Backcover: Mia Kinsch


Im November bestimmen ihre 
Figuren die Rückseiten der woxx: Mia Kinsch spricht im Interview über ihre Kunst, Alkohol und Feminismus sowie über Missbrauchsfälle an ihrer alten Hochschule.

Sie hat bereits Bälle gestaltet, jetzt präsentiert sie ihre Kunst auf den Rückseiten der woxx: Mia Kinsch. (COPYRIGHT: Mia Kinsch.)

woxx: Mia, was hat Sie motiviert, die Rückseiten der woxx zu gestalten?


Mia Kinsch: Es ist immer schön, mit seiner Kunst sichtbar zu sein. In dem Sinne habe ich mich auch auf dieses Interview zum Auftakt der Serie gefreut: Es ermöglicht mir, über meine Werke zu sprechen. Noch dazu habe ich Grafik studiert und selbst wenn ich heute hauptberuflich in einem anderen Bereich aktiv bin, finde ich es toll, eine Brücke zu schlagen: Die Rückseiten einer Zeitung zu gestalten, hat etwas Grafisches. Davon abgesehen freue ich mich, Teil dieser Serie zu sein, da bereits Künstler*innen mitgewirkt haben, die ich wegen ihrer Kunst und Menschlichkeit schätze, wie etwa Luan Lamberty.

Inwiefern hat Sie das Projekt herausgefordert?


Die größte Challenge war, dass die woxx in Schwarz-Weiß erscheint. Meine Arbeiten sind in der Regel bunt; durch die Umstellung auf Schwarz-Weiß geht der Kontrast und damit die Ausdrucksstärke verloren. Dem entgegenzuwirken, war herausfordernd.

Was erwartet unsere Leser*innen?


Ich habe zwei farbige Bilder an den Druck in Schwarz-Weiß angepasst sowie zwei Illustrationen digitalisiert. Mir ging es darum, einen kleinen Einblick in meine künstlerische Welt zu bieten.

Eine Welt, in der nackte Körper eine große Rolle spielen.


Meine Frauenfiguren werden auch auf der Rückseite der woxx zu sehen sein, ja.

Warum diese Nacktheit?


Es geht vor allem um die Zelebrierung von Körpern und darum, dass jede Person ihren Körper so darstellen soll, wie sie das möchte. Wer über Zele-
brierung spricht, meint jedoch oft auch Alkoholkonsum. Daher die Wein- und Sektgläser in vielen der Bilder. Mit dieser Assoziation setze ich mich in den Werken ebenfalls auseinander, weil es ein Thema ist, das mich privat beschäftigt.

Warum?


Ich habe vor einem Jahr aufgehört, Alkohol zu trinken. Alkoholkonsum ist für viele ein Automatismus: Wir trinken, um Spaß zu haben, um uns wohlzufühlen. Mein Entschluss beruht auf Selbstkritik, denn auch ich habe aus diesen Gründen getrunken, beziehungsweise um soziale Ängste zu überwinden. Inzwischen weiß ich, dass es mir ohne Alkohol leichter fällt, meine Werte zu vermitteln und zu mir zu stehen. Heute fällt mir auf, was für eine Wirkung der Alkoholkonsum auf meinen Körper und meine mentale Gesundheit hatte.

„Ich habe an der Hochschule nicht gelernt, mich feministisch zu engagieren, aber dafür hautnah miterlebt, warum es wichtig ist.“

Was für ein Bezug besteht zu Frauen?


Ich habe mich als trinkende Frau oft unbewusst schuldig gefühlt, dabei habe ich nie exzessiv getrunken. Das ist ein gesellschaftliches Problem: Eine Frau, die trinkt, wird gleich in eine bestimmte Schublade gesteckt.

Was meinen Sie damit?


Die Attitüde gegenüber Frauen, die Alkohol trinken, unterstreicht die Wichtigkeit von Feminismus: Frauen wird oft eingetrichtert, dass sie sich durch einen erhöhten Alkoholkonsum Gefahren aussetzen, besonders was sexualisierte Übergriffe betrifft. Männern wird das seltener vermittelt. Sie erleben, meines Wissens nach, eine andere Ungerechtigkeit: Wenn eine Frau aus Selbstfürsorge mit dem Trinken aufhört, wird das eher akzeptiert, als wenn ein Mann dies tut. Männer, die sich um sich selbst kümmern, werden nicht als Normalität betrachtet. Das wird von der Gesellschaft weniger akzeptiert.

Woher rührt Ihr Interesse für feministische Themen?


Ich bin seit meiner Kindheit von starken Frauen umgeben. Meine Mutter, meine Tanten, meine Schwester – sie alle sind engagierte und inspirierende Persönlichkeiten. Sie tragen das Herz am rechten Fleck und haben mir den richtigen Weg gezeigt. Es ist die logische Konsequenz, dass ich mich für Feminismus interessiere. Hinzu kommt, dass es in meinem Bekanntenkreis an der Universität regelmäßig Diskussionen über Genderfragen gab – es lief so vieles schief. Wenn du eine Stimme hast, musst du sie auch nutzen. Wenn ich mit meiner Kunst auf Ungleichheiten hinweisen kann, möchte ich das tun.

Was genau lief an der ESA 
Staint-Luc in Brüssel, wo Sie 
studiert haben, falsch?


Ich habe eine Kunsthochschule besucht, an der es sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch gab. Es lehrt dort beispielsweise ein Professor, der jedes Studienjahr eine Affäre mit einer von ihm ausgewählten Schülerin eingeht. Die Schulleitung weiß Bescheid, unternimmt aber nichts. Es ist fragwürdig, wie konsensuell diese Beziehungen waren, denn es besteht ein problematisches Machtverhältnis. Ein anderes Beispiel: Es gibt dort einen Fotografikprofessor, der seinen 18-, 19-jährigen Schüler*innen im ersten Studienjahr für ein Projekt Nacktporträts abverlangt. Trotz Protest führt er diese Projekte weiter und lehrt immer noch an der Schule …

Was hat das mit Ihnen gemacht?


Als feministische Person habe ich mich oft hilflos gefühlt. Ich wusste nicht, wie ich das, was ich sehe, thematisieren soll. Die Betroffenen waren null geschützt, im Gegenteil – sie wurden für ihr Verhalten verurteilt. Ich stelle mich rückwirkend oft selbst in Frage: Hätte ich mehr tun können? Doch auch ich war damals Anfang 20, hatte nicht die mentalen Kapazitäten, mich für einen Schulwechsel zu entscheiden oder den Betroffenen zu helfen. Ich habe an der Hochschule also nicht gelernt, mich stärker feministisch zu engagieren, aber dafür hautnah miterlebt, warum es wichtig ist.

Was für einen Platz hat Feminismus in der luxemburgischen Kunstszene?


Die Nachfrage ist da, sonst könnte ich nicht davon leben. Allerdings lebe ich erst seit Mai 2023 wieder in Luxemburg, davor habe ich in Brüssel gewohnt. Es fällt mir demnach schwer, ein objektives Urteil abzugeben. Ich selbst arbeite derzeit mit der Galerie Reuter Bausch zusammen. Julie Reuter hat eine Sensibilität für meine Kunst und die Themen, die ich darin anspreche. Es ist eine Galerie, die offen für solche Sujets ist und entsprechende Künstler*innen unterstützt. Davon abgesehen habe ich in Luxemburg nur mit der Valerius Gallery zusammengearbeitet, im Zuge der Gruppenausstellung „Young Luxembourgish Artists“. Das war ebenfalls eine schöne Erfahrung. Das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Künstler*innen war recht ausgewogen, auch wenn leicht mehr Männer präsent waren.

Und wie groß ist das Interesse der Medien?


Ich werde in Interviews oft auf das Thema angesprochen und kann meine Standpunkte weitergeben. Am Ende sind meine Erfahrungen jedoch mit Vorsicht zu genießen: Ich halte mich natürlich in meiner eigenen kleinen Welt auf und spreche vor allem die Menschen an, die feministische Anliegen ohnehin verteidigen. Ich kann nicht beurteilen, wie es außerhalb dieser Kreise ausschaut.

Was schätzen Sie denn?


Es gibt in Luxemburg einen Platz für feministische Kunst. Ich persönlich habe hierzulande einen schönen Austausch mit Künstler*innen, die ähnliche Werte vertreten wie ich. In Luxemburg bestehen jedoch viele Ungleichheiten fort und selbst wenn die Kulturbranche sich feministischer Kunst nicht verschließt, so gibt es sicherlich noch einiges zu tun.

Mia Kinsch, 28 Jahre alt, arbeitet seit 2020 hauptberuflich als freischaffende Künstlerin. Zuvor war sie unter anderem als Galeriemitarbeiterin und Grafikerin aktiv. 2019 schloss sie ihren Bachelor in Grafikdesign an der École supérieure des arts Staint-Luc in Brüssel ab. Heute lebt Mia Kinsch in Luxemburg, wo sie unter anderem den visuellen Auftritt der Journée internationale des femmes (Jif) gestaltet hat. Weitere Informationen zur Künstlerin gibt es unter miakinsch.com und auf Instagram (@mmiamiki).


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