Zehn Jahre lang wurde ein Referendum über den Stopp der Erdölförderung im größten Nationalpark Ecuadors von den Behörden blockiert. Nun hat das Verfassungsgericht des Landes grünes Licht für die Abstimmung am 20. August gegeben. Ein Besuch bei der indigenen Waorani-Gemeinschaft in Ñoneno, die mitten in dem gefährdeten Schutzgebiet lebt.

Eine Barke transportiert neben Dingen des täglichen Bedarfs auch Tourist*innen durch den Yasuní-Nationalpark: Die hier lebenden Waorani setzen auf Ökotourismus als ökonomisches Modell. (Fotos: Knut Henkel)
Guíwa Cahuiya wartet vor dem geräumigen Haus, das neben dem Bootsanleger steht und hält Ausschau nach dem Pick-Up von José Chito. Der kleine, drahtige Mann ist der Fahrer seines Vertrauens. Regelmäßig bringt Chito Besucher*innen aus El Coca an den Río Shiripuno, die von Guíwa Cahuiya oder einem seiner Brüder dann mit dem Boot nach Ñoneno gebracht werden – in das kleine Dorf ihrer indigenen Waorani-Gemeinde. So auch heute als der Pick-Up gegen 10 Uhr morgens am Anleger eintrifft. Cahuiya, ein 39-jähriger kräftiger Waorani, nimmt den Besucher, den seine Schwester Alicia Cahuiya geschickt hat, freundlich in Empfang und weist als Erstes den Weg zur Kontrollstation. Dort wird der Ausweis kontrolliert, die Daten werden in eine Besucherliste eingetragen – Vorschrift im Yasuní-Nationalpark, dem größten Schutzgebiet Ecuadors.
Die Zone erstreckt sich über mehr als 10.000 Quadratkilometer in den Provinzen Orellana und Pastaza, gut 250 Kilometer von der ecuadorianischen Hauptstadt Quito entfernt. Die Waorani haben uneingeschränkte Nutzungsrechte. „Unsere Besucher müssen sich jedoch anmelden und das ist gut so“, sagt Cahuiya. „Die eigentliche Gefahr sind jedoch die Erdölförderanlagen von PetroEcuador“, meint er mit Blick auf das bedrohte Ökosystem.
Er nimmt mich mit zu einem Laden, um noch Motoröl und ein paar andere Dinge einzukaufen. Anschließend geht es direkt weiter zum Anleger, wo eines der Boote der Gemeinde bereits auf uns wartet. Nachdem das Gepäck verstaut ist, legen wir ab und tuckern den von Regenwald gesäumten Río Shiripuno hoch. „Etwa neunzig Minuten sind es von hier“, kündigt Guiwa Cahuiya an, dessen Freund Nanto Huamoni am Steuer des Außenbordmotors sitzt und das Boot umsichtig um einige Baumriesen lenkt, die aus dem Wasser ragen. Beim letzten Hochwasser haben sie den Halt verloren und sind in den Fluss gerutscht. Wenig später kommen wir an eine Stelle, wo mehrere dieser Ungetüme sich ineinander verkeilt und aufgetürmt haben, sodass es nur mit vereinten Kräften möglich ist, das Boot an dem Hindernis vorbei zu manövrieren.
„Ungefähr hier beginnt unser Gebiet“, erklären mir meine beiden Begleiter. Das sei gut zu erkennen, weil hier Bäume stehen, die mehr als dreißig Meter hoch sind. „All das ist Primärwald und wir schützen ihn.“ Cahuiya und Huamoni halten die Augen offen und zeigen auf Schildkröten, Affen, Reiher und andere Vögel am Flussufer und in den dichten Bäumen. Cahuiya ist derzeit zweiter Sprecher der Gemeinde, nach seiner Schwester Alicia, die derzeit für das Bündnis indigener Nationalitäten Ecuadors „Conaie“ als Frauenbeauftragte arbeitet und seit vielen Jahren für den Schutz der Yasuní Nationalparks eintritt.
„Der Nationalpark ist gefährdet, und auf dem Weg von El Coca bis zum Fluss haben Sie ja gesehen wodurch“, so Huamoni. Er meint die Erdölförderplattformen, von denen mindestens vier die Strecke zwischen der Erdöl-Stadt El Coca und dem kleinen Anleger am Río Shiripuno säumen. In mehreren der Fördercamps wird Erdgas abgefackelt und das dickflüssige Erdöl wird per Pipeline abtransportiert. Das ist alles andere als sicher. Einer der letzten Rohrbrüche datiert vom 27. November 2020 als eine Pipeline an der Brücke über den Río Shripuno leckte und über mehrere Stunden hinweg klebriges, dickflüssiges Rohöl in den Fluss tropfte.
„Damals haben wir mit einer Blockade protestiert, die Regierung aufgefordert, den Fluss und die Umgebung des Lecks zu reinigen“, erinnert sich Guíwa Cahuiya. „Sieben Comunidades leben am Río Shiripuno – mindestens zwei davon in freiwilliger Isolation; wir alle sind durch die Erdölförderung gefährdet“, erklärt der ausgebildete Regenwald-Guide. Er hat die Schule in El Coca besucht, später die Universität in Puyo, der Hauptstadt der Provinz Pastaza, und arbeitet wie mehrere seiner Brüder als Führer in der Region.
„Sieben Gemeinden leben am Río Shiripuno – mindestens zwei davon in freiwilliger Isolation; wir alle sind durch die Erdölförderung gefährdet.“
„Wir laden Besucher in unser Dorf Ñoneno oder in unsere Minta Lodge ein, die rund vier Stunden flussabwärts liegt“, erläutert Cahuiya das alternative Tourismus-Konzept. Dann klettert er an die Spitze des Bootes, um ein Seil um den Poller zu legen, der am linken Flussufer auftaucht. Wir sind da, worauf auch ein weißes Schild mit dem Logo der Gemeinde hinweist: eine Lanze und ein Blasrohr, die überkreuzt sind.
Die beiden traditionellen Waffen der Waorani werden nach wie vor zur Jagd im Regenwald eingesetzt. Allerdings nur noch selten, denn die Gemeinde hat klare Regeln aufgestellt. „Wir schützen den Regenwald, engagieren uns für dessen Erhalt und das gilt auch für die Tierwelt. Zwei Tapire, die in der Nähe unseres Dorfes leben, stehen genauso unter Schutz wie andere seltene Spezies“, erklärt der 57-jährige Huamoni. Er gehört zu den Aktivisten unter den rund 30 Waorani-Familien, die in Ñoneno leben und die einen offiziellen Eigentumstitel über 50.00 Hektar im Yasuní Nationalpark besitzen.
Neben diesem Rechtstitel sorgen auch gute Kontakte zu Umweltorganisationen wie „Yasunidos“ oder „Acción Ecológica“ für Schutz und zur Not für rechtlichen Beistand. Ein Trumpf für die Gemeinde, die in einfachen Verhältnissen lebt. Die Häuser sind aus Palmwedeln, Holz und verarbeitenden Pflanzenfasern gebaut, letztere kommen auch für die traditionellen Handarbeiten der Waorani zum Einsatz. Allerdings verfügt die Gemeinde auch über ein Schulgebäude, wo eine kleine Solaranlage steht, sodass es zumindest in der Schule auch Internet gibt. „Das sorgt dafür, dass wir Anschluss haben und uns mit Alicia Cahuiya koordinieren können“, erklärt Nanto Huamoni und streicht sich eine halblange Haarsträhne aus der Stirn.
Er ist der botanische Fachmann im Dorf, kennt sich aus mit den 2.274 Baum- und Buscharten, die es im Yasuní Nationalpark gibt, und hat die Comunidad Ñoneno auch schon im Ausland vertreten. Durch Spenden ist der Internetanschluss zustande gekommen, die Schule zumindest teilweise von der Regierung finanziert. Derzeit zieht Nanto es vor, im Dorf zu leben und überlässt die politische Arbeit seiner Freundin Alicia. Die ist viel unterwegs. Ende Juli war sie gemeinsam mit Vertretern anderer indigener Gemeinden aus dem Yasuní Nationalpark und den Yasunidos auf einer Veranstaltung in Cuenca, wo es um das Referendum über die Zukunft des Nationalparks ging; Anfang August ging es auf eine Konferenz zum Schutz des Amazonas im brasilianischen Belém.
Das Referendum, welches am 20. August parallel zu den Präsidentschaftswahlen in Ecuador stattfinden wird, kommt zehn Jahre zu spät; eigentlich hätte es bereits 2013 stattfinden sollen. Damals hatten die Yasunidos 757.000 Unterschriften für den Antrag zu einem Referendum für oder gegen die weitere Erdölförderung im Nationalpark vorgelegt. Das waren ausreichend Unterschriften, um ein solches Referendum durchzuführen. Doch aufgrund politischen Drucks erklärte das zuständige Wahlgericht mehr als 400.000 der Signaturen für ungültig. So dauerte es zehn weitere Jahre, ehe das Verfassungsgericht am 9. Mai 2023 das Referendum schlussendlich zuließ.
Ein Sieg für Yasunidos, die sich auf die Verfassung berufen und die partizipative Demokratie zu stärken versuchen. Vieles hängt nun davon ab, ob die Bevölkerung für den Schutz des Yasuní stimmen wird. Im Jahr 2013 wiesen Umfragen in diese Richtung: 72 Prozent waren demnach gegen die Erdölförderung auf einem Territorium, wo seit 2016 gefördert wird. Derzeit gehen die Umfragen von einem deutlich knapperen Ergebnis aus.
Ein Votum gegen den Schutz des Nationalparks wäre für die Waorani ein Desaster, denn sie wollen weiterhin vom Regenwald, dem Anbau von Yucca, Bananen und anderen Pflanzen leben. Etwas Geld für Kleidung, Benzin, Salz und andere Dinge sollen die Besucher*innen bringen, die in aller Regel drei, vier Tage bleiben und viele Tier- und Pflanzenarten zu sehen bekommen, die nur der Yasuní Nationalpark zu bieten hat. Er gehört zu den globalen Schwerpunkten der Biodiversität und wurde 1989 zum Unesco-Biosphärenreservat erklärt. Zu Recht, denn obwohl der Yasuni-Nationalpark nur 0,15 Prozent der Fläche der Amazonasregion einnimmt, kommen dort rund ein Drittel aller im Amazonas lebenden Reptilien, Vogel- und Säugetierarten vor, ein Viertel der Amphibienarten und rund ein Siebtel der Fischarten.
Doch die Fischbestände im Río Shiripuno sind zurückgegangen, erklärt Tota, die Mutter von Guíwa und Alicia Cahuiya. Die 76-jährige führt das auf die Erdölförderung und die Kontaminierung durch Rohrbrüche zurück. Von denen hat es im gesamten Yasuní-Park etliche Dutzend gegeben – laut offiziellen Zahlen. Allein auf dem als „Bloque 43“ bezeichneten Territorium im Zentrum des Parks sind es seit 2016 nicht weniger als 22 Pipelinebrüche gewesen, wie die Yasunidos immer wieder betonen. Die Message ist klar: Saubere Erdöl-Förderung ist unmöglich. Das bestätigen auch alle Experten, zu denen unter anderem Alberto Acosta gehört, der ehemalige Energie- und Bergbauminister des Landes. Er hat sich längst auf die Seite der Yasunidos geschlagen und wirbt für einen Ausgang des Referendums in ihrem Sinn. Das freut auch Tota und ihre Söhne, von denen neben Guíwa, auch Boya und Wia im Dorf leben.
„Obendrein hat uns unser Erdöl-Boom kaum etwas gebracht – die drei Provinzen, wo gefördert wird, sind die ärmsten Ecuadors.“
Letzterer, ein drahtiger, muskulöser Mann von Anfang Dreißig, ist ebenfalls Guide und bringt Besucher auch den Umgang mit dem Blasrohr bei. Das ist alles andere als einfach. Die Waffe ist lang, und so ist es eine echte Herausforderung, genug Luftdruck zu erzeugen, um einen kleinen, im Ernstfall vergifteten Pfeil mehr als ein paar Meter weit fliegen zu sehen. Die Waorani beherrschen das aus dem Effeff, auch wenn sie nur noch selten jagen. Das Konzept für die Zukunft sieht nämlich anders aus: Sie setzen auf Öko-Tourismus, den sie auch den benachbarten Gemeinden empfehlen, die weiter unten und weiter oben am Río Shiripuno leben.
Aus mehreren Gründen macht dies nicht nur für die Waorani Sinn. Zum einen könnte das Referendum dafür sorgen, dass die Erdölförderung zumindest im „Bloque 43“ beendet wird. „Dann müssten die Anlagen demontiert werden“, so Guíwa Cahuiya. Ohnehin sind die Förderquoten im ganzen Amazonasgebiet Ecuadors rückläufig. Nationale und auch internationale Prognosen gehen davon aus, dass in fünf bis sieben Jahren nur noch der Eigenbedarf Ecuadors an Erdöl gefördert werden wird. „Also brauchen wir ein neues nachhaltiges ökonomisches Modell, denn die Förderung von Rohstoffen ist endlich“, argumentieren nicht nur die Waorani um Guíwa Cahuiya und Nanto Huamoni, sondern auch die Yasunidos und Alberto Acosta.
„Obendrein hat uns unser Erdöl-Boom kaum etwas gebracht – die drei Provinzen, wo gefördert wird, sind die ärmsten Ecuadors“, meint Wia Cahuiya und schüttelt ärgerlich den Kopf. Das belegen auch die staatlichen Statistiken. Trotzdem gibt es mehrere indigene Gemeinden, die für eine weitere Förderung plädieren. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Sie werden vom staatlichen Konzern „PetroEcuador“ versorgt. „Eine typische Strategie von Erdöl- und Bergbaukonzernen“, so Alicia Cahuiya am nächsten Morgen per Telefon. Eigentlich wollte sie nur nachfragen, ob alles in Ordnung sei, nimmt sich dann aber doch Zeit, um ihre Prognose für das Referendum abzugeben. „Ich glaube an den Stopp der Förderung, aber ich fürchte ein knappes Ergebnis. Je deutlicher das Votum der Bevölkerung für den Regenwald, umso sicherer ist unser Territorium vor Ausbeutung und Kontaminierung“, erklärt die 46-jährige Aktivistin.
Diese Einschätzung teilt auch Nanto wenig später beim Frühstück in einer der beiden langen Gemeinschaftshäuser, die die Gemeinde Ñoneno gemeinsam nutzt. Beeren aus dem Regenwald, Bananen, Ananas und etwas Yucca gibt es, dazu heißen Tee. „Die Artenvielfalt des Yasuní ist der eigentliche Schatz und den möchte ich meinen Kindern erhalten“, sagt Nanto nachdenklich. Wenig später mahnt er zum Aufbruch. Auch seine Tochter, angehende Krankenschwester, muss zurück nach Quito.