Klares Gast: Der Herr der Klänge

Gast Klares ist ein Tüftler. In seiner Freizeit bastelt der Luxemburger unaufhörlich an neuen Projekten. Vor allem aber leitet er für Radio Ara „Silent Running“, ein Programm für elektronische Musik.

Sorgt für sphärischen Elektrosound und wandelt auf den Pfaden des verkannten amerikanischen Erfinders Tesla:

Ein Sonntagabend im Auto, eine Fahrt durch das verregnete Luxemburg: Im Radio kommen sphärische Klänge. Ein weicher, spaciger Sound macht die Fahrt durch die Dunkelheit zum Trip in eine andere Welt, weit weg von der gängigen Chartberieselung, die man von den meisten Radiosendern kennt. Hier sind es fremd anmutende Klänge, die eine Geschichte erzählen, erzeugt mit Computern oder Synthesizern. Die Stücke dauern jeweils rund zehn Minuten. Am Ende jeder Reise in eine andere Klangwelt ist eine Stimme zu hören: Es ist die von Gaston Klares, genannt Gast Klares. Jeden Sonntagabend von halb acht bis neun Uhr ist er auf Radio Ara mit „Silent Running“ auf Sendung. Dann gehört die Frequenz ganz der elektronischen Musik.

Elektronische Musik – da werden Erinnerungen wach an New Age und Kitaro sowie an Gruppen wie „Tangerine Dream“ und Klangkünstler wie den französischen Synthesizer-Guru Jean-Michel Jarre oder Vangelis, welche die Maßstäbe in dem Musik-Genre setzten. Die im Mainstream angekommenen Vorreiter des Genres verschwanden jedoch nach dem Ende ihres Booms in den 70ern entweder in den Plattenregalen der LiebhaberInnen oder wurden – wenn sie nicht Filmmusik produzierten – als Entspannungsbackground in Fußpflegepraxen missbraucht. Irgendwann landen die abgedrifteten Gedanken des Elektronik-Laien auch bei Brian Eno und der B-Seite von David Bowies „Heroes“. Endstation ist spätestens beim ultimativen Soundtrack zum staufreien Freiheitsrausch: „Autobahn“ von Kraftwerk, vielleicht die einflussreichste Band des Genres. Die vier Düsseldorfer machten die „synthetische“ Musik made in Germany international salonfähig und standen Pate für das, was man später „Neue deutsche Welle“ nannte.

Mit Techno nichts am Hut

„Silent Running“ ist jedoch das Gegenteil von jedem kommerziell geprägten Poprock-Programm. „Ein Nischen-Programm in einem Nischen-Sender“ nennt es Clares. Der 41-Jährige ist mit seiner Sendung bei Radio Ara von den Anfängen des alternativen Senders vor zehn Jahren bis heute dabei. „Jean Krips von Ara hatte mich damals gefragt, ob ich mitmachen wollte“, erzählt er. „Eigentlich dachte ich nur an ein vorübergehendes Engagement und plante die Sendung gerade mal für ein paar Wochen.“ Inzwischen hat
Klares 520 „Silent Runnings“ über den Äther geschickt: Klassiker des Genres wie Jean-Michel Jarre und Klaus Schulze, aber auch neuere Sachen von Interpreten fernab des Mainstreams. Das Angebot ist riesig, doch ein Großteil der elektronischen Musikszene
ist dem breiten Publikum weitestgehend unbekannt. Klares ist mit ihr aufgewachsen: Ihre Anfänge zu Beginn der 70er Jahre hat er zwar selbst nicht erlebt. Dafür ist er zu jung. Aber sein Wissen darüber ersetzt den Blick ins Lexikon der Musikgeschichte.

Vor mehr als 30 Jahren, als in Deutschland gerade der Krautrock seine Blüten trieb, ließen die ersten Elektronikfreaks unter den Musikern die Gitarre stehen und begannen, mit Synthesizern und Computern ihren Sound zu produzieren. Einer unter ihnen war
der Grieche Evangelos Papathanassiou. Unter dem Namen Vangelis erzeugte er bombastische Klangvisionen. Später lieferte Vangelis den Soundtrack zu Filmen wie „Blade Runner“ und „Conquest of Paradise“, für das Titelstück zu dem Läuferepos „Chariots of Fire“ erhielt er 1981 einen Oscar. Unterdessen gelang dem Komponistensohn Jarre mit seinem Werk „Oxygène“ der internationale Durchbruch: Der Franzose wurde 1976 vom US-Magazin „People“ zur „Personality of the Year“ gekürt, und 1986 kamen 1,3 Millionen Menschen zu seinem Konzert in Houston, Texas. Bombastisch und gänzlich untypisch für die eher unauffällige Szene. Als Kontrapunkt setzte Jarre sein Werk „Music for Supermarkets“, das er mit nur einem Exemplar Auflage veröffentlichte. Dabei werden die Berührungspunkte deutlich: zur Filmmusik, wie sie auch Tangerine Dream produzierten, zu Techno, als dessen Vorläufer immer wieder Kraftwerk genannt werden, zu New Age und der Entspannungsmusik für gestresste Wohlstandswracks.

New Age ja, so Klares, aber mit Techno hat der bärtige Luxemburger, der im „wirklichen“ Leben als Elektriker bei der Post arbeitet, rein gar nichts am Hut. Die ständig wummernden Bass-Beats passen nicht so recht zur Sphärenmusik des dopegeschwängerten Flowerpowers und den avantgardistischen Klangkonstruktionen der Elektrosoundartisten. Als die Raves in den 90ern boomten, kehrte die ursprüngliche Elektromusik ins stille Kämmerlein zurück, nachdem sie bereits in den 80ern massenwirksam und marktkompatibel von New Wave und dessen Nachfolgern aufgegriffen worden war. Techno zerhackt den Sound, während „elektronische“ Musik durchaus Geschichten erzählt.

Die Fangemeinde von Gast Klares besteht nach Bekunden des Meisters aus alten Fans der elektronischen Musik und jüngeren Interessierten, die den Weg vom hektischen Techno zu den ruhigeren Klängen gefunden haben und die auch den halbstündigen
Stücken lauschen, die Klares am Ende seiner Sendung spielt, ohne einem nervösen Bewegungsdrang zu verfallen. „Silent Running“ ist in der Tat ein Gegenstück zu jeder Raveparty. Innehalten ist hier angesagt, und nicht abzappeln, Meditation statt Massenmove
– denn „Silence is sexy“, wie einmal die Klangdestruktivisten der Einstürzenden Neubauten eine ihrer Platten nannten.

Musikalisches Schwert

„Silent Running“ entzieht sich neumodischen Retrowellen: Keine Spur von der Chill-out-Kultur, die Easy Listening als Hintergrundmusik für den ersten Kaffee nach dem zehnten Bier entdeckt hat und selbst lebende Tote wie James Last musikalisch
exhumierte. Die elektronische Musik, die Gast Klares spielt, genügt sich selbst. Sie ist nicht Begleitmusik zu irgendetwas, auch wenn eine nächtliche Autofahrt mit ihr allemal bereichernder ist als ohne sie. Und die Szene ist äußerst produktiv:
„Ständig bekomme ich CDs von Newcomern zugeschickt“, so der Luxemburger, der sich selbst als leidenschaftlichen Bastler bezeichnet.

So habe er sich einmal von einem französischen Elektromusiker inspirieren lassen, der in der Metzer Altstadt auf einem gitarrenähnlichen Gerät, gespickt mit Tasten und Leuchtdioden, spielte, erzählt Clares. Prompt entwickelte er ein eigenes Instrument, einen so genannten Midi-Controller, den er nach John Boormans gleichnamigem Film „Excalibur“ nannte. Zu besichtigen ist das „musikalische Schwert“ auf Klares‘ Homepage unter www.gastweb.org. Überhaupt gibt der Tüftler dort einen Einblick in sein Schaffen: Da ist über die Sonnenkollektoren auf dem Dach seines Hauses in Betzdorf zu lesen, über seinen selbstgebauten Roboter aus Recyclingteilen, über den Nistkasten einer Schleiereule, den er mit zwei Webcams versehen hat, über eine Regenwassersammelanlage, etc… – Clares‘ Repertoire scheint unerschöpflich. Das Internet kam ihm höchst zupass: Über das Web tauscht er Neues über elektronische Musik mit anderen Fans aus und wird somit auch fündig auf seiner ständigen Suche nach neuen Talenten, die er in „Silent Running“ zum Klingen bringt.

Betrachtet man das vielfältige Engagement von Clares, fällt vor allem die Verbindung von Ökologie und Elektronik auf. So ist der Technikfan Mitglied in der Betzdorfer Umweltkommission. Und auf seinem weiten Experimentierfeld begibt er sich immer
wieder auf die Suche nach ökologischen Errungenschaften. Detailliert beschreibt Klares seine Experimente mit der Tesla-Energie: Für ihn ist der US-amerikanische Physiker Nicola Tesla (1856-1943) einer der größten Erfinder überhaupt. Er soll
Röntgenstrahlung ein Jahr vor Röntgen entdeckt, das Neonlicht und sogar das Radio vor Edison erfunden haben – doch kaum einer kennt den Namensgeber der Tesla-Spule heute noch: ein verkanntes Genie, ein Kauz, der zeitweise als Tagelöhner arbeitete.

Ein wenig hat auch Gast Clares von seinem Idol Tesla. Auch er ist unermüdlich mit neuen Plänen und neuen Experimenten beschäftigt. Und wenn der Luxemburger eine brennende Leuchtstoffröhre, die nach Teslas Prinzipien funktioniert, in der Hand hält, dann
scheint er sogar wie eine Figur aus einem fantastischen Film: eine Art „Blade Runner“ – mit einem Laserschwert in der Hand und vielleicht Vangelis in den Ohren.

Stefan Kunzmann


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