INSTALLATION: Ein Prophet

Thomas Hirschhorn gilt vielen als der aktuell bedeutendste Künstler der Schweiz. Geboren 1957 in Bern, lebt und arbeitet er derzeit in Aubervilliers in Frankreich. Für die 48. Biennale in Venedig 1999 schuf er die Installation „Flugplatz Welt / World Airport“. Bevor sie im Jahr 2000 vom Mudam erworben wurde, war sie noch in der Renaissance Society der Universität Chicago zu sehen. Seitdem schlummerte sie in den Archiven des Mudam und wurde erst jetzt wieder ans Licht geholt, um sie der Öffentlichkeit zu präsentieren – wohl im Kontext der derzeit dort präsentierten luxemburgischen Beiträge und Projekte zu den venezianischen Biennalen von 1988 bis 2011. Dabei scheint Hirschhorns Installation – zweifellos subjektiv übertrieben eingefärbt – fast ebensoviel Raum einzunehmen wie alle luxemburgischen Beiträge zusammengenommen. Eine gigantische Collage, die nicht im Ansatz durch den Betrachter zu überblicken ist. Ein Chaos, das wirkt, als sei es aus dem überbordenden Basteleifer eines Kindes entstanden, gepaart mit der Besessenheit und Sammelwut eines sehr engagierten Stalkers.

Freilich ist der Eindruck des Dilettantismus von Hirschhorn selbst durchaus gewollt. Er setzt auf die Verwendung billiger Materialien – Aluminium- und Plastikfolie, Karton und Papier, Elektrogeräte, Spielzeug und Kram vom Flohmarkt, alles zusammengehalten von reichlich Klebeband. Dazu Bücher, Fotokopien und Zeitungsausschnitte … wirklich viele Zeitungsausschnitte.

Zentrales und vereinendes Element ist ein Rollfeld, auf dem Pappmaché-Flugzeuge aus aller Herren Länder oder vielmehr ihrer Fluglinien auf die Erlaubnis zum Abflug zu warten scheinen. Jedes einzelne ist durch ein Seil aus verdrehter Folie mit dem Tower und darüber hinaus mit einem der anderen Elemente der Installation verbunden. Gerade dies wirkt aber nicht nachvollziehbar, sondern verwirrend und überspannend.

Ein Symbol der Globalisierung und des Fortschritts offenbar, und trotzdem oder gerade deswegen alles im Stillstand verharrend, wie in der Schrecksekunde dieser Erkenntnis festgehalten. Nichts bewegt sich, außer ein paar verschwommenen Bildern auf den inzwischen reichlich veraltet wirkenden Röhrenfernsehern.

Alles ist anachronistisch vernetzt wie in einem Terry-Gillam-Film, und trotzdem herrscht aktuelle Reizüberflutung pur. Obwohl „nur analog“ in Form von kritischen Artikeln und philosophischen Büchern zur Verfügung gestellt, kann wohl niemand all die Informationen, mit denen Hirschhorn den Betrachter konfrontiert, während nur einer Stippvisite aufnehmen. Es bleibt ein oberflächliches Stöbern, wie der Klick auf weiterführende Links durch die Weiten des Internets, deren Inhalte man dann doch nur kurz überfliegt – wenn überhaupt. Es geht Hirschhorn hier um Kommerz und Krieg, um den Kapitalismus in seiner Reinkultur. Dabei hat seine Arbeit in all den Jahren nichts an Aktualität eingebüßt, sondern im Grunde sogar gewonnen. Die Konflikte, die er damals zitiert hat, bestehen immer noch, und die Zahl derjenigen, die von den übergroßen silbernen Löffeln essen, die er in die Installation eingefügt hat, ist sogar noch gewachsen.

Hirschhorn meint, „Kunst ist nie moralisch, […] Kunst kommt vom Menschen, Kunst entsteht aus Empörung“. Und so, wie man laut Douglas Adams Unendlichkeit am besten in einem sehr weiten aber endlichen Raum begreift, verdeutlicht Hirschhorns Chaos die eigene Ohnmacht des Einzelnen in unserer vernetzten Welt. Was als humoristischer Bastelspaß beginnt, wird überspitzt zu einer melancholischen, fast deprimierenden Prophezeiung eines Rufers in der Wüste.

Im Mudam, bis zum 26. Mai 2013.


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