MIGRATION: Vor dem Gesetz

Die Geschichte eines Paars aus Luxemburg offenbart so einiges über das administrative Labyrinth, in dem Asylbewerber sich hier zurechtfinden müssen.

„Annulée“ –
Dusan kann vorerst nicht in Luxemburg bleiben. Denn Gesetz ist Gesetz.

Diane ist 45 Jahre alt, Dusan 21. Als sie sich kennenlernten, war Dusan Dianes Schüler. Diane ist „chargé de cours“ in einem hauptstädtischen Lyzeum. Diane und Dusan sind sich irgendwann, als Diane schon längere Zeit nicht mehr Dusans Lehrerin war, nähergekommen. Sie wollen heiraten. So weit, so gut. Die Sache hat aber einen Haken: Dusan ist Asylbewerber, „demandeur de protection internationale“. Er hat seine Heimat, das Balkanland Kosovo, 2009 gemeinsam mit seinen Eltern verlassen. Sein Vater war Soldat während des Jugoslawien-Kriegs, 47 Tage lang. 1999 wurde er in die Armee einberufen und nahm aktiv am Kampfgeschehen teil. Auf serbischer Seite, denn die Familie gehört der serbischen Minderheit im
Kosovo an.

Seit dem Ende des Krieges sind die Zeiten für ehemalige serbische Soldaten härter geworden. Die serbische Minderheit im Kosovo war auf den Schutz der Kfor-Truppen angewiesen. Wenn jemand aus Dusans Familie sich aus ihrem Dorf, nahe der serbischen Grenze, wegbewegen wollten, musste er von Soldaten begleitet werden. 2003 erwartete Dusans Mutter ein zweites Kind, eine Tochter. Die Entbindung sollte unbedingt in Serbien erfolgen, denn, so berichtet Dusan, frühere Angehörige der serbischen Armee wurden – und werden – in albanischen Krankenhäusern nicht gut behandelt. Also bat Dusans Vater die Kfor-Truppen um eine Eskorte. Die kam aber erst nach zwei Tagen. Zu spät – Dusans Mutter erlitt eine Fehlgeburt.

In den Jahren danach bekam die Familie immer wieder Drohanrufe. „Verschwindet von hier“, forderten die Anrufer seinen Vater auf, und gaben dem mit einem „wir wissen, wo dein Sohn zur Schule geht“ noch Nachdruck. 2009 dann, im August, bekam der Vater einen anderen Anruf, diesmal nicht mit einer Drohung. Ein alter Freund von ihm, ein Albaner, war am Telefon und hatte schlechte Nachrichten. „Es gibt eine Liste mit allen Namen von ehemaligen serbischen Soldaten, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren“, sagte der Freund, und: „Du stehst auch auf der Liste.“ Die Liste sei im Besitz von ehemaligen UÇK-Kämpfern, jetzt Polizisten. Der Freund empfahl dem Vater, so schnell wie möglich abzuhauen.

Die Gemeinde will ihn, sobald seine Papiere in Ordnung sind, auf dem Wege eines „contrat d’initiation à l’emploi“ einstellen.

Also packte die Familie ihre Koffer und machte sich per Bus auf den Weg nach Belgrad. In Belgrad zahlte sie 3.500 Euro an Schleuser, die sie in einem Auto nach Luxemburg brachten. Warum Luxemburg? „Weil es uns hier sicher zu sein schien“ sagt Dusan, „und weil es weit weg vom Kosovo ist.“ Im Oktober 2009 stellt die Familie den Antrag auf internationalen Schutz beim Ministère des Affaires Etrangères. Nach zwei Wochen im „Don Bosco“ auf Limpertsberg werden Dusan, sein Vater und seine Mutter nach Marienthal verlegt. „Dort hat es ihnen eigentlich ganz gut gefallen“, erklärt Diane. Zwei Jahre bleiben sie dort.

Am 15. November 2010 wird der Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt – der Kosovo gilt als „sicheres Drittland“. Der Anwalt der Familie legt Berufung ein. Ebenfalls abgelehnt. Fast ein Jahr später, am 29. September 2011, klingelt es bei der Familie. Die Polizei steht vor der Tür. 20 Minuten haben Dusan und seine Mutter, um ihre Koffer zu packen. Der Vater ist zu dem Zeitpunkt nicht zuhause. „Die Polizisten waren sehr nett und zuvorkommend“ erzählt Dusan, „sie haben uns sogar geholfen, die Koffer zu tragen“. Einen Tag verbringen Mutter und Sohn im „Centre de rétention“ auf Findel, bevor sie abgeschoben werden sollen.

Diane, die ehemalige Klassenlehrerin Dusans, bekommt Wind von der Sache. Ein Schüler, der selber im Flüchtlingsheim in Marienthal lebt, berichtet ihr das Ganze. Diane beschließt zu handeln. Sie kontaktiert einen Anwalt.

Der leistet ganze Arbeit. Weil der Vater nicht aufzufinden ist, werden seine Frau und sein Sohn noch am selben Abend aus dem Abschiebezentrum entlassen. Sie machen sich wieder auf den Weg nach Marienthal.

Kurz darauf werden Dusan und seine Eltern nach Derenbach bei Wiltz verlegt. „Café du Passage“ heißt ihre neue Unterkunft. „Ein altes Hotel in desaströsem Zustand“ erinnert sich Diane. „25 Personen waren da untergebracht, darunter einige Obdachlose und Menschen mit geistigen Erkrankungen“. Einen Sicherheitsdienst gibt es nicht. Gleich am ersten Abend wird Dusans Mutter von einer Frau mit einer Gabel angegriffen.

Als Diane von der Unterbringung der Familie in Derenbach hört, reicht es ihr. Sie beschließt, Dusan und seine Eltern bei sich unterzubringen. Ein Taxi bringt die drei nach Wiltz, dort nehmen sie den Zug nach Walferdange. Diane reicht eine „attestation d’hébergement“ bei der Polizei und der Gemeinde ein.

Einen Tag verbringen Mutter und Sohn im „Centre de rétention“ auf Findel, bevor sie abgeschoben werden sollen.

Sie übernimmt auch die Krankenversicherung der Familie. 107 Euro im Monat zahlt sie für alle drei. Sie vermittelt Dusan ein Praktikum bei der Gemeinde Walferdange. Die Gemeinde will ihn, sobald seine Papiere in Ordnung sind, auf dem Wege eines „contrat d’initiation à l’emploi“ einstellen. In der Zeit darauf engagiert sich Dusan bei der freiwilligen Feuerwehr und absolviert eine ganze Serie von Weiterbildungen. „Auf luxemburgisch“, wie er stolz betont. Die Berufung der Familie wird wieder einmal abgelehnt. „Seitdem spielen Ministerium und Gerichte Ping-Pong“ erzählt Dusan und lacht dabei.

Diane beginnt, ein „Integrationsdossier“ über Dusan und seine Eltern zusammenzustellen. Sie erklärt sich bereit, Dusans Vater als „Doggysitter“ einzustellen, sobald er eine Aufenthaltsgenehmigung hat. Dusans Mutter arbeitet als Putzfrau, schwarz, aber sie hat die Zusage von fünf ihrer Arbeitgeber, sie offiziell zu beschäftigen – sobald ihre Papiere in Ordnung sind. Die freiwillige Feuerwehr attestiert Dusan seine Luxemburgisch-Kenntnisse und seine ausgezeichnete Motivation.

Bei all dem kommen sich Diane und Dusan irgendwann näher. Als sie sich gemeinsam den französischen Film „Intouchables“ anschauen, passiert es: Dusan küsst Diane. So erzählt es Diane, so erzählt es Dusan. Seitdem sind die beiden ein Paar. „Der Altersunterschied ist groß“, sagt Diane, „aber wäre ich ein Mann und würde aussehen wie George Clooney, hätte damit wohl niemand ein Problem“. Intellektuell gesehen sei Dusan seinem Alter weit voraus, ergänzt sie. Also wollen sie heiraten, und zwar so bald wie möglich. Eine Heirat würde Dusan erlauben, in Luxemburg zu bleiben. Trotzdem wollen sie auch aus Liebe heiraten, darauf bestehen beide.

Im August 2013 gehen Dusan und Diane also aufs Standesamt. Aber Dusan fehlen die nötigen Papiere. Man teilt ihm mit, seine Geburtsurkunde entspreche nicht den Anforderungen. „Dabei wurde die von der belgischen Botschaft in Pristina ausgestellt“ empört er sich. Auch eine Wohnsitzbescheinigung hat Dusan nicht. Die Gemeinde Walferdange kann ihm eine solche aber nicht ausstellen. Also schlägt man Dusan vor, sich eine Wohnsitzbescheinigung aus dem Kosovo zu organisieren. „Dabei lebt er seit fünf Jahren nicht mehr im Kosovo“ sagt Diane. „Wenn jemand keine Aufenthaltsgenehmigung hat, können wir auch keine Wohnsitzbescheinigung ausstellen“ wird uns später eine freundliche Dame beim „Biergerzentrum“ erklären. Das liege nicht in der Verantwortung der Gemeinde, sagt sie.

Erst einmal versucht Dusan nun, einen albanischen Pass zu bekommen. Er fährt nach Brüssel, zur kosovarischen Botschaft. Der Botschafter ist freundlich. Er bringt Dusan den Pass persönlich nach Luxemburg, als er auf Durchreise ist. „Ein Albaner …“ stellt Dusan fest. Eine Wohnsitzbescheinigung hat er aber immer noch nicht.

Also schreibt Diane dem Außenminister Jean Asselborn eine E-Mail, um Licht ins Dunkel zu bringen. Sie bekommt eine Antwort – aber nicht die erhoffte. „Organisation du retour au pays d’origine“ steht als Betreff auf dem Brief, den sowohl sie als auch ihr Partner erhalten.

Beim Termin im Außenministerium geht es dann aber um die geplante Hochzeit. „Es ging darum, eine Zweckehe, einen sogenannten ‚Mariage blanc‘ zu verhindern“ erklärt Diane. Drei Beamte vernehmen zuerst sie, dann Dusan. Man stellt ihnen Fragen zu ihrem Privatleben, zu ihrer Beziehung, zu ihrem ersten Kuss. „Das hätte sehr erniedrigend sein können“, erinnert Diane sich. „Aber zum Glück waren die Beamten sehr rücksichtsvoll und haben peinliche Fragen, so gut es ging, vermieden.“ Die Beamten geben grünes Licht für die Heirat.

Das ändert aber nichts daran, dass Dusan nicht an eine Wohnsitzbescheinigung kommt. Beim Außenministerium macht man dem Paar einen alternativen Vorschlag: Angesichts der administrativen Hürden in Luxemburg sollten die beiden doch einfach im Kosovo heiraten. Über eine Familienzusammenführung hätte Dusan dann später zurück nach Luxemburg kommen können. Eine hohe Beamtin schlägt vor, ihm ein Visum für den Kosovo auszustellen, um dort zu heiraten, erzählt Dusan.

Als Diane sich einige Tage später per E-Mail bei der Beamtin vergewissern will, ist die nicht mehr zu erreichen. Sie sei im Urlaub, heißt es im Ministerium. Ans Telefon bekommt die 45-Jährige nur noch die Sekretärin der Beamtin. Die erklärt ihr, es sei besser, gleich drei Flugzeugtickets für die ganze Familie zu kaufen. Denn zurück nach Kosovo müsste sie eh. Seien Dusan und seine Eltern erst mal dort, würde man „weiter schauen“, sagt die Sekretärin laut Diane.

„Leute, die versuchen, uns über den Tisch zu ziehen, erhalten sicher keine luxemburgischen Steuergelder.“

Auch auf Nachfrage der woxx hin ist die Beamtin nicht zu erreichen. Während sie sich beim ersten Anruf mitten in einer Sitzung befindet, ist sie beim zweiten mit einem anderen Telefonat beschäftigt. Beim dritten Anruf dann ist es die Sekretärin, die Auskunft gibt: Der junge Herr solle doch erst mal nach Kosovo zurück, um seine Papiere in Ordnung zu bringen, findet sie. „Gesetz ist Gesetz, und wenn wir eine Ausnahme machen, wollen bald alle das. Vor dem Gesetz sind aber alle gleich.“ Die hohe Beamtin ruft nicht zurück.

Angesichts der Aussichtslosigkeit ihrer Lage haben sich Dusans Eltern für die „freiwillige“ Rückkehr in ihr Heimatland entschieden. Wer sich selber bei der Internationalen Organisation für Migration meldet, kann eine Starthilfe für den Neubeginn in der Heimat bekommen. Dusans Eltern aber nicht. Die zuständige Beamtin beim OIM habe ihr erklärt, ob man Geld bekomme, hänge von der Gnade des Ministeriums ab, erinnert sich Diane.

So sei das nicht, erklärt man uns beim OIM. Die Regeln für die finanzielle Hilfe seien von der Regierung festgelegt worden. So würden beispielsweise Menschen, die über ausreichende eigene finanzielle Mittel verfügen, in der Regel nicht mit einer Finanzspritze bedacht. Ein anderes Kriterium sei die Zeitspanne zwischen dem Erhalt einer Ausreiseanordnung und der Kontaktaufnahme mit dem OIM. Nach 30 Tagen erhalte man weniger Geld. Wer also Berufung gegen einen Ausreisebefehl einlegt – eine Angelegenheit, die in der Regel mehr als 30 Tage in Anspruch nimmt -, kann nicht mit der vollen Hilfe rechnen.

„Wer abgetaucht ist, während seiner Zeit in Luxemburg negativ aufgefallen ist, oder gar kriminell ist, kann nicht mit Hilfe rechnen“ erklärt man uns in der Direction de l’Immigration. „Leute, die versuchen, uns über den Tisch zu ziehen, erhalten sicher keine luxemburgischen Steuergelder.“

Am Montag hat Dusan sich beim OIM gemeldet. Er hat sich auch auf die Liste für die „freiwillige“ Rückkehr eintragen lassen. Ende November oder Anfang Dezember fliegen er und seine Eltern zurück nach Kosovo.


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