knien, die Hände auf den Oberschenkeln und den durch ein rotes Quadrat gekennzeichneten Focus auf dem rechten Fuß, von den Schulter abwärts und daher vor allem ohne Kopf: der eingeschüchterte Fremde in Reinkultur.

Diesem Fremden, der in uns allen wohnt, widmet sich auch Alexandre Mijatovic. Schon bei Tishins Hitchcock fällt daneben die fröhlich pfeifende Figur auf, die ihre „Temps libre“ feiert. Etwas weiter der „Cavalier seul“, von dem Mijatovic sagt, er sei ein einsamer Tänzer. Aber zeigt die Skulptur nicht vielmehr jemanden, der seine – im wahrsten Sinne des Wortes – Traumfrau küsst? Es bleibt Raum für Interpretation. Als Mijatovic einmal gefragt wurde, warum er nur männliche Figuren modelliere, musste er gestehen, dass ihm das nicht aufgefallen sei. Es ist die immer gleiche Figur mit Glatzkopf und großer Nase, der er Leben einhaucht um sie den unterschiedlichsten Gefühlen auszusetzen. Und die mit „Miss Meteo“ einzige weiblich Skulptur in der Ausstellung ist im Prinzip auch nur ein Mann mit einem kleinen Busen.

Irgendjemand hat einmal gesagt, es gebe nichts witzigeres als einen Mann mit einem Problem. Der 1971 in Paris als Sohn eines Emigranten aus Jugoslawien geborene Mijatovic stellt eher die Folgen dieser Probleme dar. Wie auch bei seinem Bacchus, der nur noch an seinen Fingern saugt, oder in der schluchzenden Verzweiflung seines „Comment pleurent les hommes“. Trotzdem steht er mit seiner Leichtigkeit als Kontrapunkt zu den Arbeiten Tishins.

Erstaunlich, wie gut und stimmig in dieser Ausstellung die Gemälde des einen durch die Skulpturen des andern ergänzt werden. Zwei Künstler, die kaum besser hätten präsentiert werden können.

In der Galerie Covart, noch bis zum 24. November.


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