Der audiovisuelle Sektor ist ein bedeutender Teil der Luxemburger Kreativindustrie. Im Gespräch mit der woxx liefert Statistikexperte Philippe Robin eine Momentaufnahme dieser sich stetig weiterentwickelnden Sparte.
woxx: Herr Robin, wie geht es dem hiesigen audiovisuellen Sektor, zu dem auch die Filmbranche gehört?
Philippe Robin: Wirtschaftlich gesehen geht es ihm gut, er ist aktiv. Er hat sich im Laufe der Jahre gut entwickelt. Aber natürlich gibt es auch noch immer Schwierigkeiten. Diese betreffen vor allem die Beschäftigung. Für viele Berufstätige in der Branche, allen voran die Selbstständigen, ist es nicht einfach, eine Tätigkeit auszuüben, von der sie auch leben können. Aber das gilt natürlich für viele Bereiche des Kultursektors.
Im audiovisuellen Sektor arbeiten insgesamt 598 Menschen – nicht mit einberechnet sind eine beträchtliche Anzahl von Techniker*innen, Kreativen und Schauspieler*innen, die vornehmlich anderen Arbeitsfeldern wie dem der darstellenden Künste zugeordnet werden. Während der „Assises sectorielles“ Ende September wurde darauf hingewiesen, dass nicht wenige unter prekären Bedingungen arbeiten – können Sie dazu etwas sagen?
Letztlich haben wir wenig statistische Informationen über die prekären Arbeitsbedingungen der Menschen, die im audiovisuellen Bereich arbeiten. Von den erwähnten 598 Menschen sind die meisten Firmenangestellte, nur 13 Prozent von ihnen gelten als selbstständig. Diese Zahlen berücksichtigen jedoch nicht die zahlreichen Freiberufler*innen, die mehr oder weniger regelmäßig für die Film- und Kinobranche arbeiten, beruflich und statistisch aber anderen Wirtschaftszweigen im Kulturbereich zugerechnet werden. Sie haben es am schwersten, denn sie sind gezwungen, mehrere Tätigkeiten auszuüben. Da in Luxemburg pro Jahr nicht massenhaft Filme gedreht werden, ist es für sie schwierig, über das Jahr kontinuierlich in der Filmbranche zu arbeiten – oft wissen die Betroffenen nicht, was der nächste Tag bringt.
Wie wichtig ist die audiovisuelle Sparte in ökonomischer und sozialer Hinsicht für den Luxemburger Kultursektor?
Sie ist einer der Hauptbereiche des Kultursektors. Rund zehn Prozent der Menschen, die im Kultursektor arbeiten, arbeiten in der audiovisuellen Branche. Und auf der Ebene der wirtschaftlichen Aktivität macht der audiovisuelle Sektor immerhin rund 30 Prozent des Gesamtwerts der kulturellen Produktion aus. Dieses wirtschaftliche Gewicht wird übrigens auch im Budget des Kulturministeriums berücksichtigt, denn heutzutage stellt dieser einen wichtigen Teil davon dar (2024 sind es rund 17 Prozent des ministeriellen Ausgabenbudgets, Anm. d. Red.). Der audiovisuelle Sektor ist umso wichtiger, weil er keinen abgeschlossenen Bereich repräsentiert. Was die Berufe angeht, gibt es starke Verbindungen zum Bereich der darstellenden Kunst. Ein Theaterschauspieler ist auch oft ein Filmschauspieler und umgekehrt. Gleiches gilt auch für die Techniker, auch sie arbeiten sowohl in dem einen als auch in dem anderen Sektor.
Der audiovisuelle Sektor ist ein ökonomisches Schwergewicht, doch inwiefern wurde er von der Coronapandemie getroffen?
Er wurde gleich in mehrfacher Hinsicht getroffen. Dreh- und Produktionsarbeiten waren monatelang nicht möglich. Auch die Situation für Beschäftigte war schwierig: Selbstständige Fachleute, Schauspieler und Techniker, deren Tätigkeiten stark mit der Filmproduktion zusammenhängen, hatten kein Einkommen mehr. Dann waren die Kinos für sehr lange Zeit geschlossen und wurden danach nur eingeschränkt betrieben – das beeinträchtigte ihre Aktivität stark. Die gesamte Branche hatte zu kämpfen. Jetzt ist die Aktivität der Kinos wieder gestiegen und die Dinge normalisieren sich, aber es hat vier Jahre gedauert, um wieder auf die Besucherzahlen von vor der Pandemie zu kommen. 2023 zählten die Kinos etwas weniger als eine Million Besuche, in diesem Jahr wird die Eine-Million-Marke wahrscheinlich überschritten werden. Aber wie gesagt: Es hat Jahre hierfür gebraucht.
2022 sind mehr Menschen mindestens einmal ins Kino gegangen als 2015 – aber es gibt weniger regelmäßige Kinobesucher*innen. Das liegt vor allem an dem veränderten Rezeptionsverhalten der Zuschauer*innen. Aber schätzen nicht gerade die regelmäßigen Kinobesucher*innen die Erfahrung des Filmeschauens in einem Kino? Wie geht das zusammen?
Die höchsten Kinobesuchsquoten gab es immer bei den Jugendlichen und vor allem den jungen Erwachsenen. Nun müsste man feststellen, ob Corona nicht die Tatsache, dass junge Menschen sich mehr und mehr den digitalen Plattformen zuwenden, beschleunigt hat. Vielleicht werden wir dazu bald mehr erfahren, denn das Kulturministerium wird in den kommenden Monaten eine vom Liser durchgeführte Studie zu den kulturellen Praktiken in Luxemburg veröffentlichen. Auf jeden Fall geht es um die Frage, ob die Jugend nicht öfter von Streamingdiensten Gebrauch macht. Das ist es jedenfalls, was wir in den Zahlen wiederfinden, die ich bei den „Assises sectorielles“ vorstellte. Eine von zwei Personen geht überhaupt nicht ins Kino. Und in 35 Prozent der Fälle weichen Nicht-Besucher auf andere Mittel aus, um sich Filme anzusehen.
Zwischen 2000 und 2023 produzierte der audiovisuelle Sektor 789 Filme, vor allem Spielfilme – wie produktiv ist das?
Luxemburg ist ein kleines Land und kann keine 200 Filme pro Jahr herausbringen, deswegen sind Vergleiche mit anderen Ländern schwierig. Aber es ist trotzdem eine beachtliche Anzahl. Im Augenblick kommen im Jahr im Schnitt um die vierzig Filme heraus –das ist nicht wenig, besonders wenn man bedenkt, dass die Produktion eines Films mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Es ist auch so, dass wir in Luxemburg jedes Genre produzieren: Spielfilme, Kurzfilme, Dokumentarfilme, Animationsfilme – das ist hier sehr wichtig. Der XR-Film (Extended-Reality-Filme, bei denen spezifische Technologien genutzt werden, um ein immersiveres Seherlebnis zu schaffen, Anm. d. Red.) ist eine Nische, in der sich Luxemburg gerade etabliert. All dies trägt zu einer hohen und vielfältigen Aktivität des Sektors bei.
2016 wurden gerade einmal 35 Prozent der Filme vom Film Fund Luxembourg gefördert, 2023 sind es 80 Prozent – kann man überspitzt sagen, dass an dem dem Kulturministerium unterstellten Organ kaum mehr ein Weg vorbeiführt, wenn es um die Finanzierung von Filmprojekten geht?
Auf jeden Fall. Aber das hängt auch mit der bedeutsamen Stellung des audiovisuellen Sektors auf europäischer Ebene zusammen. Die europäischen Staaten haben sich darauf geeinigt, audiovisuelle Produktionen mit öffentlichen Mitteln zu fördern. Praktisch alle haben dazu nationale Fonds geschaffen. Das französische, deutsche oder auch österreichische Kino wären ohne diese Unterstützung weder so produktiv noch so diversifiziert. Mithilfe der Fonds werden – auf Basis fixer Kriterien – ganz unterschiedliche Projekte unterstützt, vom Kurzfilm bis zur Doku. Letztendlich bedeutet die Unterstützung des audiovisuellen Sektors auch die Unterstützung von Arbeitsplätzen und kultureller Vielfalt innerhalb eines Landes. In Luxemburg wird damit sichergestellt, dass junge nationale Talente nach ihrem Schulabschluss auch hier bleiben und arbeiten können.
Kreativität trifft Wirtschaft: Fakten und Zahlen
Welche bedeutende wirtschaftliche Rolle der audiovisuelle Sektor in Luxemburg spielt, zeigen die Zahlen, die Philippe Robin während der „Assises sectorielles de la production audiovisuelle“ Ende September vorstellte. Der Experte für Statistiken und Studien im Bereich Kultur und audiovisuelle Medien stützte sich dabei auf mehrere Quellen: den Film Fund Luxembourg, das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat), das Luxemburger Institut für Statistiken (Statec) sowie das Nationale audiovisuelle Zentrum (CNA). Laut Statec betrug 2022 der Produktionswert des audiovisuellen Sektors 674 Millionen Euro – das macht 34 Prozent des gesamten Wertes der Kulturproduktion in Luxemburg für dieses Jahr aus. Die Unternehmen im Bereich der audiovisuellen Produktion und des Films erzielten ihrerseits insgesamt einen Umsatz von 69 Millionen Euro. Was die Arbeitsplätze angeht, so arbeiteten rund 9 Prozent der Beschäftigten im kulturellen Bereich im audiovisuellen Sektor. Innerhalb von 23 Jahren wurden in Luxemburg 789 Filme produziert, davon waren 505 Spielfilme. Die Produktionskosten für einen Spielfilm beliefen sich in den vergangenen drei Jahren im Schnitt auf vier Millionen Euro. Die Förderung des Film Fund deckte 56 Prozent der Kosten der rein luxemburgischen Produktionen ab. Um die Jahrtausendwende war das Kino beliebter als heute: Wurden 2000 noch 1.362.000 Kinobesuche gezählt (der Höchstwert in der Zeitspanne zwischen 1970 und 2023), waren es im Jahr 2023 nur noch 992.208 – eine Zahl, die aber auch zeigt, dass es für die Filmbranche nach der Pandemie wieder bergauf geht. Immerhin sanken 2020 die Besuchszahlen auf weniger als 350.000. Dem Kino geht es also wieder besser – doch jetzt kommt das große Aber: Im Jahr 2022 sahen ganze 49 Prozent der Einwohner*innen Luxemburgs überhaupt keinen Kinosaal von innen. Der Hauptgrund: die Nutzung anderer Mittel, um Filme zu konsumieren (35 Prozent). Ein Abwärtstrend, der sich auch auf die Besuchszahlen der regelmäßigen Kinobesucher*innen auswirkt: 2006 haben noch 30 Prozent der Einwohner*innen mindestens vier Filme pro Jahr im Kino gesehen, 2023 sank die Zahl auf zwölf Prozent.
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