„Breasts and Eggs“ ist der erste Roman der japanischen Autorin Mieko Kawakami, der ins Englische übersetzt wurde. Das Dasein als Frau sowie das Kinderkriegen sind die Hauptthemen. Ein Buch, das Literaturgrößen aufhorchen lässt und Gouverneure ins Schwitzen bringt.
Der japanische Bestsellerautor Haruki Murakami nennt „Breasts and Eggs“ von Mieko Kawakami ein atemberaubendes Buch. Geht man davon aus, dass er das Werk an seinem eigenen Schreibstil misst, erwartet man von Kawakami Surrealismus, Sexismus und ein narratives Schichtdessert. Doch man wird vom Gegenteil überrascht. Die Autorin soll sich laut einem Artikel zur Romanveröffentlichung in der britischen Tageszeitung The Guardian über das Lob der Literaturgröße gefreut haben. Sie sprach Murakami 2017 jedoch auch auf Sexismus in seinen Büchern an. Der Autor wich aus. Kawakami hat es hingegen satt, Umstände totzuschweigen. Das Ergebnis ist nicht nur Kawakamis Kritik an Murakami, sondern vor allem ein brutal ehrlicher Text über das Dasein als Frau und Mutterschaft.
Der erste Teil des Romans, der 2007 in Japan unter dem Titel „Chichi to Ran“ als Novelle erschien, erzählt von einem Familienbesuch: Natsuko, die Ich-Erzählerin, empfängt ihre Schwester Makiko und deren Tochter Midoriko in Tokio. Natsuko versucht sich gerade an einer Karriere als Schriftstellerin. Makiko ist eine alternde Hostess, die darauf hofft, in Tokio eine Klinik zu finden, die ihr schnell und unkompliziert Brustimplantate verpasst. Ihre zwölfjährige Tochter findet sie und ihre Sehnsüchte abstoßend, fühlt sich aber gleichzeitig durch ihre reine Existenz für das Leid ihrer Mutter verantwortlich. Sie beschließt aus Ekel und Hilfslosigkeit, zeitweise nur noch bei dringender Notwendigkeit über Briefe mit ihrer Mutter zu kommunizieren. Bei dem Besuch eskaliert der Konflikt zwischen Mutter und Tochter: Am Ende zerschlagen sie aus Verzweiflung über ihre Situation Hühnereier auf ihren Köpfen.
Kawakamis Frauen sind unglücklich. Nicht aus Hysterie und Langweile, wie es ihnen im 19. Jahrhundert Gustave Flaubert oder Theodor Fontane unterjubeln wollten. Sie sind von ihrem Dasein als Frau gebeutelt. Makiko mag es nicht, wie sich ihre Nippel und Brüste durch die Geburt verändert haben. Noch dazu steht sie unter Druck, weil jüngere Hostessen ihr in der Bar die Blicke der Männer streitig machen. Der Konflikt mit ihrer Tochter kommt erschwerend dazu. Die Autorin porträtiert eine Frau, deren Leben vom sexualisierten Blick auf den weiblichen Körper und dem finanziellen Kampf ums Überleben bestimmt ist.
Die jugendliche Midoriko ist ihrer Mutter dabei näher, als beide vermuten. In kurzen Tagebucheinträgen denkt auch sie über körperliche Veränderungen nach, darüber, was es heißt, eine Frau zu sein und welche Rolle das Einsetzen der Menstruation dabei spielt. „Does blood coming out of your body make you a woman? A potential mother? It feels like I’m trapped inside my body“, schreibt sie an einer Stelle. Immer wieder tauchen in ihren Überlegungen auch die Fragen auf, warum Menschen Kinder zeugen und ob der Wunsch nach Familiengründung Frauen angeboren ist.
Ehrliche Frauen
Im zweiten Teil stellt Kawakami Midoriko und Makiko hinten an – was ein wenig enttäuscht – und lässt Natsuko in den Vordergrund der Erzählung treten. Zwischen den beiden Teilen liegen in der Erzählung acht Jahre. Natsuko arbeitet inzwischen als mittelmäßig erfolgreiche freie Autorin und versucht krampfhaft, einen Roman fertig zu schreiben. Was sie jedoch mehr beschäftigt als ihr Schreibprojekt: ihr Kinderwunsch. Sie sehnt sich danach, schwanger zu werden. Kawakami webt ein dichtes Netz um dieses Verlangen, in dem sich Natsuko verheddert. Das bringt die Hauptfigur zur Verzweiflung, bietet aber auch die Grundlage für komplexe, ethische Fragestellungen und Natsukos Charakterentwicklung.
Sie ist alleinstehend, will und kann keinen Sex haben, oder wie Kawakami es sie selbst sagen lässt: „Passion and sex were incompatible for me. They didn’t connect. (…) Why did caring about someone need to involve using your body?“ Natsuko fällt es schwer, eine romantische Beziehung einzugehen, weil sie sich vor dem Akt sträubt. An einer Stelle merkt sie an, dass sie sich als Frau jedoch dazu verpflichtet fühlt, ihren Partner sexuell zu befriedigen – ohne dass ihr das jemand explizit abverlangt hätte. Kawakami reißt damit gleich mehrere Themen an, über die öffentlich und in der Popkultur eher selten gesprochen wird: fehlendes Sexualverlangen, eine Abneigung gegen Sex, die Rolle von Sexualität in romantischen Beziehungen oder unausgesprochene Erwartungen an Partner*innen. Die Tatsache, dass Kawakami Natsuko einen Kinderwunsch zuschreibt, ermöglicht weitere interessante Erzählstränge über medizinisch assistierte Reproduktion, alleinerziehende Eltern, Mutterschaft oder die Abwesenheit von Vaterfiguren.
Natsuko denkt im Roman über die medizinisch assistierte Reproduktion nach. In Japan ist sie heterosexuellen Paaren vorbehalten. Alleinstehende Frauen oder lesbische Paare greifen deswegen entweder auf private Spender oder ausländische Samenbanken zurück. Natsuko begibt sich auf beide Wege, gerät dabei aber ans Zweifeln, ob ihr Wunsch dem Kindeswohl schadet. Kawakami lässt Natsuko auf unterschiedliche Frauen treffen, die alle ganz eigene Sichtweisen auf Mutterschaft haben.
Natsukos Literaturagentin Sengawa schätzt sich glücklich, dass sie nie Kinder bekommen hat. Sie reagiert schroff auf Natsukos Wunsch, weil sie darin das Ende ihrer schriftstellerischen Karriere sieht. Familie und Autor*innenschaft sind für sie unvereinbar. Eine weitere Perspektive eröffnet Yuriko. Natsuko lernt sie bei einer Veranstaltung einer Organisation kennen, die sich aus Kindern anonymer Samenspender zusammensetzt. Die Mitglieder des Vereins stehen der Samenspende kritisch gegenüber. Yuriko geht aber noch weiter, wenn sie über Kinderkriegen im Allgemeinen spricht: „You’re betting that the child that you bring into this will be (…) at a minimum (…) able to say they’re happy they were born. (…) The really horrible part is that the bet isn’t yours to make. You’re betting on another person’s life. Not yours.“
Ähnlich hart ist die Aussage einer ehemaligen Kollegin von Natsuko, Rie. Sie gibt offen zu, dass sie ihre Tochter liebt, aber nicht davon ausgeht, dass die beiden je eine enge Bindung haben werden: „(…) I just have that feeling, like we’ll (…) never be that close. (…) It’s the same for parents and children everywhere I mean, I hate my mother. Because people say you’ll always love your mother, no matter what she puts you through. My mum never hit me or anything. She raised me well enough, and I still hated her.“
Kawakamis Mütter sind keine idealisierten Frauen, die ihre Kinder und Partner*innen bedingungslos lieben und ehren, nur weil die Allgemeinheit das so will. Sie bricht mit dem Wunder, das oft mit Geburt und Liebe in Verbindung gebracht wird. Sie entzaubert es und reduziert den Kinderwunsch auf einen egoistischen Akt. Ihre Frauenfiguren sind ruppige Charaktere, die gerade dadurch an Weichheit, an Tiefe gewinnen. Kawakami beschreibt authentische Frauen, die das Unerhörte – in dem Fall die Ansicht, dass Kinderkriegen und Mutterschaft alles andere als romantisch und für alle ein Lebenstraum sind – aussprechen. Manchmal verletzen ihre Zeilen, weil sie brutal sind. Meistens tut die Ehrlichkeit dahinter aber auch gut, weil sie Raum für Offenheit gibt.
Abstoßende Männer
Die Männerfiguren in dem Roman triefen hingegen nur so von Sexismus und Schwanzdenken. Sie sind abwesende Väter. Sie sind Samenspender, die sich beim Vorgespräch in einem Café an den Sack packen und mit ihrer Fruchtbarkeit angeben. Sie sind Ehemänner, die die postpartale Depression ihrer Partnerin unnatürlich finden. Kawakami spricht auch die Unantastbarkeit japanischer (und anderer) Männer an, wenn sie in ihrem Roman über die Gründe für eine medizinisch assistierte Reproduktion nachdenkt: „(…) There was no such thing as male infertility. When a couple couldn’t have a child, it was always the woman’s fault (…). (…) What the hospital found was that my dad (…) had no sperm whatsoever.“ Dieser Satz stammt von Aizawa, einer der wenigen sympathischen männlichen Romanfiguren. Seine Mutter wurde von ihrer Schwiegermutter zur medizinisch assistierten Reproduktion gedrängt, um die Ehre ihres Sohnes zu retten.
Im Gespräch mit The Guardian zeigt sich Kawakami etwas nachsichtiger mit Männern: „The lesson is that men won’t give up their privileges easily. They’re brainwashed: be strong, don’t cry. But everyone gets old and understands what it is to be weak. We’re at the point where all that old stuff must be questioned.” In ihrem Roman kommt der Gedanke, dass auch Männer Unterdrückung durch eine patriarchale Gesellschaft erfahren, kaum vor. Das ist aber auch nicht die Geschichte, die Kawakami erzählen will – die der toxischen Männlichkeit und ihrer Folgen für Männer. „Breasts and Eggs“ stellt Schicksale von Frauen und von Müttern in den Vordergrund. Die Autorin scheut sich nicht, über das Wechseln von Binden zu schreiben, über misslungene Selbstbefriedigung oder über den Hass auf die eigene Mutter. Manche Stellen schockieren und amüsieren zugleich, was nicht zuletzt an Kawakamis nüchternem Schreibstil liegt.
In Japan sorgte die Novelle nicht nur für Bewunderung bei Murakami, sondern auch für Kritik bei konservativen Politiker*innen. Shintaro Ishihara, der damalige Gouverneur Tokios, soll das Buch laut The Guardian als „unpleasant and intolerable” bezeichnet haben. Dass trotzdem 250.000 Ausgaben der Novelle verkauft wurden und die Autorin den Akutagawa Prize gewann, spricht für sich. „Women are no longer content to shut up“, sagte Kawakami im Gespräch mit The Guardian. Sie bezog sich dabei zwar primär auf Proteste gegen sexistische Kleidungsvorschriften für Frauen in Japan, doch gibt die Aussage auch den Esprit des Romans wieder.