Backcover: Meret Eberl

Seit 2022 fotografiert Meret Eberl nichtbinäre Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind. Auf den Juni-Backcovers der woxx zeigt die in Berlin lebende Fotografin eine Auswahl ihrer analogen Porträts, mit denen sie Momente der Verbundenheit und Identitätsbildung festhält.

Die Fotografin Meret Eberl ist in Köln geboren und lebt seit ihrem Studium in Berlin, wo sie als freie Fotografin arbeitet. (Copyright: Meret Eberl)

woxx: Die Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin, an der Sie Ihren Abschluss gemacht haben, ist bekannt dafür, einen Schwerpunkt auf analoge Fotografie zu legen. Was fasziniert Sie an der analogen Fotografie?

Meret Eberl: Einmal das Warten und sich Zeit nehmen müssen. Ich habe kurz vor meinem Abi die alte analoge Kamera meiner Eltern gefunden; es war mir sofort klar, dass ich das Handwerkliche daran sehr mag. Gerade zu Beginn dachte ich beim Fotografieren müsse alles ganz schnell gehen, es dürfe bloß nicht zu viel Zeit in Anspruch genommen werden. Das hat sich komplett gewandelt: Die Menschen fühlen sich anders wahrgenommen, wenn ich mit einer analogen Kamera vor ihnen stehe. Sie merken, ich nehme mir Zeit und müssen sich darauf einlassen. Es dauert, und es entstehen ganz andere Situationen, als die, die man anfangs einfangen wollte.

Weil die Personen sich der Kamera weniger bewusst werden?

Genau. Die Personen sitzen ein paar Minuten lang vor mir, bevor ihre Konzentration woanders hingeht. Das ist genau der Moment, den ich einfangen will, es ist ein kurzer Moment von Verlorengehen. Es passiert nicht immer, aber ich merke, dass die analoge Fotografie Leuten hilft, kurz loszulassen. Und das war für mich auch ein wichtiger Teil meiner Porträt-Serie. Ich wollte, dass diese Momente entstehen.

Ihre Serie trägt den Titel „NBSW‟. Woher kommt er?

‚NB‛ wird meist als Akronym für nicht binäre Personen und ‚SW‛ für Sexwork verwendet. Ich bin mit den Personen über soziale Plattformen in Kontakt gekommen. Auf diesen sind diese Abkürzungen sowohl für die eigene Arbeit als auch für Identitätsbeschreibungen sehr häufig, denn Nutzer*innen werden sonst schnell gesperrt. Dadurch hat sich „NBSW‟ als Arbeitstitel ergeben. Danach hätte es sich falsch angefühlt, einen anderen Titel darüber zu stülpen. Es hätte sich angefühlt, als wolle ich den Leuten, die gezeigt werden, etwas in den Mund legen. Außerdem war das Ziel meiner Arbeit auch, dass man in den Fotos nicht unbedingt sieht, dass es um Sexarbeit geht. Im Kontrast dazu fand ich es spannend, eine faktische, kurzgehaltene Beschreibung ‒ nichts, was viele Meta-Ebenen aufmacht ‒ als Titel zu nehmen.

Wie ist die Idee zu einer Serie über nichtbinäre Sexarbeiter*innen entstanden?

Ich bin in der Nähe von Köln aufgewachsen, dort gab es, als ich klein war, eine Straße außerhalb der Stadt, auf der einige Wohnwagen standen. Ich fand das als Kind schon ganz spannend, weil die Erwachsenen nicht richtig darüber geredet haben. Man wusste, es passiert irgendetwas im Dunkeln. Gerade als Kind und Jugendliche hängt man an dieser Mystifizierung und den Erzählungen, die man vermittelt bekommt, fest.

„Wo findet Identitätsbildung statt und wie entwickelt sich die Branche weiter, ohne dass die breite Gesellschaft es wirklich mitbekommt?‟

Jahre später mitten in der Pandemie kam, kam das Thema Sexarbeit in die Aktualität, weil die Branche noch stärker kriminalisiert und aus der Mitte der Gesellschaft gedrängt wurde. Ich war Anfang 20 und habe mich auch selber mit Themen wie Identität und Sexualität beschäftigt. Die Idee, den Fokus auf nicht-binäre Personen zu legen, kam aber erst während der Recherche auf. Für mich wurde die Frage wichtig: Wo findet Identitätsbildung statt und wie entwickelt sich die Branche der Sexarbeit weiter, ohne dass die breite Gesellschaft es wirklich mitbekommt?

Wie sind Sie diesen Fragen nachgegangen?

Ich habe erst fast ein halbes Jahr lang zum Thema Sexarbeit recherchiert und gelesen. Es gibt etliche Meinungen, Artikel und Studien dazu. Ich musste deshalb entscheiden, worauf ich hören wollte. Da wurde mir ziemlich schnell klar, dass ich Sexarbeitenden selbst zuhören will. In Berlin-Schöneberg ist die Geschichte von Sexarbeit eine sehr wichtige. Dort gibt es auch eine Führung, von der Organisation „Trans*SexWorks‟ begleitet. Die war ein wichtiger Kontaktpunkt, um mit Personen ins Gespräch zu kommen, die selber in der Sexarbeit tätig sind. Danach haben mir Organisationen wie „Trans*SexWorks‟ und „Hydra‟ sehr geholfen, indem sie meinen Aufruf auf ihren Plattformen veröffentlichten. Ab Dezember 2021 habe ich die ersten Gespräche mit den Leuten begonnen. Bevor ich angefangen habe, sie zu fotografieren, haben wir uns kennengelernt, sowohl um zu schauen, ob wir das Gleiche von diesem Projekt wollen, als auch, um Persönliches auszutauschen. Gleichzeitig war mir bewusst, dass es nicht der Verantwortung der Person obliegt, mit der ich mich gerade traf, mich zu bilden. Das war in den ersten Gesprächen ein ganz wichtiger Punkt für mich: Ich habe darauf geachtet, nicht zu viel Verantwortung abzugeben, sondern eher darauf zu hören, welche Weiterbildungsmöglichkeiten und Stimmen sie mir empfehlen, von denen ich lernen kann.

Sich ohne scheu der Kamera zu zeigen. Eberls Porträts geben offen Einblick in die Intimität nichtbinärer Sexarbeiter*innen. (Copyright: Meret Eberl)

Schlussendlich haben Sie 15 Personen gefunden, mit denen Sie monatelang zusammengearbeitet und die Sie fotografiert haben. Wie hat sich der teils sehr persönliche Austausch auf die fotografische Arbeit ausgewirkt?

Es war unglaublich bereichernd, aber auch schwierig. Es ist ein professionelles Arbeiten und trotzdem öffnet man sich und teilt Sachen miteinander. Anfangs wollte ich mich zurückhalten und möglichst viele Bildentscheidungen den Personen überlassen. Bis ich gemerkt habe, das funktioniert nicht: Am Ende mache ja ich das Bild, und indem ich mich zurückziehen wollte, wäre ich dieser Verantwortung nicht gerecht geworden. Dadurch hat sich ein permanenter Austausch ergeben. Ich habe immer in Zusammenarbeit mit den Menschen, die ich fotografiert habe, geschaut: „Wo stehen wir gerade? Was brauchen wir? Was wollen wir überhaupt erzählen?‟ An einem gewissen Punkt musste ich die Entscheidung alleine treffen, ohne aus den Augen zu lassen, welche Konsequenzen dies nun für die Person hat, die ich fotografiere. Wir haben uns alle über einen langen Zeitraum getroffen, teilweise treffe ich Porträtierte auch weiterhin. Dieses Wiederkehrende und Wiederentdecken von Personen taucht auf den Bildern auf, wenn man sich alle durchschaut. Manche habe ich getroffen, um nur zu reden, weil sie nicht fotografiert werden wollten. Das hat sehr geholfen und war schon unglaublich intim. Ich habe mich teilweise auch ein bisschen fotografiert gefühlt, weil man durch die Gespräche und den ehrlichen Austausch immer wieder auf eine sehr direkte Augenhöhe kommt.

Neben den Porträts, die Sie in der woxx veröffentlichen, machen auch Landschaftsbilder einen Teil Ihrer Serie aus. Inwiefern unterscheiden sich die beiden Stilformen?

Es war sehr ungewohnt, alleine mit der Kamera herumzulaufen. Während der Porträts spreche ich die ganze Zeit die Arbeit mit der Person ab. Bei den Landschaftsbildern musste ich selber entscheiden, ob ein Ort angemessen war. Sie sollten nicht denjenigen entsprechen, die in den Kopf kommen, wenn man an Sexarbeit denkt, sondern die jene darstellen, die die Personen mir beschrieben hatten. Eine weitere Schwierigkeit war, dass ich vor diesem Projekt selten Landschaften fotografiert habe. Ich habe erst durch dieses Projekt gelernt, wie sehr es sich wie Porträts machen anfühlen kann. Am Ende habe ich versucht, den Ort wie eine Person abzulichten und Berührungen – etwa eine in Licht getauchte Decke, die einen Schatten auf dem Boden wirft – zu finden.

Nach fast zwei Jahren Arbeit haben Sie die Serie zu ihrem Abschluss ausgestellt. Auf der Vernissage waren auch einige der von Ihnen porträtierte Menschen. Wie waren deren Reaktionen?

Ja, manche waren auf der Ausstellung, das war ganz toll. Sie kannten vorher schon ein paar Bilder, aber hatten nicht die gesamte Serie gesehen. Es war ein sehr schöner Moment. Die Reaktionen waren uneingeschränkt positiv, es war eine große Erleichterung und Freude. Es hat sich angefühlt, als schlösse sich ein Kreis, auch wenn ich die Serie gerne weiterführen möchte. Denn die Arbeit ist beidseitig, und es ist mir wichtig, dass ich mit denen, die das wollen, weiterhin im Austausch bleibe.

Zur Künstlerin:

Meret Eberl arbeitet als freie Fotografin und Assistentin. Das Studium absolvierte sie an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. Ihr Interesse gilt besonders der Auseinandersetzung mit Identität und sozialen Strukturen, sowie der Suche nach einem Platz in sich und der Gesellschaft. Diesem Themenkomplex nähert sie sich über analoge Porträts und Stillleben. Ihre Serie „NBSW‟ wird sie nach einer kurzen Pause Ende dieses Jahres weiterführen. Eberls Arbeiten sind auf www.mereteberl.com zu finden.


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