Afghanistan: Der China-Coup der Taliban

Das erste bedeutende internationale Wirtschaftsabkommen haben die Taliban mit einem chinesischen Staatskonzern geschlossen, der Öl fördern will. Wichtiger als ökonomische Interessen scheinen für China Sicherheit vor islamistischen Anschlägen und politischer Einfluss zu sein.

Außer Pinienkernen, wie hier auf unserem Bild, bald auch Öl von Afghanistan nach China? Ob von einem geplanten Projekt zur Ölforderung im Amu-Darja-Becken durch ein chinesisches Unternehmen auch die verarmte afghanische Bevölkerung profitieren wird, ist fraglich. (Foto: EPA-EFE/Stringer)

Der Coup war den Taliban so wichtig, dass sie ihn sogar im Fernsehen übertrugen: In der ersten Januarwoche besiegelte ihr Minister für Bergbau und Petroleum, Shahabuddin Delawar, mit Vertretern einer chinesischen Ölgesellschaft in Kabul das bisher größte internationale Wirtschaftsabkommen Afghanistans seit der Machtübernahme 2021. Der Vertrag erlaubt der „Xinjiang Central Asia Petroleum and Gas Company“ (Capeic), im afghanischen Teil des Amu-Darja-Beckens Ölfelder zu erschließen, den Rohstoff zu fördern und an Ort und Stelle zu verarbeiten.

Die Konzession gilt nach Angaben der Taliban für 25 Jahre und für ein Gebiet von 4 500 Quadratkilometern in den Provinzen Sar-e Pol, Jowzjan und Faryab. Die Firma werde in den ersten drei Jahren umgerechnet 540 Millionen US-Dollar investieren und damit Arbeitsplätze für 3.000 Menschen schaffen, unter anderem in einer Raffinerie. Die Taliban seien mit 20 Prozent am Ertrag der Ölförderung beteiligt, mit der Option, ihren Anteil im Falle der Ausweitung des Projekts schrittweise auf 75 Prozent zu steigern.

Die Ölvorräte in diesem Gebiet werden auf 87 Millionen Barrel geschätzt (ein Barrel entspricht 159 Litern). Das Öl wäre beim derzeitigen Weltmarktpreis fast sieben Milliarden US-Dollar wert. Der Fluss Amu Darja bildet die Nordgrenze Afghanistans zu Usbekistan und teilweise zu Turkmenistan, beides Länder mit gewaltigen Öl- und Gasvorkommen. Auch Afghanistan beutet seit Mitte des vorigen Jahrhunderts, damals mit technischer Hilfe aus der Sowjetunion, kleinere Gasfelder in grenznahen Provinzen aus. 2010 wurden größere Ölfelder in dem Gebiet entdeckt. Die damals veröffentlichten Angaben lassen darauf schließen, dass die Capeic-Konzession nur etwa ein Zehntel der dort vermuteten Lagerstätten umfasst.

Bei Capeic handelt es sich um ein Subunternehmen der staatlichen „China National Petroleum Corporation“ (CNPC). Für dasselbe Gebiet hatte die CNPC bereits 2012 einen Vertrag mit der damaligen Regierung geschlossen. Als Partner war eine afghanische Firma beteiligt, die zwei Cousins des damaligen Präsidenten Hamid Karzai gehörte. Wegen Sicherheitsproblemen musste das Konsortium bereits im Folgejahr die Förderung wieder einstellen. Bedroht wurden die CNPC-Beschäftigten nicht von den Taliban, sondern von Milizen des Warlords Abdul Rashid Dostum, der einen Anteil am Gewinn forderte.

Auch dass der Vertrag in Anwesenheit hochrangiger Vertreter beider Staaten geschlossen wurde, unterstreicht die politische Bedeutung des Geschäfts: Für China wohnte Botschafter Wang Yu der Zeremonie bei, für die Taliban der für Wirtschaftsfragen zuständige Mullah Abdul Ghani Baradar, seines Zeichens einer von drei stellvertretenden Ministerpräsidenten und im engsten Taliban-Führungszirkel um den Obersten Führer des sogenannten Islamischen Emirats Afghanistan, Hibatullah Akhundzada. Wang nannte es ein „Modell für die chinesisch-afghanische Zusammenarbeit bei Großprojekten im Bereich der Energie und in anderen Sektoren“ und „eine gute Illustration der Verbindung und Interaktion zwischen den beiden Ländern“. China, das wie alle anderen Staaten der Erde das Taliban-Regime offiziell nicht anerkennt, unterhält eine sehr aktive Botschaft in Afghanistan und ist bestrebt, nach dem Rückzug der westlichen Staaten seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss zu erhöhen.

Die Taliban haben die chinesische Unterdrückung der Uiguren nie verurteilt, sondern nur sehr zurückhaltend ihre „Sorge“ geäußert.

Möglicherweise geht es der chinesischen Führung bei ihrer Wirtschaftskooperation mit den Taliban mehr um Sicherheits- als um ökonomische Interessen. Westliche Beobachter vermuten zwar, China wolle einen Fuß in der Tür haben, falls sich neben den Ölvorkommen bedeutendere Gasfelder in der Region fänden. Aber vor allem gehe es um gute Beziehungen zur afghanischen Regierung, egal wer diese bildet, denn kleine jihadistische uigurische Gruppen, die sich Ende der 1990er-Jahre nach Afghanistan zurückgezogen hatten, sind eine potenzielle Gefahr. China dringt darauf, diesen Gruppen keinen Spielraum zu gewähren.

In dieser Hinsicht haben die Taliban bereits seit Ende der 1990er-Jahre mit China kooperiert. Im September vorigen Jahres hatte ein Sprecher der Taliban behauptet, die meisten uigurischen Kämpfer hätten nach dem Doha-Abkommen mit den USA im Februar 2020, in dem der Rückzug der westlichen Truppen vereinbart wurde, das Land verlassen. Nach nicht bestätigten westlichen Berichten vom Oktober haben die Taliban die übrigen uigurischen Kämpfer ins Landesinnere verlegt.

Die Taliban haben die chinesische Unterdrückung der Uiguren nie verurteilt, sondern nur sehr zurückhaltend ihre „Sorge“ geäußert. Man wolle sich nicht in Chinas innere Angelegenheiten einmischen – was dessen Regierung auch den Taliban zusicherte: China „respektiere die unabhängige Wahl des afghanischen Volkes, den Glauben und die nationalen Sitten Afghanistans“.

Innenpolitisch geht es für die Taliban darum, einer verarmenden und sie mehrheitlich ablehnenden Bevölkerung zu zeigen, dass sie an einem Wiederaufbau der in großen Teilen kollabierten Wirtschaft arbeiten.

Zudem droht vom örtlichen Ableger des weltweit agierenden „Islamischen Staats“, ISKP (Islamischer Staat – Khorasan-Provinz), eine Gefahr sowohl für das Taliban-Regime als auch für chinesische Vertreter in Afghanistan und Pakistan. Im Dezember hatten ISKP-Kämpfer ein Hotel in Kabul gestürmt, in dem chinesische Geschäftsleute wohnten, und fünf von ihnen verletzt. Auch das ISKP-Selbstmordattentat am 11. Januar vor dem Kabuler Außenministerium könnte sich gegen chinesische Interessen gerichtet haben – eine Delegation aus China soll sich zum Zeitpunkt des Anschlags dort aufgehalten haben.

Für die Taliban dient das Ölgeschäft mit China ihren Bemühungen um wirtschaftliche „Autarkie“, de facto Unabhängigkeit vom Westen. Dieser hat nach ihrer erneuten Machtübernahme im August 2021 sämtliche Entwicklungszusammenarbeit eingestellt, afghanische Regierungsguthaben im Ausland eingefroren und nach einer Serie frauenfeindlicher Maßnahmen weitere Sanktionen gegen das Regime verhängt. Hibatullah Akhundzada, Oberster Führer des sogenannten Islamischen Emirats Afghanistan, hatte schon vorigen Sommer gesagt, Afghanistan solle sich „nicht auf die Hilfe der Welt“ verlassen. Auch Baradar sprach in seiner Rede nach dem Vertragsabschluss von Autarkie. Innenpolitisch geht es für die Taliban darum, einer verarmenden und sie mehrheitlich ablehnenden Bevölkerung zu zeigen, dass sie an einem Wiederaufbau der in großen Teilen kollabierten Wirtschaft arbeiten.

Schon wenige Tage nach dem Vertragsschluss mit Capeic forderte der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bei einem Treffen mit Botschafter Wang in Kabul, China solle sich mit weiteren Investitionen in Afghanistan engagieren. Die „China Metallurgical Group Corporation“ (MCC), ebenfalls ein chinesisches Staatsunternehmen, hat bereits Gespräche über den Betrieb einer Kupfermine in Mes Aynak südöstlich von Kabul wieder aufgenommen. Das Unternehmen hatte 2008 die Ausschreibung für das Drei-Milliarden-Dollar-Projekt gewonnen, konnte es wegen des Kriegs aber nicht verwirklichen. Die Regierung Präsident Ashraf Ghanis widerrief Anfang 2021 die Konzession und wollte sie neu ausschreiben.

Nach dem Ende des Kriegs ist das Gebiet der Mine erstmals seit 1978 wieder erreichbar und eine Ausbeutung realistisch. Allerdings will China den mit Ghani vereinbarten afghanischen Gewinnanteil von 19,5 Prozent drücken. Die Taliban fordern hingegen, dass das Kupfer nicht im Tagebauverfahren, sondern durch unterirdische Stollen abgebaut wird, um eine bedeutende archäologische Fundstätte aus buddhistischer Zeit zu erhalten. Das findet die MCC zu teuer. China soll sich in Kabul auch um eine Konzession zum Abbau bisher unerschlossener Lithium-Vorkommen in Afghanistan bemüht haben.

Ob und wie schnell das Ölprojekt in Nordafghanistan umgesetzt wird, wird zeigen, ob China nur auf politischen Einfluss aus ist oder ob das Kriegsende tatsächlich die Erschließung der diversen afghanischen Rohstoffvorkommen ermöglicht. Ob das der afghanischen Bevölkerung und nicht nur Konzernen zugutekommt und die fragile Ökologie des wasserarmen Landes dabei berücksichtigt wird, ist fraglich.

Thomas Ruttig hat viele Jahre in Afghanistan gelebt und war unter anderem für die UN und die EU tätig. Texte von ihm finden sich unter anderem unter https://thruttig.wordpress.com.

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