Backcover: Lynn Kelders

Im Juni gehören die Rückseiten der woxx Lynn Kelders. Ein Gespräch über Kunstgenres, Geschlechtsidentität und Politik zum Auftakt der Serie.

Legt sich ungern auf ein Kunstgenre fest: Lynn Kelders, 1997 in Luxemburg geboren, lebt und arbeitet derzeit in Berlin. (Copyright: Lynn Kelders)

woxx: Lynn, Sie sind regelmäßig an multidisziplinären Projekten (u.a. „Méi wéi Sex“, Richtung22) beteiligt; jetzt gestalten Sie eine Serie für eine Wochenzeitung. Was reizt Sie an dieser Arbeitsweise?


Lynn Kelders: Es fällt mir sehr schwer, mich auf ein Medium zu konzentrieren. Alles, was ich tue, ist Kunst: Ich wandele jedes meiner Interessengebiete in ein Projekt um. Es wäre unzureichend, mich dabei auf die Illustration zu beschränken. Darüber hinaus hätte ich das Gefühl zu stagnieren, wenn ich mich nur mit einer einzigen künstlerischen Disziplin auseinandersetzen würde. Ich will stetig Neues lernen.

Was hilft Ihnen dabei? 


Meine Mitarbeit beim Künstler*innenkollektiv Richtung22 hat mir sehr geholfen. Im Kollektiv gibt es keine definierten Rollen: Ich kann mich um Kostüm- und Set-Design für unsere Film- und Theaterstücke kümmern und in der Folgewoche unsere Poster designen oder Recherche für unsere feministische Kampagne gestalten. Ich kann alles ausprobieren und die Medien finden, in denen ich mich ausdrücken will. Spannend an der Pluridisziplinarität ist auch, welches Publikum sich von welchem Medium angesprochen fühlt.

Bringt diese Herangehensweise auch Nachteile mit sich? 


Der einzige negative Punkt ist, dass ich mich in den einzelnen Medien nur schleppend weiterentwickele, da ich meine Zeit so sehr aufteilen muss.

Woher rührt Ihr Interesse, eine Serie für die woxx zu gestalten?


Es fällt mir schwer, mit meinen Illustrationen große, zusammenhängende Geschichten zu erzählen – deswegen tue ich es nicht, außer ich werde dazu gezwungen. Dabei finde ich episodisches Arbeiten sehr interessant. Eins meiner Ziele ist es, in Zukunft eine Graphic Novel zu schreiben und zu illustrieren. Es fehlt mir nur an Übung. Das hier ist ein erster kleiner Schritt in diese Richtung.

Fordert es Sie heraus, dass die woxx in schwarz-weiß gedruckt wird? Immerhin bestechen Ihre Werke gemeinhin durch grelle Farben und Kontraste.


Bunte Farben waren schon immer ein Hauptbestandteil meiner Arbeit. Egal wie oft sich mein Stil oder Medium ändert, die grelle Farbpalette bleibt. Das ist mein Markenzeichen. Es fiel mir dementsprechend etwas schwer, mich für diese Reihe von ihr zu trennen.

Wie wirkt sich diese Trennung auf die Bildsprache aus?


In meinen Bildern spiele ich oft mit dem Kontrast zwischen Form und Inhalt. Die dargestellten Szenen können teilweise unangenehm sein, jedoch steht die inhaltliche Schwere immer im Kontrast zu meinem bunten, flachen Zeichenstil. Diese Ebene geht in der Schwarz-Weiß-Darstellung leider verloren.

So weit zur Form, für welchen Inhalt haben Sie sich entschieden?


Themen, mit denen ich mich in den letzten zwei Jahren regelmäßig künstlerisch auseinandergesetzt habe, sind meine eigene Sexualität und Geschlechtsidentität. Ich identifiziere mich als agender und kämpfe schon länger mit meiner Selbstdarstellung und wie diese von den sozialen Normen abweicht.

Wie reagiert die Gesellschaft auf Ihre Geschlechtsidentität?


Die Gesellschaft drängt Menschen, die sich von der Gender-Binarität lösen, oft in eine klar definierte Form der Androgynie. Es wird von ihnen erwartet, ihr Inneres nach außen zu tragen. Dass Geschlechtsidentität und äußere Darstellung nicht Hand in Hand gehen müssen, ist vielen Menschen unverständlich. Ich befinde mich zudem gerade in der Situation, dass ich aus gesundheitlichen Gründen meine Brüste verkleinern lassen muss. Ich bin nun also mit der Frage konfrontiert, ob ich eine Brustverkleinerung oder doch eine Mastektomie will. Ich habe darauf noch keine Antwort gefunden, aber diese Gedanken bestimmen das Thema der Backcover Serie.

„Die Rechte von Menschen, die auf irgendeine Weise von der Gender-Binarität abweichen, waren schon immer prekär und werden wieder vermehrt untergraben. Queere Menschen ins Zentrum zu stellen, unsere Existenz hervorzuheben und damit zu normalisieren, ist eines der Ziele dieser Serie.“

Wie sind Sie bei der Gestaltung vorgegangen?


Es war mir wichtig, dass die Illustrationen eine zusammenhängende Geschichte bilden, aber auch als einzelne Werke funktionieren. Sie folgen einer losen Erzählung, in der verschiedene Figuren sich mit ihrer eigenen Geschlechtsidentität und Selbstdarstellung beschäftigen. Jeder Charakter befindet sich auf einer anderen Stufe der Selbstfindung. Noch dazu kommen nicht alle zum gleichen Schluss. Die Frage „Mastektomie oder Brustverkleinerung?“, die ich im Zuge der Serie aufbringe, wird demnach nicht beantwortet. Es bleibt subjektiv.

Aber auch politisch, oder?


Das Thema meiner Backcover-Serie ist die eigene Geschlechtsidentität – das ist ohne Frage ein stark politisches Thema. Die Rechte von Menschen, die auf irgendeine Weise von der Gender-Binarität abweichen, waren schon immer prekär und werden wieder vermehrt untergraben. Auch in Luxemburg erfahren wir gezielte Gewalt. Queere Menschen ins Zentrum zu stellen, unsere Existenz hervorzuheben und damit zu normalisieren, ist somit eines der Ziele dieser Serie.

Was bedeutet Ihr politisches und feministisches Engagement allgemein für Ihre Kunst?


Kunst ist meine Art, mich auszudrücken. Es fällt mir oft schwer, Worte zu finden, doch visuelle Ausdrucksformen helfen mir dabei, meine Gedanken nach außen zu tragen und zu verarbeiten. Politik – und vor allem queer-feministische Themen – beschäftigen mich täglich. Sie haben dementsprechend einen großen inhaltlichen Einfluss auf meine Arbeit. Außerdem ist Kunst das ideale Mittel, um solche Themen anzusprechen: Sie macht alles greifbarer und interessanter.

Schränken politische und soziale Konflikte Ihre Kreativität ein?


Überhaupt nicht! Meine Kunst lebt davon. Natürlich fertige ich manchmal Werke an, die nur eine rein ästhetische Bedeutung für mich haben. Manchmal will ich einfach ein wenig mit Farbe oder einem neuen Medium herumspielen. Insgesamt kann ich mich jedoch nicht auf ein größeres Projekt konzentrieren, das mir inhaltlich nichts bedeutet. Rein ästhetisches Arbeiten langweilt mich. Davon abgesehen ist Kunst immer politisch: Nur weil ein künstlerisches Werk keine klare politische Message hat, ist es nicht gleich unpolitisch. Entweder kritisiert es die Machtverhältnisse oder es ignoriert oder reproduziert diese sogar.


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