FOTOGRAFIE: Der Feind ist der Andere

In ihrem internationalen Kunstprojekt „Targets“ blickt die Fotografin Herlinde Koelbl hinter die Kulissen militärischer Ausbildungen und versucht, die kulturellen Unterschiede, die sich in den Schießzielen widerspiegeln, zu ergründen.

Herlinde Koelbl gilt als renommierte Fotografin, die erst im Alter von vierzig Jahren anfing, professionell zu fotografieren, und mit Fotoprojekten wie „Schlafzimmer“ (2002), in dem sie intime Einblicke lieferte, oder „Spuren der Macht“ (1999), bei dem sie bekannte PolitikerInnen, wie Angela Merkel, über Jahrzehnte fotografisch begleitete, in Deutschland große Erfolge hatte. Mit dem Fotografieren ihrer „Ziele“ begann sie vor 30 Jahren, als sie an einer Dokumentation über die Bundeswehr arbeitete. Im Morgengrauen musste die Manöver-Truppe, die sie begleitete, einen Acker hinter den feindlichen Linien überqueren, als im Gegenlicht wie aus dem Nichts eine zerschossene Blech-Figur auftauchte und das erste Tageslicht durch die Einschusslöcher strahlte. Aus der Faszination dieses Eindrucks entstand die Idee zu „Targets“. Für Koelbl war die durchsiebte Zielscheibe ein „Symbol für Gewalt und Tod“ und ein Phänomen, das sie ergründen wollte. So bereiste sie sechs Jahre lang 30 verschiedene Länder, besuchte dort Übungsschießplätze und fotografierte die Zielscheiben, auf die Soldatinnen und Soldaten schossen. Welche Gestalt hat auf diesen jeweils der Feind? Hat er ein Gesicht? Gibt es kulturelle Unterschiede und in welcher Weise haben sich die Feindbilder verändert? – das waren die Fragen, die Koelbl umtrieben.

Entstanden ist eine Reihe von Aufnahmen und Video-Protokollen, in denen Soldaten nüchtern davon berichten, wie sie das Töten internalisiert haben. Neben den artifiziellen Zielscheiben hat Koelbl aber auch einige SoldatInnen selbst porträtiert; sind sie es doch, die im Kriegsfall zu Zielen werden. Ihre eindrucksvollen Aufnahmen spiegeln die veränderte Perzeption von Staaten und deren Militärdiensten auf Feindbilder wider. Waren es in den USA vor sechzig Jahren noch die Deutschen und danach die Russen, so sind es heute überwiegend Islamisten und Djihadisten, die als Standard-Ziel herhalten müssen. So berichtet ein Soldat, wie er noch darauf getrimmt wurde, auf eine Iwan-Figur mit einem roten Stern am Helm zu schießen. Während es in den USA mittlerweile nah-östliche, von Hollywood-Designern gestaltete Städte als Schießkulisse gibt wie in Fort Irving, bestehen die schlichten Zielscheiben in den Camps der PKK aus einem Blatt weißen Papiers, auf das mit der Hand Kreise gemalt wurden.

Bei ihrem Vorhaben erfuhr Koelbl am eigenen Leib, wie schwierig es gerade für eine Frau ist, technische, körperliche und bürokratische Hürden zu überwinden – bekam aber vor allem die Vorurteile zu spüren, die ihrer Arbeit entgegengebracht wurden. Je archaischer die Gesellschaftsstrukturen, desto ausgeprägter das Misstrauen, das ihr entgegengebracht wurde. So dauerte es in den Emiraten vier Jahre, bis sie die Erlaubnis erhielt, einen Truppenübungsplatz zu besuchen; in Russland ließ man sich für die Genehmigung zwei Jahre Zeit.

Die Ausstellung, die in Gänze noch bis einschließlich diesen Sonntag im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen ist, ist für Luxemburg in Teilen nachproduziert worden und noch bis zum 25. Oktober im Rahmen der Photomeetings im Konschthaus beim Engel zu sehen. Zwar ist die für Luxemburg angefertigte Reproduktion mit rund 70 Exponaten wesentlich kleiner als die Ursprungsausstellung, doch wirken die Aufnahmen in den kleinen, teils recht dunklen Räumen des Konschthaus beim Engel mit seinen vielen Nischen eindrucksvoll. Das Bedrohliche transportiert sich, die Beklemmung ist förmlich spürbar. Audiovisuelle Elemente sind in der Luxemburger Ausstellung leider etwas zu kurz gekommen, nur ein einziger Videofilm – mit Schießaufnahmen – läuft im Keller.

„Targets“ ist ein Versuch, fotografisch zu hinterfragen, welche Feindbilder verschiedene Staaten in ihren Militärstrukturen kultivieren und inwiefern diese geschlossenen Strukturen auch gesellschaftliche Bedrohungen und Vorurteile widerspiegeln. In der Absicht, immer auch den so genannten „Zeitgeist“ widerzuspiegeln, stellt Koelbl so Schießziele aus aller Welt nebeneinander und entzieht sich einer eindeutigen Wertung. Wenngleich eine klare Verurteilung von Krieg aus ihrer ethnologischen Perspektive spricht, bleibt das Tucholsky-Zitat im Kopf zurück. Sind Soldaten Mörder?

Noch bis zum 25. Oktober im Konschthaus beim Engel.


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