Dank der Initiative „Pipapo“ konnten sich Besucher*innen auf dem e-Lake-Festival über die Themen Drogen, Sex und Party schlaumachen. Erstmals konnte man auch mitgebrachte Drogen vor Ort testen lassen.
Der Platz vor der Hauptbühne auf dem e-Lake-Festival ist am Samstag um 17 Uhr noch ziemlich leer, die meisten Anwesenden lassen es bei den heißen Temperaturen ruhig angehen. Sie sitzen in Gruppen auf dem angrenzenden Hügelchen, manche mit einem Bier in der Hand, und schauen den wenigen Tanzenden zu, denen das warme Wetter nichts auszumachen scheint. Die Tänzer*innen bewegen sich wie in Trance zur wummernden Technomusik, Arme hoch in der Luft, Augen geschlossen. Unter ihnen: ein Mann in Superman-Kleidung.
Eine Gehminute weiter entfernt trifft man auf die gut gelaunten Mitarbeiter*innen von „Pipapo“. Die seit 2016 existierende Initiative ist im Partymilieu aktiv, mit ihren vielen Aktionen verfolgt sie das Ziel, die hiesige Feierkultur sicherer und offener für jede*n zu machen – ungeachtet der Geschlechtsidentität, sexuellen Orientierung, Herkunft oder körperlichen Merkmale der Feiernden. Die Themenschwerpunkte von „Pipapo“ sind „Safer Use“ (der sicherere Drogenkonsum), „Safer Sex“ (der sicherere Umgang mit Sexualität) und „Safer Party“ (das sicherere Feiern). Als Projekt wurde die Initiative von dem gemeinnützigen Verein „4motion“ ins Leben gerufen und ist dem Gesundheitsministerium unterstellt.
Aufklärungsarbeit auf dem Festival
Auf dem e-Lake-Festival ist „Pipapo“ gleich dreifach vertreten, nämlich mit einem Informationsstand, einem Awareness-Stand sowie einem Drugchecking-Dienst. An ersterem können Interessierte allerlei Gadgets und Infomaterial erhalten. Auf dem Tisch liegen unter anderem „Safer Use“-Informationsbroschüren, Aufkleber mit knappen Sensibilisierungssprüchen wie „Know risk have fun!“, Ohrstöpsel, Kondome, Lecktücher und Sniffing-Tools, die die Aufnahme von Drogen über die Nasenschleimhaut hygienischer machen. „So muss man keinen Geldschein nehmen und diesen dann mit seinen Freunden teilen“, erklärt die Psychologin Fabienne Gorges, die für „Pipapo“ arbeitet.
Wenn man für ein paar Minuten den Stand beobachtet, fällt auf, wie viele Besucher*innen er anlockt: In regelmäßigen Abständen bildet sich vor ihm eine kleine Menschentraube, junge Festivalgänger*innen, aber auch Eltern mit Kindern beugen sich immer wieder neugierig über die Auslage. Dass der Stand auch Familien anziehe, liege daran, dass „Pipapo“ Gehörschutz für Kinder verleihe, so Gorges. Am Freitag gab es beim Infostand allgemein aber großen Andrang, 120 Menschen konnten die „Pipapo“-Teammitglieder zu ihrem jüngsten Drogenkonsum befragen. Durch solche Umfragen erhält die Initiative wichtige Informationen, die später auch auf ihrer Website veröffentlicht werden. „Und wir kommen mit Menschen ins Gespräch“, stellt die Psychologin fest. Das gebe dem „Pipapo“-Team die Möglichkeit, mit hartnäckigen Mythen rund um Rauschmittel und Sex aufzuräumen. „Zum Beispiel glauben viele Menschen, dass illegale Drogen ein größeres Suchtpotenzial bergen als legale“, ergänzt Alex Loverre, Projektmanager bei „4motion“. Dabei bestehe gerade bei den legalen Drogen Alkohol und Nikotin ein hohes Abhängigkeits- potenzial. Der Verbreitung von solchen falschen Annahmen wirkt „Pipapo“ mit Aufklärungsarbeit entgegen.
Sensible Gerätschaft
Neben dem allgemeinen Informationsstand gibt es auch noch einen als „Lilapoint“ gekennzeichneten Rückzugsraum, der zum Awareness-Konzept der Initiative gehört (siehe woxx 1799). Das violette Zelt ist mit gemütlichen Sitzsäcken ausgestattet, am Eingang sitzt eine Mitarbeiterin, die freundlich grüßt, wenn man vorbeigeht. Vor dem „Awareness-Point“ stehen ein paar junge Erwachsene in Grüppchen zusammen und lesen die Aushänge, auf denen in Form von Comics über die Rolle des*der Bystander*in (zu Deutsch: unbeteiligte*r Zuschauer*in) aufgeklärt wird. Den „Lilapoint“ können Menschen bei Bedarf aufsuchen, um in einer vertrauensvollen Atmosphäre Gespräche mit den Mitarbeiter*innen des Awareness-Teams zu führen, zum Beispiel wenn sie Opfer eines Übergriffs wurden oder als Zeug*in einen Zwischenfall beobachtet haben, bei dem jemand diskriminiert oder beleidigt wurde.
Eine wichtige Neuerung auf dem diesjährigen e-Lake-Festival ist überdies die Einführung eines lokalen Drugchecking-Dienstes – er feiert an diesem Augustwochenende eine landesweite Premiere. Damit seien logistische Herausforderungen verbunden gewesen, sagt der Chemiker Georges Dahm. Als Angestellter des „Laboratoire national de santé“ (LNS) arbeitet er seit Jahren mit der Initiative „Pipapo“ im Rahmen ihres „Safer Use“-Programms zusammen. Der auf dem Festival verwendete Apparat zur Analyse der Drogen, eine sogenannte Hochdruckflüssigkeitschromatografie gekoppelt mit UV-Spektrometer (HPLC-DAD), ist äußerst sensibel, weiß der Chemiker. Ihn auf das Festivalgelände mitzunehmen, „ist so, als würde man eine Waschmaschine mit auf eine Safari nehmen, das würde ihr auch nicht gut bekommen“, sagt er lächelnd. Glücklicherweise funktioniert die Maschine an diesem Wochenende jedoch einwandfrei. Permanent auf vier Grad Celsius gekühlt, steht sie im hinteren Bereich des auf den Namen „Duckmobile“ (Drug-Checking-Mobile) getauften Kleintransporters, der von dem Infostand und dem „Lilapoint“ flankiert wird. Um die Gerätschaft am Freitag anzukurbeln, habe das Team vier Stunden gebraucht, erzählt Carlos Paulos, Verhaltenspsychologe und Direktor von „4motion“. Seitdem sei sie nicht mehr ausgeschaltet worden.
Keine Konflikte mit der Polizei
Dank des lokalen Drugchecking-Dienstes erhalten Menschen, die während des Festivals Drogen konsumieren möchten, genaue Informationen darüber, welche Droge sie tatsächlich besitzen und wie hoch die Konzentration des Stoffs ist. Möchten potenzielle Konsument*innen ihre Drogen analysieren lassen, sprechen sie das „Pipapo“-Team an. Von dem Rauschmittel wird dann eine kleine Probe genommen, die analysiert wird. Das nimmt ungefähr 20 Minuten in Anspruch. Im „Duckmobile“ findet zudem ein vertrauliches Beratungsgespräch statt, das zwischen 15 und 30 Minuten dauert.
„Wir fragen den Konsumenten, welche Droge er seiner Meinung nach bei sich trägt, ob er schon Erfahrungen mit der Droge gemacht hat, was seine Erwartungen an seinen Konsum sind und ob er das Resultat der Analyse abwarten möchte“, erklärt Paulos. Mittels dieser Fragen machen sich die „Pipapo“-Mitarbeiter*innen ein genaues Bild der Situation, um dann – mit den Analyseresultaten – den Kenntnisstand ihres Gegenübers um weitere Angaben zum Stoff zu erweitern. „Ob es sich jetzt um Cannabis oder MDMA handelt, jede Substanz birgt spezifische Risiken, auf die man einen direkten Einfluss haben kann, wenn man seinen Konsum plant“, sagt Paulos. Und für eine gute Planung brauche es umfassendes Wissen, denn nur so könne der*die Betroffene auf bewusste und fundierte Weise entscheiden, ob, wo, wann, wie und wie viel er*sie von einem gewissen Stoff konsumiere.
Im Bauch des kleinen Lastwagens befinden sich zwei schmale Bänke, die von einem Tisch getrennt werden. Setzt man sich, spürt man den Bass der Technomusik, der sich seinen Weg bis in diesen abgeschotteten Raum bahnt. Das Treiben auf dem Festivalcampus kann man jedoch nicht verfolgen: Der Sichtschutz, mit dem die Fenster verklebt sind, garantiert Anonymität. Führt diese Art der Arbeit eigentlich zu Konflikten mit der Polizei? „Nein, denn das Drugchecking-Projekt ist in Zusammenarbeit zwischen dem Gesundheitsministerium, dem Justizministerium, der Staatsanwaltschaft, dem LNS und ,4motion‘ entstanden“, sagt Paulos. „Wir haben die öffentliche Gesundheit im Blick und die nötigen Genehmigungen, um unsere Arbeit machen zu können.“ Im Vorfeld des Festivals habe sich der Verein mit allen involvierten Akteur*innen und den Organisator*innen des Festivals an einen Tisch gesetzt, um der Frage nachzugehen, wie man für die Sicherheit der Besucher*innen sorgen könne. Das Drugchecking sei eine Facette davon. „Im Gespräch mit den Konsumenten sprechen wir aber den legalen Punkt an und machen darauf aufmerksam, wenn sie sich in der Illegalität befinden“, bemerkt Paulos.
Letztlich kann auch nicht jede erdenkliche Droge vor Ort auf ihre Zusammensetzung hin getestet werden. „Es gibt hunderte ,new psychoactive substances‘, die die Maschine nicht erkennt – all die neuen Designerdrogen, die auf den Markt gekommen sind“, erläutert Dahm. Denn die Datenbank, über die das Gerät verfügt und mit denen die Proben abgeglichen werden, sei naturgemäß begrenzt. Kurz zeigt er ein dünnes Glasgefäß, in dem eine aufgelöste Probe vom Vorabend schwimmt – dann verschwindet das Behältnis wieder in das dafür vorgesehene Fach. „Alles wird später sachgerecht entsorgt“, sagt der Chemiker.
Gerade hat das „Drugchecking“-Team noch Zeit, sich auf der sonnenbeschienenen Wiese ein wenig zu unterhalten. „Bis jetzt ist es ruhig geblieben, aber heute Abend erwarten wir uns mehr Zulauf“, sagt Paulos. Auf die Frage, worin denn generell die Arbeit von „Pipapo“ bestehe, antwortet er: „Wir versuchen proaktiv auf Menschen zuzugehen und sie dafür zu sensibilisieren, dass Feiern der Vorbereitung bedarf – und wir ermutigen sie, sich Fragen nach ihren eigenen Grenzen und den Grenzen der Menschen, mit denen sie feiern, zu stellen.“
„Pipapoter“
Wer sich zu den Themen Drogen, Sex und Party informieren und gegebenenfalls seine Drogen analysieren lassen möchte, kann dies jeden Dienstag von 16 bis 20 Uhr oder an einem anderen Tag nach Terminvereinbarung in den Räumlichkeiten von „Pipapo“ in der Nähe des Hauptbahnhofs tun. Das Angebot „Pipapoter“ ist kostenlos und anonym. Das „Pipapo“-Team ist unter der E-Mail-Adresse pipapo@4motion.lu oder über Social Media zu erreichen.
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