Während des Nationalsozialismus fand zwischen 1933 und 1945 ein beispielloser Kunstraub an vornehmlich jüdischen Sammlungen statt. Eine umfassende Ausstellung in der Digitalen Kunsthalle des ZDF erlaubt es nun, die Dimensionen des Verbrechens zu erahnen.
Der Nazi-Kunstraub hat nicht nur viele Facetten, sondern auch zur Schaffung einiger Legenden beigetragen. Hollywood hat sich des Stoffs ebenfalls bereits angenommen, etwa mit George Clooneys „The Monuments Men“ aus dem Jahr 2014. Hinter solch eher spektakulären Aspekten drohen die Geschichten der beraubten jüdischen Familien, ihrer Sammlungen und ihrer tragischen Schicksale bisweilen zu verschwinden.
Zentraler Bestandteil der Ausstellung „Geraubte Kunst“ ist die Washingtoner Erklärung von 1998, die manchen Stein ins Rollen brachte und als Ursprung nicht weniger Forschungsarbeiten gilt. Eine ganze Reihe von Wissenschaftler*innen hat sich seither durch die Bestände der deutschen Museen und staatlichen Galerien gegraben, um herauszufinden, ob sich dort Raubgut aus der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur wiederfindet.
Die auf sechs virtuelle Räume verteilte Ausstellung erzählt die Geschichten von Kunstwerken, die den Familien Klemperer, Ernst und Agathe Saulmann, James von Bleichröder und Arthur Rubinstein geraubt und mittlerweile zum Teil an ihre Erb*innen zurückgegeben wurden. Die Präsentation der verschiedensten Kunstwerke, darunter durchaus Meisterstücke aus diversen Epochen, kombiniert mit den Berichten über die Schicksale der Menschen, denen sie einst gehörten, ergibt ein beklemmendes, aber auch fesselndes Gesamtkonzept.
Ein Beispiel ist die Sammlung von James von Bleichröder: Jurist und Erbe der gleichnamigen Bank, ehemaliger deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg und wie seine ganze Familie zum Protestantismus konvertiert. Doch dies rettet weder seine Sammlung vor dem Raub, noch seine Familie vor dem Holocaust – den nur seine Tochter überlebte. Bleichröder selbst stirbt 1938, danach wird seine Sammlung von den Nazis zwangsversteigert.
Die Ausstellung erzählt anhand der Geschichte eines einzigen Bildes – eine mittelalterliche Darstellung der Lazarus-Auferstehung, die aus Süddeutschland stammt – wie das Raubsystem funktionierte: Zunächst ersteigerte ein Privatmann das Bild nach der Konfiszierung. Ein paar Monate später verkaufte er es dann für mehr als den doppelten Preis. Der neue Besitzer war kein anderer als Hermann Göring; einer der führenden Nazis, dessen Sammlung noch heute akribisch auf Raubkunst durchleuchtet wird. Nach dem Krieg landete das Bild in den Beständen eines staatlichen Museums in Bayern, bis es 2006 schließlich der Familie von Bleichröder restituiert wurde. Kurz danach kaufte der bayrische Freistaat das Bild, und somit ist es weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich.
Aber nicht nur Kunstwerke wurden von den Nazis entwendet, sondern alles von Wert, das nicht niet- und nagelfest war. Der Familie Klemperer wurde zum Beispiel eine Porzellansammlung von unschätzbarem Wert, aber auch eine Fotosammlung aus dem Dresden der Jahrhundertwende geraubt. Wie sich die Nachfahr*innen fühlen und wie sie mittels dieser Kunstsammlungen versuchen, ein Gefühl für die zerstörten Familienbande zu bekommen, wird in Interviews – so etwa mit der Ururenkelin der Klemperers – einfühlsam illustriert.
Wer sich nicht an dem verwendeten Sprachduktus im Stile von TV-Geschichtsdokus stört und sich für diesen Teil der jüngeren Vergangenheit interessiert, sollte sich durch die Ausstellung klicken. Neben den Kunstwerken und erklärenden Texten sind Video- und Audiomitschnitte sowie Briefwechsel und andere Dokumente einsehbar, die ein tieferes Verständnis des Geschehenen ermöglichen.