GUTE KRIEGE, GUTE LÖSUNGEN?: Vom Nichthingehen

Ein Bundespräsident plädiert dafür, Menschenrechte auch militärisch durchzusetzen. Ein Deserteur hofft auf Asyl, weil er an den Kriegsverbrechen der „Weltpolizei“ im Irak nicht teilnehmen wollte.

Kriegsmüde, das waren amerikanische und europäische Generäle nach den teilweise gescheiterten „Friedensmissionen“ im Afghanistan und im Irak. Kriegsmüde waren wohl auch die Politiker, als sich die Frage eines Eingreifens in Syrien stellte. Doch die jüngsten Entwicklungen scheinen den Befürwortern von „humanitären Interventionen“ recht zu geben: Im Anschluss an den US-Rückzug aus dem Irak und die Nichteinmischung des Westens in den syrischen Bürgerkrieg ist die Bewegung „Islamischer Staat im Irak und in der Levante“ (Isil) erstarkt und steht nun vor den Toren Bagdads. Die von Isil verübten Gräueltaten scheinen den Rückzug als Fehler zu entlarven und ein erneutes Eingreifen notwendig zu machen.

Von dieser Welle hat sich Bundespräsident Joachim Gauck tragen lassen, als er forderte, Deutschland solle aktiv an Militäreinsätzen teilnehmen. Das brachte ihm Beschimpfungen wie „widerlicher Kriegshetzer“ ein, doch seine Aussagen waren durchaus differenziert: Zu den Waffen zu greifen, sei „letztes Mittel“. Aber: „So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten (…) stoppen.“ Als Utopie hat diese Vorstellung so Manches für sich – in einer globalisierten Welt ist das alte Prinzip der Nichteinmischung immer schwerer hinzunehmen. In der Praxis dürften die Gleichen, die Interventionen in Darfur oder Syrien befürworten, vor „Weltpolizei“-Einsätzen in Ägypten, Tibet, der Türkei oder Nordirland zurückschrecken.

Und was ist mit dem Irak? Am Mittwoch erinnerte ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof daran, dass die USA 2003 völkerrechtswidrig in das Land einmarschiert sind und danach dort einen schmutzigen Krieg führten. Der Hubschrauber-Mechaniker André Shepherd wollte 2007 aus diesen Gründen nicht zurück in den Irak und hat in Deutschland Asyl beantragt. Er beruft sich auf die EU-Qualifikationsrichtlinie zum Asylrecht. Diese schließt unter anderem Kriegsverbrecher von diesem Recht aus und sieht im Gegenzug vor, diejenigen zu schützen, die desertieren, um nicht an Kriegsverbrechen beteiligt zu sein.

„Die real existierende Weltpolizei gleicht eher einer Welt-Mafia, die auf rücksichtslose Weise eigene Interessen vertritt.“

Ob das Gericht befindet, Shepherds Sorgen seien begründet gewesen, ist eine wichtige Frage für ihn und Tausende anderer Deserteure. Darüber hinaus zeigen solche Kriegsverbrechen-Verweigerer aber auch, wie schwach die Argumentation von Gauck und Konsorten ist. Denn die „Weltpolizei“ ist nicht nur beim Vorhaben gescheitert, Stabilität im Irak herzustellen, nein, sie hat auch in großem Umfang gegen das Humanitäre Völkerrecht verstoßen. Dies führte zum Beispiel dazu, dass Human Rights Watch den US-Präsidenten als Kriegsverbrecher anprangerte (woxx 1139). Bezieht man in die Überlegung auch noch die strategischen und wirtschaftlichen Interessen der USA ein, so gleicht die real existierende Weltpolizei eher einer Welt-Mafia, die im Namen von Recht und Ordnung auf rücksichtslose Weise eigene Interessen vertritt.

Weil dem so ist – es keine glaubwürdigen neutralen Institutionen auf internationaler Ebene gibt – sind es die Verweigerer und Zauderer, die Recht haben, und nicht die Anhänger der These, Intervenieren sei immer besser als Wegsehen. Bedauerlich, dass sich die öffentliche Meinung dennoch immer wieder von der Schwarz-Weiß-Malerei der Kriegstreiber beeindrucken lässt. Wie die Argumente, mit denen seinerzeit der Irak-Krieg begründet wurde, werden auch viele der von den Medien jetzt verbreiteten „Informationen“ später als Lügen entlarvt werden. Lehren aus der jüngsten Geschichte ziehen heißt, für militärische Zurückhaltung sowie den Respekt des Völkerrechts plädieren. Und sich einsetzen für den Schutz von Deserteuren – sowie für die Verfolgung von westlichen Kriegsverbrechern.


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