PORTRAIT: Das Glück des Odysseus

Das Werk von Eduardo Arroyo ist vom Kampf gegen Franco geprägt. Als politischer Künstler sieht sich der spanische Maler, dessen spätere Werke zurzeit in Luxemburg zu sehen sind, trotzdem nicht.

Mit ernstem Blick: Eduardo Arroyo (Foto: Serge Garcia Lang)

Ein junger Mann mit Schlapphut, mit einer abenteuerlich anmutenden Felljacke ohne Ärmel und an Stelle von Schuhen mit Schnüren festgezurrte Tücher – eine Fotografie aus dem Jahr 1965 zeigt Eduardo Arroyo als jungen Wilden: auf einem Stuhl sitzend, in der Hand ein Pinsel, der Blick konzentriert nach vorne gerichtet.

Das Foto wurde in den Katalog zur Arroyo-Ausstellung im Musée national d’histoire et d’art Luxembourg aufgenommen, im Kapitel über Leben und Werk des spanischen Künstlers. Kaum zu glauben, dass der Mann, der im Salon des Luxemburger Hotels Cravat seinem Interviewpartner gegenübersitzt, ein und dieselbe Person ist. Es ist ein vornehmer älterer Herr, der über sein Leben und seine Arbeit spricht und den man eher für einen Literaten als für einen modernen Maler halten könnte. Doch zumindest eine entscheidende Gemeinsamkeit mit dem jungen Künstler fällt auf: Es ist derselbe ernste und konzentrierte Blick.

Unter der Diktatur General Francos geboren und aufgewachsen zu sein, habe sein künstlerisches Schaffen entscheidend geprägt, sagt Arroyo. Die Opposition gegen die Franco-Diktatur stellt in der Tat einen roten Faden im Werke des Künstlers dar. Seine Bilder bringen die „Obsession für Spanien“, wie er es selbst formuliert, zum Ausdruck. Immer wieder bezeichnen Arroyo diese Besessenheit als Antriebsfeder seines Schaffens. Zuerst habe ihn vor allem die Literatur interessiert, und noch heute verbringe er mehr Zeit in Bibliotheken als in Kunstmuseen, erklärt er. „Ich bin ein gescheiterter Schriftsteller“, hat Arroyo einmal gesagt. Dass er dabei tiefstapelte, wird ersichtlich, wenn man Auszüge aus seinen zahlreichen Veröffentlichungen liest. Denn Arroyo schreibt, wie er malt. Mit klaren Konturen umreißt er seine Sujets. Mit wenigen präzisen Worten beschreibt er das Wesentliche.

Zu malen begann Arroyo erst in Paris. Der 20-Jährige, der 1957 nach seiner Ausbildung zum Journalisten Spanien freiwillig verließ, entschied sich an der Seine für die bildende Kunst – für Montmartre und gegen Saint-Germain-des-Près. Und doch hat seine Leidenschaft für die Welt der Bücher nie nachgelassen: Seine Bilder sind voller literarischer Zitate, einige thematisieren die Literatur, wie zum Beispiel die ironischen, karikaturhaften Porträts „Stendhal y cuatro aspirinas“ sowie „Flaubert y cuatro aspirinas“, die beide im Jahr 2000 entstanden und in der Luxemburger Ausstellung zu sehen sind. Darüber hinaus illustrierte Arroyo Bücher von Quevedo, Buzzati und Malraux sowie „Ulysses“ von James Joyce.

Das Leben im Exil bleibt für den Spanier bis zur Rückkehr in seine Heimat in den 70er Jahren ein bestimmendes Element. Mit der Reihe „Robinson Crusoé“ verlieh er der Einsamkeit der Exilanten Ausdruck. Mit „Reflexions sur l’exil: Irun-Hendaye, 1939- 1976“ beschreibt er die Situation der Spanier im französischen Exil ein weiteres Mal: Von einem Aussichtspunkt an der Grenze beobachten französische Schaulustige während des Spanischen Bürgerkriegs die Bombardierungen, als würden sie ein „Spektakel“ verfolgen. Noch in den 1980er Jahren thematisiert er das Gefühl der Zerrissenheit mit „Paris-Madrid-Paris“. „Obwohl ich mich weiterhin als Spanier fühlte“, sagt Arroyo, „lebte ich zwischen zwei Welten.“

In Paris verdiente der Autodidakt, der nie eine Kunstakademie besuchte, seinen Lebensunterhalt zuerst mit Porträtmalereien, die er auf der Straße verkaufte. 1960 stellte er erstmals aus, und schon bald profilierte er sich als eine der Hauptfiguren der „Figuration narrative“. Die Werke von Arroyo, Gilles Aillaud und anderen Künstlern wurde als europäische Version der Pop Art angesehen. Aufsehen erregte Arroyos Porträt „Les quatro dictatores“, auf dem neben Hitler und Mussolini der portugiesische General Salazar sowie Franco zu sehen sind, letzterer als Matador. Die spanische Botschaft in Paris legte Protest gegen Ausstellung des Bildes ein. Weitere Konflikte mit der Diktatur folgten, denn Arroyo wurde zunehmend militanter. Mit seinen Bildern übte er unaufhörlich Kritik am Franco-Regime. Auf einer Reise nach Spanien 1973 wurde er schließlich festgenommen und kurz danach des Landes verwiesen.

Das Jahr 1975 bedeutete für Arroyo eine Wendemarke. Nach Francos Tod konnte er nach Spanien zurückkehren. Doch die Heimkehr war desillusionierend: In Spanien schien man ihn zu ignorieren. Diejenigen, die im Land geblieben waren, sahen in den Exil-Spaniern Deserteure. „Je crois que j’ai compris définitivement que l’être et le lieu d’Eduardo Arroyo“, schrieb Jorge Semprun. „Sa demeure et sa division picturale, séjournent, peut-être pour toujours, dans l’exil.“ Der Exilant als Fantom, als entwurzeltes Wesen, dieser Seelenzustand fand unter anderem Eingang in „Heureux celui qui, comme Ulysse, a fait un long voyage“ (1977).

Arroyo hatte sich bereits in den 1960er Jahren den Ruf eines Provokateurs angeeignet. Doch nicht nur das Regime in Spanien wurde zur Zielscheibe. Auch über die künstlerische Avantgarde machte er sich lustig. Die Avantgarde sei nur ein Begriff ohne Bedeutung, erklärt Arroyo. Im Grunde sei er nichts anderes als eine Mode. Vor allem auf Marcel Duchamp hatten es der Spanier und seine Freunde abgesehen. Auf dem letzten Bild der Serie „Vivir y dejar morir o el fin tragico de Marcel Duchamp“ ist ein Staatsbegräbnis des damaligen Stars der Avantgardeszene mit US-Flagge auf dem Sarg dargestellt – eine Koproduktion von Arroyo, Aillaud und Antonio Recalcati. „Duchamp repräsentiert einen Typ Künstler, den man nur ablehnen kann“, schrieb Arroyo später. Doch auch seine Landsleute Joan Miró und Salvador Dalí kamen nicht ungeschoren davon: Letzteren malte er zum Beispiel einmal als Hofnarren, ein anderes Mal reihte er den Schnurrbart des Katalanen unter „die verschiedenen Typen reaktionärer spanischer Schnauzbärte“ ein.

Im Mai 1968 schloss Arroyo sich den Maoisten an und nahm an der „Salle Rouge pour le Vietnam“ teil. Doch trotz des politischen Engagements während der Studentenrevolte lehnte er es ab, als „politischer Maler“ bezeichnet zu werden. „Ich habe nie gewusst, wie man politische Malerei macht“, erklärt er und fügt hinzu: „Ich habe nie an eine ‚Botschaft‘ geglaubt.“

Ein immer wiederkehrendes Motiv von Arroyos Arbeiten der 1980er Jahre ist die nächtliche Stadt, wie bei „Toute la ville en parle (Positano)“. Die Bilder des Künstlers sind dunkel gehalten, weit weniger farbintensiv als die früheren Werke. Grau- und Brauntöne rücken neben Schwarz in den Vordergrund, und die Motive sind nicht selten Boxer und Gangster. Der Maler zeichnet sich derweil ohne Gesicht. Dies wird ersetzt durch eine Farbpalette. Erst später, ungefähr in den vergangenen zehn Jahren, werden die Bilder wieder farbiger, ironischer, aber deshalb nicht unbedingt optimistischer.

Franco ist seit fast drei Jahrzehnten tot. „Heute ist Spanien absolut demokratisch“, betont Arroyo, auch wenn derzeit eine Partei an der Macht sei, die sich früher auf den Generalissimo berief. Der Mann im Hotelsalon blickt dabei ernst. Sein Blick hellt sich erst auf, als er ein paar Bekannte aus dem Foyer kommen sieht.


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