James Mangolds Film „A Complete Unknown“ beleuchtet die prägenden Jahre des jungen Bob Dylan, eine der größten Legenden der Folk- und Rockgeschichte. Obwohl der Film teilweise ein wenig uninspiriert wirkt, sind die Darstellungen von Timothée Chalamet und dem Rest der Filmbesetzung sehenswert.

Den jungen Bob Dylan stellt der talentierte Schauspieler Timothée Chalamet mit der richtigen Nonchalance dar. (© 2024 Searchlight Pictures All Rights Reserved.)
Der Film beginnt mit Bob Dylans Ankunft in New York City im Jahre 1961. Von seinem Geburtsort im Bundesstaat Minnesota fährt der junge Musiker per Anhalter zur Ostküste. Er reist mit einem alten Gitarrenkoffer und einem Notizblock, den Kopf voller Songideen, in das Künstler*innenmekka Greenwich Village. Ein entscheidender Schritt in seiner Karriere, denn die Folkszene New Yorks ermöglicht ihm seinen großen Durchbruch.
Verbündete und wichtige Einflüsse
Die Reise in die Metropole ist vornehmlich eine Pilgerfahrt: Sein erstes Ziel ist ein Krankenhaus, in dem sein Held, der Folksänger Woody Guthrie, auf dem Sterbebett liegt. Er ist an einer genetischen Hirnstörung erkrankt, was seine Musikkarriere frühzeitig beendet und ihm fast jede Ausdrucksmöglichkeit genommen hat. Bob Dylan, der in seiner Gegenwart nervös und ehrfürchtig ist, spielt ihm eines seiner Lieder vor. „Es gibt nicht viele Männer, die die Dinge getan haben, die Sie getan haben,“ singt er am Bett seines Helden, der sichtlich gerührt ist. „Song to Woody“, eine Ode an einen anderen Musiker also, ist das erste Lied Bob Dylans, das man in „A Complete Unknown“ hört. Eine passende Einleitung für einen Film, der sich mit den Einflüssen des Sängers beschäftigt.
Doch es sind nicht nur seine Helden, die Dylan zu Beginn seiner Karriere prägen. Im Krankenhaus lernt der Musiker neben seinem Idol auch die Folk-Ikone Pete Seeger (Edward Norton) kennen, der dem Kranken Gesellschaft leistet. Seeger ist so begeistert vom jungen Dylan, dass er ihn unter seine Fittiche nimmt und ihm erste Auftritte in New York sichert. Er bleibt ein wichtiger Einfluss für Dylans frühe Karriere. Edward Norton, dessen Stimme und Aussehen Seeger sehr ähneln, überzeugt in der Rolle des sanften, idealistischen Folk-Musikers, der im Strickpulli mit Banjo für Freiheit und Nächstenliebe singt und später von Dylans Entscheidung, zur elektrischen Gitarre zu wechseln, enttäuscht ist.
Bedeutsam für Dylan ist auch die Begegnung mit Sylvie Russo (Elle Fanning). Nach einem ersten Zusammentreffen auf einem Konzert beginnt er mit ihr eine kurze Beziehung. Ihre Person basiert auf Suze Rotolo, der ehemaligen Freundin Dylans. Mit ihr kann er sich über Musik und Politik austauschen, sie bezahlt sein Essen und wird für ihn zu einer Mutterfigur. Der Musiker genießt ein Teenagerleben in ihrer Wohnung, wo er bis spät in die Nacht raucht und an seinen Liedern arbeitet.

(© 2024 Searchlight Pictures All Rights Reserved.)
Timothée Chalamet verkörpert Dylan mit Präzision, indem er dessen undeutliche Sprechweise und knappe Ausdrucksart sehr überzeugend nachahmt. Er lässt den Ehrgeiz und die in Arroganz kippende selbstbewusste Haltung des noch unbekannten Künstlers konsistent durchscheinen. Seine Interpretationen von Dylans Liedern, die er übrigens selbst singt und spielt, sind sehr beeindruckend. Vor Kurzem hat der Schauspieler Dylans Lieder auf der Bühne der TV-Show Saturday Night Live gespielt, auch hier hatte er sichtlich Spaß an der Performance. Das detailgetreue Bühnenbild von New York in den 1960er-Jahren ist auf der Leinwand zwar schön anzusehen, doch die Nostalgie wirkt manchmal ein bisschen erzwungen und überproduziert. Wenn Dylan auf seiner Gitarre klimpert und Songtexte niederschreibt, badet er in warmen Sonnenstrahlen und hat allgemein manchmal etwas von einer Heiligenerscheinung.
Als Sylvie zwischenzeitlich für ein Studium nach Rom zieht, beginnt Dylan eine Affäre mit Joan Baez (Monica Barbaro), der Folk-Sängerin, die sich im Gegensatz zum Singer-Songwriter zu dieser Zeit bereits etabliert hat. Wie genau sich diese Beziehungen im richtigen Leben überschnitten haben, wissen offenbar nicht einmal die drei Beteiligten mehr so genau. Im Film sind die Begegnungen mit Joan von Leidenschaft und auch Konkurrenzkampf geprägt, wenn es Dylan jedoch wieder einmal nicht so gut geht, kehrt er sporadisch zu Sylvie zurück. Diese leidet zwar stark unter seinen Launen, nimmt ihn aber meist wieder auf.
Zwischen zwei Frauen
Das Hin und Her zwischen Dylan und den beiden Frauen zieht sich durch den gesamten Film – nach einer Weile wird diese Handlung recht ermüdend. Bob Dylan wird als egozentrischer Musiknerd dargestellt, der sich – anders, als es seine Songtexte erahnen lassen – manchmal wenig um die Gefühle der Menschen in seinem Leben schert, besonders wenn sie seiner Karriere im Weg stehen.
Während man über Woodie Guthrie und Peter Seeger einiges im Film erfährt, bleiben die wenigen Frauenfiguren recht konturlos, wobei sie – vor allem Joan Baez – eigentlich einen großen Einfluss auf die Musiker hatten. Doch Letztere schauen andächtig zu Dylan auf – Frauen, die miteinander sprechen, sieht man nicht. Kein Wunder also, dass „A Complete Unknown“ im Bechdel-Test, der untersucht, wie Frauen in einem fiktiven Werk vertreten sind, sehr schlecht abschneiden würde.
Musikgeschichte geschrieben
Interessanter dargestellt ist Dylans Beziehung zu den neuen musikalischen Entwicklungen dieser Zeit, vor allem seine Entscheidung, die akustische Gitarre gegen eine elektrische zu tauschen. Der Film basiert auf dem Buch „Dylan Goes Electric!“ von Elijah Wald. Dementsprechend ist Dylans musikalische Evolution ein wichtiges Thema in der zweiten Hälfte des Films.
Als er sich auf dem Newport-Jazz-Festival von 1965 eine Stratocaster umhängt, wenn scheinbar die ganze Welt von ihm „Mr. Tambourine Man“ hören will, schreibt Dylan Musikgeschichte. Die „Folkies“ schlagen jedoch die Hände über dem Kopf zusammen und brandmarken den Musiker als Judas des Genres. Diese Szenen werden im Film fast schon als Slapstick-Komödie dargestellt: Zuschauer*innen werfen mit Gegenständen auf die Musiker, während sich hinter der Bühne die Organisatoren des Festivals und Dylans Manager prügeln. Pete Seeger vergisst sich kurz und erwägt, Kabel mit einer Axt durchzuhacken, um dem Spuk ein Ende zu setzen. Ein mahnender Blick seiner Frau erinnert ihn wieder an seine pazifistische Natur und Dylans Konzert geht weiter. Die Darstellung und musikalische Performance von Timothée Chalamet, der sich über Jahre auf die Rolle vorbereitet hat, sind die Highlights des Films. Die Szenen der früheren Newport-Konzerte sind jedoch stilistisch alle so ähnlich gefilmt, dass sie kaum voneinander zu unterscheiden sind.
Bob Dylan kämpft früh in seiner Karriere mit dem Verlust seiner Privatsphäre und den Erwartungen seiner Fans. Hinzu kommt der Druck der Musikindustrie, der Gewinne wichtiger sind als Songtexte. „Well, I try my best / To be just like I am / But everybody wants you / To be just like them“, singt Dylan in „Maggie’s Farm“, dem Song, der seine musikalische Entdeckungslust und seine Suche nach Authentizität beschreibt.
Regisseur James Mangold nimmt sich einige kreative Freiheiten, mit denen Bob Dylan selbst wohl einverstanden war, da er direkt am Projekt beteiligt war. Daten und Namen entsprechen nicht immer der Realität. Erfrischend ist daher auch die Entscheidung, Dylan nicht als makelloses Genie darzustellen. Im Film erscheint er zeitweise sehr unsympathisch. Wer jedoch ein noch experimentierfreudigeres Werk über Dylan sehen möchte, der sollte sich den Film „I’m Not There“ von Todd Haynes anschauen. „A Complete Unknown“ ist zwar nicht überraschend, dafür aber sehr unterhaltsam. Und das ist vor allem den Auftritten von Timothée Chalamet und Edward Norton zu verdanken.