Michèle Frank und René Wiroth: Wie Kunst und Liebe den Alltag überleben

Michèle Frank und René Wiroth, zwei Künstler, ein Paar, auf der Suche nach dem Gleichgewicht zwischen der ersehnten Symbiose in der Partnerbeziehung und der notwendigen Unabhängigkeit zur künstlerischen Verwirklichung. Resümee eines Gesprächs.

Der Bildhauer René Wiroth verarbeitet seit den siebziger Jahren sein Kunst- und Gesellschaftsverständnis in Gips-Performances vor Publikum. In seinen Ton- und Bronzeskulpturen kommt seine innere Suche nach Geborgenheit und Verschmelzung zum Ausdruck. Mit Aktionskunst versucht er, mit dem Publikum, der Gesellschaft, den Menschen in direkten Kontakt zu treten. Mit seinen Bronzeskulpturen der letzten Jahre zieht er sich mehr zurück, sie verkörpern die Gegensätze, die der Mensch in sich trägt: das Bedürfnis nach Geborgenheit und den Traum von Freiheit.

Die Malerin Michèle Frank, durch die Bilder van Goghs zum Malen verführt, begann mit der eher figurativen Darstellung ihrer „inneren Landschaften“, ihrer Träume, auf der Flucht vor der Realität, auf der Suche nach dem Licht am Ende des Tunnels. Dann ging sie zur Kollage über und zur Abstraktion. Sie versucht die Energie, die Wut, die Gewalt der Gefühle, die in ihr stecken, rauszulassen, auszudrücken und sich dadurch von den auferlegten Zwängen und erlebten Ängsten zu befreien.

Das Zusammenleben dieser beiden so unterschiedlichen Künstler verstärkt zuweilen die gelebten Gegensätze, gibt aber auch die Möglichkeit zum Ausgleich, durch Austausch und Liebe, durch das Ringen zwischen Nähe und Distanz. Aus der Reibung entsteht für beide eine neue Dimension, in Kunst und Leben.

1997 wagten sie diese erste gemeinsame Ausstellung im tschechischen Sternberk, zunächst unter dem Titel „Complémentarité homme-femme“. Danach fanden weitere gemeinsame Ausstellungen in Remich, später im lothringischen Merlebach und in Köln statt, Ende 2002 stellten sie im Centre Culturel Français in Luxemburg und Anfang 2003 im Europäischen Parlament in Straßburg aus.

Neues Buch und neue Ausstellung

Ab 12. Juni 2003 werden Frank und Wiroth wieder in Luxemburg (Theater Esch) ausstellen: „Or et Argile – l’art et le quotidien“. Wenn auch der Titel sich nun stärker auf ihre Kunstwerke bezieht, auf die Materialien, die sie faszinieren, mit denen sie arbeiten, und den Kontext, in dem sie leben und arbeiten („Gold und Lehm – Kunst und Alltag“), so bleibt doch zentrales Thema dieser Beziehung ihr Ringen um Ergänzung und Symbiose von Mann und Frau bei gleichzeitiger Wahrung der Unabhängigkeit eines jeden. Auch in ihrem Ende 2002 unter dem gleichen neuen Titel erschienenen Buch steht im von den Künstlern selbst verfassten Textteil dieses Thema im Mittelpunkt. Sie beschreiben auf offene und sehr persönliche Weise ihre Beziehung zueinander, die Reibungen, zu denen es notwendigerweise kommt, und wie sie versuchen, aus dem Dilemma Nutzen zu ziehen. Man findet Kapitel mit Titeln wie „Zerrissenheit“ und „Komplementarität“… Im Bildteil werden die Werke der beiden zunächst scheinbar wahllos einander zugeordnet. Doch dann zeigen sich wie von selbst die Gemeinsamkeiten in den so unterschiedlichen Werken. Es ist die lebendige Auseinandersetzung von zwei Künstlern.

Michèle Frank: In einer Beziehung ist es meistens so, dass einer weiß, wohin er will. Der andere ist voller Bewunderung, stellt sich dahinter und dient dem, der davon überzeugt ist, dass er eine Aufgabe im Leben, eine Berufung hat. Der andere hilft ihm dabei. Wenn aber nun beide in einer Beziehung davon überzeugt sind, dass sie eine bestimmte Aufgabe im Leben haben, dass sie etwas auszusagen haben, dann stellt sich das Problem ganz anders, aus dem einfachen Grund, dass man sich im Privatleben organisieren muss: wer geht einkaufen, wer kocht jetzt, wer macht die Hausarbeit. Es geht nicht darum, dass sich einer in die Ecke stellt, damit der andere aufblühen kann, sondern man muss einander abwechselnd die Möglichkeit geben aufzublühen. (…)

René Wiroth: Es geht immer um ein Gleichgewicht, das sich einzustellen versucht. Es gibt immer eine linke und eine rechte Seite. Jeder ist genauso Mann wie auch Frau, immer zur Hälfte. Ansonsten könnte der Mann nicht der Gegenpart zur Frau sein. Er muss bereits sozusagen zur einen Hälfte das andere Geschlecht in sich tragen. (…) Bei uns beiden ist es so, dass wir beide versuchen, uns in der Mitte zu treffen, um eine Welt von morgen zu schaffen, in der nicht Gleichheit, aber Gleichgewicht herrscht, in der Mann und Frau auf gesellschaftlicher Ebene die gleichen Rechte haben und ihre Verschiedenartigkeit einbringen können. (…)

MF: Was meine Werke besonders charakterisiert, ist sicherlich die enorme Energie, die sie ausstrahlen. Bei René sieht man zuallererst seine Sensibilität, aber deswegen bin ich nicht männlicher als er oder er weiblicher als ich. Wir haben beide unsere femininen und unsere maskulinen Seiten. Meine maskuline Seite ist meine Entscheidungskraft, der Wille, Dinge zu Ende zu führen. René hingegen ist sehr sensibel, gleichzeitig aber von großer körperlicher Kraft, die man auf den ersten Blick vielleicht nicht vermuten würde. Sein Werk ist sehr feinsinnig, sehr feminin, von Gefühlen inspiriert. (…)

RW: Wenn zwei sich lieben, haben sie auch Gemeinsamkeiten. Diese Gemeinsamkeiten tendieren zur Symbiose. Das ist das Schöne an einem Paar. Wir sind noch weit von der Perfektion entfernt, noch ist es ein ziemliches Durcheinander, aber wir gehen in diese Richtung, ohne es zu beabsichtigen. Dabei malt Michèle das Universum und ich stelle den Menschen im Universum dar. (…)

MF: Die Zauberkraft der Liebe liegt darin, dass man den anderen so kennt, dass man in ihm Fähigkeiten sieht, die nicht mal er selbst erkannt hat. Und dadurch, dass man sie sieht, kann der andere sie hervorbringen und umsetzen. René zum Beispiel hat bei mir Dinge an die Oberfläche gebracht, die verschüttet waren. Und ich denke, dass auch ich ihn dazu bewegt habe, mit Fähigkeiten umzugehen, die er vielleicht nicht vermutet hätte, weil ihm das Selbstvertrauen fehlte. Vielleicht hätte er seine Skulpturen nicht in Bronze gießen lassen, weil sie es ihm nicht wert gewesen wären.

RW: Die Liebe stellt durch den Austausch das Gleichgewicht wieder her. Wir leben in einer viel zu logischen, rationalen Gesellschaft, viel zu weit weg vom Menschen. Neue Ideen, Spiritualität, Individualität, Erfindungen und Kreativität gelten nichts. In dieser Welt, in der es keine Liebe mehr gibt, ist die Liebe umso mehr etwas Standfestes, etwas Wichtiges. Wenn wir nicht mehr an den Menschen glauben, hat auch die Rationalität keinen Sinn. Es ist der Mensch, der die Welt gestaltet und nicht die Welt, die die Menschen gestaltet.

Michèle Frank und René Wiroth leben bewusst das Wagnis der dauerhaften Zweierbeziehung in einer Zeit, in der viele diese Lebensform aufgeben, bereits aufgegeben haben. Durch eine konstruktive Auseinandersetzung miteinander, die beiden den Raum zur persönlichen Entfaltung gibt, wird das Zusammenleben von zwei so verschiedenen Künstlern, von zwei Menschen, möglich. Es ist spannend, diese Thematik hinter der Ästhetik der Kunst zu entdecken.

Barbara Hess

„L’or et l’argile – l’art et le quotidien“ – Michèle Frank und René Wiroth.

(Das Buch ist im Eigenverlag erschienen und wird vom Verlag Guy Binsfeld vertrieben. Es ist in französischer und deutscher Fassung in allen Buchhandlungen erhältlich.)

Ausstellungseröffnung am 12. Juni 2003 um 18.30 Uhr in der Galerie des Escher Theaters (122, rue de l’Alzette), unter musikalischer und literarischer Mitwirkung der beiden Künstler und mit dem tschechischen „Sculpteur de Son“ Honza.

Die Ausstellung läuft bis zum 29. Juni 2003.


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