Deutsches Technikmuseum: Tschu, Tschu, bitte einsteigen!

Das Deutsche Technikmuseum Berlin bringt die Eisenbahn ins Rollen: Auf einer interaktiven Website erfahren Besucher*innen unter anderem mehr über die Geschichte deutscher Eisenbahnen – und über das Motiv Zugfahrt in der Literatur.

Das Deutsche Technikmuseum Berlin erläutert in einer seiner vielen Online-Ausstellungen die Geschichte der Durchgangszüge. Dieses Modell stammt aus dem Jahr 1901. (Copyright: Gemeinfrei)

„Unterm moralischen Popo brennt nichts so heiß wie Dauer. Und weil es uns so lange so schlecht erging — nein noch zu gut! — sei nicht mehr bange. Mir macht die Eisenbahn jetzt Mut“, schrieb Joachim Ringelnatz 1927 in seinem amüsanten Gedicht „Eisenbahnfahrt“. Auf der Website des Deutschen Technikmuseums trägt die Schauspielerin Katharina Thalbach in der Vorlesereihe „Eisenbahn in Werken der Weltliteratur“ diesen und andere literarische Texte aus dem 19. und 20. Jahrhundert vor. Im Hintergrund: Innenaufnahmen originalgetreuer Modelleisenbahnen von damals. Wie sich Bahnfahren zu der Zeit angefühlt haben muss, versucht das Museum durch ein vielseitiges Online-Angebot erfahrbar zu machen.

Der Schriftsteller Joachim Ringelnatz schrieb 1927 ein doch sehr lesenswertes Gedicht über das Klo in der Eisenbahn. (Copyright: Genja Jonas/Public domain)

Auf dem Online-Portal „Nächster Halt: 1900!“ können die Besucher*innen über ein Feature von Google Arts and Culture die gefächerten Stoffservietten in einem Speisewagen bewundern, den Medizinwagen erkunden oder sich in einer Dampflokomotive T 4.2 einmal um sich selbst drehen. Ein Feature, das von der Grafik her zwar zu wünschen übrig lässt und nicht zum „Aha-Erlebnis“ taugt, aber dennoch einen Klick wert ist. Das Portal hält darüber hinaus mehrere thematische Online-Ausstellungen bereit, wie etwa „Wat is en Dampfmaschin’? Und wie steuert man eine Dampflok? Erklärt an den Modellen im Deutschen Technikmuseum“ oder „Von D-Zügen und Trittbrettfahrern. Reisen mit der Eisenbahn, wie es einmal war…“. Während die Ausstellung zur „Dampfmaschin’“ eher technische Infos vermittelt, verhilft einem die zu den deutschen Durchgangszügen – kurz „D-Züge“ – zu allgemeinem Wissen über das Bahnfahren in den Schnellzügen von damals. Für Menschen, die sich bis dato noch nicht eingehend mit der Geschichte und der Entwicklung von Bahnfahrten beschäftigt haben, gibt es an der Stelle einiges zu entdecken.

Wer wusste zum Beispiel, dass es 1825 vier Klassen im Zug gab? Eine davon wurde „Holzklasse“, eine andere „Stehklasse“ genannt. Um welche es sich jeweils handelt, das wird in der Ausstellung anhand kurzer Textbeiträge erklärt und mit Bildern illustriert. Im Vergleich zu damals kann die heutige erste Klasse eindeutig einpacken. Was sind schon Sitze, die sich nach Belieben vor- und zurückschieben lassen, wenn man vergoldete Leselampen und mit Seide bespannte Decken haben kann? Interessant ist auch, dass es in der dritten und vierten Klasse Abteile gab, die ausschließlich Frauen zugänglich waren. Warum genau, verrät der Kurator Frank Zwintzscher nicht.

Dafür bringt er aber auch weitere Abteile in die Ausstellung ein, die es in der Form heute nicht mehr gibt: Abteile für Haustiere, für Leichname und zur medizinischen Versorgung. Haustierbesitzer*innen mussten eine Fahrkarte für ihre tierischen Begleiter*innen lösen. Hunde kamen in gesonderten Boxen unter. Für kurze Zeit konnten auch Verstorbene mit dem Zug transportiert werden. So wurde unter anderem der Komponist Richard Wagner mit der Bahn überführt. Der Leichentransport mit der Bahn war übrigens international verbreitet. Die Ausstellung verweist in dem Kontext auf Südafrika, wo die Angehörigen hierzu ein „Corpse Ticket“ erwerben mussten. Schwarzfahren als Straftat ging also über den Tod hinaus! A propos Schwarzfahren: Die Ausstellung erklärt auch, was es mit den Trittbrettfahrer*innen auf sich hat. Der Begriff stammt aus einer Zeit, in der die Zugabteile noch nicht miteinander verbunden und nur von außen zugänglich waren. Wer während der Fahrt Freund*innen im nächsten Waggon besuchen oder sich die Beine vertreten wollte, musste über die außen angebauten Trittbretter klettern. Die negative Konnotation des Begriffs rührt daher, dass Mitfahrer*innen die Trittbretter zum „kostenlosen“ Transport missbrauchten.

Quelle : Gemeinfrei

Insgesamt gibt es einen „Daumen hoch“ für das digitale Angebot des Museums. Die Website lädt allgemein zum Verweilen ein. Sie zu erkunden macht Spaß – und je nach Vorwissen – auch ein bisschen schlauer. Neben den bereits erwähnten Ausstellungen und Touren, gibt es auch eine englischsprachige Sammlung zu Zugfahren in Indien (Nächster Halt: Indien!) sowie Videos zur Arbeit des Museums.

Die Online-Ausstellungen gibt es hier: 
technikmuseum.berlin/ausstellungen/online-ausstellungen
Eine englischsprachige Version der Website ist unter artsandculture.google.com/project/railway-models verfügbar


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