FINANZKRISE: Euro gerettet, Zypern versenkt

Die zyprische Regierung und die EU haben sich auf einen Rettungsplan geeinigt ? gerettet wurde jedoch vor allem die Euro-Zone. Nun geraten andere Finanzplätze in den Blick, darunter auch Luxemburg.

Gerettete sehen anders aus: Zyperns Bevölkerung steht vor dem Gang in eine tiefe wirtschaftliche Rezension.

Nach beinahe zehn Tagen heftiger Debatten und zahlreicher Treffen und Gegentreffen wurde ein Kompromiss für die zyprische Krise gefunden. Was mit einem vermeintlich harmlosen Treffen der zyprischen Regierung und der Euro-Gruppe begonnen hatte, zeitweilig aber die Zukunft der gesamten Euro-Zone fraglich erscheinen ließ, endete nun vorläufig mit einer Übereinkunft, die in der typischen EU-Manier die „Stabilität“ in Zypern wiederherstellt: durch Austerität, wirtschaftliche Stagnation und eine weitere Rezession. Die Euro-Zone aber ist gerettet.

Eines ist nach dieser Rückkehr der Euro-Krise in die Schlagzeilen der Weltpresse klar: Um das bisherige Krisenmanagement fortzusetzen, sind die Verantwortlichen zu erheblicher Flexibilität bereit – selbst wenn dies bedeutet, fundamentale „Werte“ und Prinzipien der EU außer Kraft zu setzen. Die uneingeschränkte Mobilität des Kapitals mag ein Gründungsprinzip der EU sein, doch sie hat ihren Preis. Wie der Fall Zyperns zeigt, soll sie nun, einer interessanten Dialektik folgend, eingeschränkt werden, um gerettet zu werden.

Alles nahm seinen Anfang mit einem Treffen am 16. März, auf dem der neugewählte zyprische Präsident Nicos Anastasiadis mit der Euro-Gruppe nach einer Lösung für den Kreditbedarf der Insel suchte. Zypern benötigte rund 17 Milliarden Euro: fünf Milliarden aufgrund fällig werdender eigener Staatsanleihen und zwölf Milliarden für seine Banken, die hohe Verluste erlitten haben – nicht zuletzt durch den Schuldenschnitt oder „Haircut“ auf griechische Staatsanleihen im vergangenen Jahr. Dass die Troika aus Euro-Staaten, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) zehn Milliarden Euro bereitstellen würde, schien klar; ebenso, dass Anastasiadis nicht die leisesten Einwände gegen die dafür verlangten Austeritätsmaßnahmen erheben würde. Alles schien geregelt. Zu klären blieben nur die Details des Memorandums, zumal Zypern für Ende März Zahlungsunfähigkeit prognostiziert wurde.

Man einigte sich auch auf einige Sparmaßnahmen, doch die Abmachung drohte zu platzen, als die Euro-Gruppe den Rettungsplan an eine bislang unerhörte Klausel binden wollte: Es sollte eine Zwangssteuer auf Bankeinlagen erhoben werden, ein „Haircut“, ähnlich wie 2001 in Argentinien, wo eine Massenrevolte die Folge war – aus eben diesem Grund war dieser Schritt in der Eurokrise bislang wohlweislich vermieden worden. Ob Anastasiades von dieser Forderung schockiert war, ist schwer zu sagen, einigen Berichten zufolge war sie bereits seit Januar im Gespräch. Der Rest der Welt jedenfalls war fassungslos. Versicherte Bankeinlagen, die heilige Kuh des modernen Kapitalismus, sollten für ein Finanzierungsprogramm geopfert werden, dessen Umfang mit zehn Milliarden Euro für europäische Maßstäbe höchst bescheiden ausfällt.

Anastasiadis kehrte nach Zypern zurück, um sich an die Bevölkerung zu wenden, bevor der Gesetzesentwurf ins Parlament ging. Er habe bei den Verhandlungen sein Äußerstes gegeben, erklärte der Präsident, und wenngleich eine bittere Pille, sei die Regelung doch unvergleichlich besser als ein sofortiger Staatsbankrott. Bankguthaben bis 100.000 Euro sollten mit einer Abgabe von 6,75 Prozent, alle größeren Beträge mit 9,9 Prozent belastet werden – ein sicheres Rezept für einen Massenansturm auf die Banken.

Um das bisherige Krisenmanagement fortzusetzen, ist man zu erheblicher Flexibilität bereit – selbst wenn dies bedeutet, fundamentale „Werte“ und Prinzipien der EU außer Kraft zu setzen.

Zur Überraschung der meisten Beobachter lehnte Zyperns Parlament die Übereinkunft ab. Selbst aus Anastasiadis‘ eigener Partei Demokratische Versammlung (DISY) stimmte kein einziger Abgeordneter dafür. Ein heilloses Chaos brach aus. Die Politiker der Euro-Zone wirkten überrumpelt und wiesen mehrheitlich jede Verantwortung für den Vorschlag eines allgemeinen „Haircut“ weit von sich. Die Wirtschaftspresse war verblüfft: Warum in aller Welt provozierte die Euro-Gruppe in einer kleinen, stark vom Finanzsektor abhängigen Volkswirtschaft einen Massenansturm auf die Banken?

So begann die Suche nach dem Schuldigen. Wolfgang Schäuble behauptete als erster, dass der „Haircut“ nicht seine Idee, sondern die der zyprischen Regierung, der Europäischen Kommission und der EZB gewesen sei. Dies wiederum bestritt Jörg Asmussen vom Vorstand der EZB und sagte, die Idee sei bei den Verhandlungen in Brüssel aufgekommen. Auch der französische Finanzminister, Pierre Moscovici, erklärte, gegen eine Belastung kleiner Sparer zu sein.

Wer also war verantwortlich für den bislang beispiellosen Vorschlag? Die EU-Kommission gab schließlich zu, die Idee ins Spiel gebracht zu haben, allerdings nur, um weitaus Schlimmeres zu verhindern. Dem EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung, Olli Rehn, zufolge drängten die deutsche Regierung und der IWF darauf, große Guthaben mit einer Abgabe in Höhe von 40 Prozent zu belasten, was Panik in der Euro-Zone und einen massiven Abzug von Kapital seitens der – überwiegend russischen – Großanleger zur Folge gehabt hätte.

Einigen Berichten zufolge ging es Anastasiadis auch um den Schutz der Großkunden der zyprischen Banken, weshalb er in der Hoffnung auf eine Verteilung der Lasten „widerwillig“ einer Zwangsabgabe der Kleinsparer zugestimmt habe. Im allgemeinen Hin und Her der Schuldzuweisungen wurden die Rollen des guten und des bösen Cops austauschbar und so mit Erfolg vergessen gemacht, dass alle Beteiligten Cops sind.

Es folgte eine beachtliche Choreographie. Die zyprische Regierung gab vor, sich nach alternativen Finanzquellen umzusehen. Finanzminister Michalis Sarris reiste nach Russland, kam aber mit leeren Händen zurück – was von vornherein klar war, da die russische Regierung bereits im Juni jegliche Finanzhilfe von einer Übereinkunft zwischen Zypern und den Euro-Staaten abhängig gemacht hatte. Zugleich wurden einige andere Vorschläge erwogen, darunter ein obskurer Solidaritätsfonds und die Verstaatlichung von Versicherungsvermögen.

Unterdessen kündigten die Euro-Staaten durch eine Erklärung der EZB an, Zypern am 25. März den Geldhahn zuzudrehen, falls das Land nicht 5,8 Milliarden Euro selbst aufbringe. Dieser Schritt hätte den sofortigen Zusammenbruch der zyprischen Banken bedeutet. Dass die EZB dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt – die nach den wechselseitigen Schuldzuweisungen unsicher schien -, blieb dabei unberücksichtigt. Als Zeichen der Stärke und Handlungsfähigkeit der Euro-Staaten wurde die Drohung erneuert und gleich noch der Ausschluss Zypern aus dem Interbankensystem Target II in Aussicht gestellt.

Daneben wurden die Besonderheiten des Falls Zypern betont, um die Vergleiche mit Ländern, die ein ähnliches Finanzsystem haben, zu relativieren. Dennoch kam in Folge eine Debatte in Gang, die insbesondere Luxemburg in den Fokus rückte.

Scharf reagierte Außenminister Jean Asselborn daher später auf Aussagen des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble. „Ich kann das Wort ?Geschäftsmodell` sehr schwer ertragen“, so Asselborn mit Blick auf eine Aussage Schäubles, wonach Zypern sein „Geschäftsmodell“ ändern müsse: „Deutschland hat nicht das Recht, die Geschäftsmodelle für andere Länder in der EU zu fixieren. Es darf nicht soweit kommen, dass unter dem Deckmantel von finanztechnischen Fragen andere Länder erwürgt werden.“ Im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters warnte er vor einem „uneuropäischen Hegemoniestreben“ insbesondere Deutschlands.

Asselborn sagte weiter, nicht nur sei die deutsche Bundesregierung federführend bei der Idee gewesen, dass auch die Nutznießer des zyprischen Finanzplatzes zur Rettung herangezogen würden und der Bankensektor dort verkleinert werde. Es seien auch deutsche Politiker, die die Debatte über andere Finanzorte vorantrieben. Asselborn wies seinerseits auf die finanzpolitische Praxis der Deutschen hin und warnte vor der Versuchung, dauerhaft von der Euro-Krise profitieren zu wollen. „Auf lange Zeit kann es nicht gutgehen, dass Deutschland sich Geld zu 1,5 Prozent leihen kann und andere in der Euro-Zone das Vier- oder Fünffache zahlen müssen“, so der Außenminister mit Blick auf die einzigartig günstigen Refinanzierungsbedingungen der Bundesrepublik. Bundesfinanzminister Schäuble indes wollte in einer Reaktion auf Asselborn von seinen kritisierten Äußerungen nicht gewusst haben: „Luxemburg ist ein erfolgreicher Bankplatz und Luxemburg hat ein völlig anderes Bankenmodell“, sagte Schäuble, niemand habe einen Vergleich mit Zypern gezogen.

Im Falle Zyperns jedenfalls wurde in den frühen Morgenstunden am vergangenen Montag die Übereinkunft verkündet: Die Troika wird wie geplant zehn Milliarden Euro bereitstellen und durch die EZB die Liquidität Zyperns aufrechterhalten. Im Gegenzug löst Zypern die Laiki-Bank auf, deren kleinere Konten ebenso wie neun Milliarden Euro Liquiditätshilfe der Euro-Staaten an die Bank of Cyprus übergehen. Auch die Großanleger der Bank of Cyprus sollen erhebliche, bislang nicht genau bezifferte Verluste tragen. Weitere 4,5 Milliarden Euro sollen durch Lohn- und Rentenkürzungen und Einsparungen im öffentlichen Sektor aufgebracht werden.

Vor allem aber sieht die Übereinkunft strenge Kapitalverkehrskontrollen vor, um den nahezu unvermeidlichen Ansturm auf die Banken zu verhindern – wobei bereits jetzt über eine massive Kapitalflucht aus dem Land berichtet wird, da die Banken offenbar sehr großzügig auslegen, wann per Ausnahmeregelung Geld abgezogen werden darf.

Am gestrigen Donnerstag um 11 Uhr mitteleuropäischer Zeit, nach Redaktionsschluss dieser Seiten der woxx, hatten Zyperns Banken, die seit dem 16. März geschlossen waren, erstmals wieder geöffnet; die Börse blieb weiterhin geschlossen. Pro Person und Konto dürfen die Zyprer zunächst täglich 300 Euro abheben. Nach Angaben der Nachrichtenagentur DPA sollen alle zyprischen Bankfilialen am Tag der Öffnung Polizeischutz bekommen – um „potenzielle Gewalttäter“ abzuschrecken. Zunächst zeichnete sich jedoch kein panikartiger Run auf die Banken ab.

Die Politiker der Euro-Zone gratulieren sich dazu, die Kleinsparer weitgehend verschont zu haben, was sie plötzlich allesamt von Anfang an im Sinn gehabt haben wollen. Zyperns Bankensektor wird auf die Hälfte eingeschrumpft und eine strenge Sparpolitik kann beginnen. Die Aussichten für die zyprische Wirtschaft sind selbstredend düster: Das Austeritätsprogramm wird wohl dieselben Auswirkungen haben wie in Griechenland – nur diesmal nicht binnen drei Jahren, sondern weniger Tage. Wenigstens die Euro-Zone aber ist gerettet. Vorläufig.

Der Text wurde aus dem Englischen übersetzt von Felix Baum und redaktionell ergänzt.


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