Fabio Bottani im Interview: „Wir betrachten uns mit dem Binokular”

Der italienisch-luxemburgische Filmemacher Fabio Bottani erzählt in „L’arrivée de la Jeunesse“ die Familiengeschichte italienischer Einwander*innen in Luxemburg. Ein Interview über die Arbeit hinter den Kulissen und Migration im Allgemeinen.

Eindrücke vom Set: Der Filmemacher Fabio Bottani im Gespräch mit einem der Hauptdarsteller seines Films „L’arrivée de la Jeunesse“. (Foto: Lejla Halilovic)

woxx: Herr Bottani, Sie vermischen in „L’arrivée de la Jeunesse“ Archivmaterial mit Fiktion und Monologen, die das Publikum aus dem Theater kennt. Warum diese Kombination?


Fabio Bottani: Die Idee, unterschiedliche Stile miteinander zu verbinden, war von Anfang an da. Ich liebe das Theater – und für mich kann Kino auch Theater sein. Wir wollen in dem Film möglichst viele Informationen auf engem Raum wiedergeben und mit der vierten Wand brechen, also das Publikum durch die Monologe direkt ansprechen. Die Archivbilder sollen die historischen Ereignisse hingegen glaubhafter für das heutige Publikum machen. Der Stil geht aber auch auf das Budget zurück.

Was hat die Form mit dem Budget zu tun?


Wir wollten fast 100 Jahre italienische Migration in Luxemburg aufarbeiten. In einem rein fiktionalen Film erfordert das ein immenses Budget für Kostüme und Dekor, um die jeweiligen Epochen realistisch nachzubilden. Unser Film wurde im Rahmen des Kulturjahres Esch2022 produziert und finanziert, als einziger audiovisueller Beitrag. Das Budget wurde atypisch für eine Filmproduktion verteilt: Die Gelder wurden Stück für Stück ausgeschüttet, wir konnten also nicht gleich auf das Gesamtbudget zugreifen. Das ist das spannende an „Indie-Filmen“: Die Kreativität wächst durch finanzielle Engpässe.

Was berührt Sie an der italienischen Migrationsgeschichte?


Es hat mich vieles bewegt, unter anderem mein Unwissen über all die Facetten italienischer Migration in Luxemburg. Das, was Marcello Merletto, den fotografischen Direktor des Films, und mich am meisten berührt hat, sehen Sie auf der Leinwand. Der Film basiert dabei auf zwei Büchern: „Il pallone e la miniera“ (Tonio Attino) und „Tanti italiani fa a Lussemburgo“ (Remo Ceccarelli). Es gibt in den Büchern unzählige interessante, wahre Geschichten. Wir haben uns dafür entschieden, eine Familiengeschichte daraus zu spinnen und sie so miteinander zu verknüpfen. Es wäre unmöglich gewesen, der italienischen Kultur von damals und heute mit nur einer Figur gerecht zu werden: Da gab es die Cafés, den Fußballkult, die Arbeiter und ihre Familien…

… sowie die Frauen, die eine wichtige Rolle einnahmen.


Es braucht keine Fiktion, um die Bedeutung der Frauen für die italienische Migrationsgeschichte in Luxemburg hervorzuheben. Frauen sind in allen Geschichten präsent, nur wird darüber zu wenig gesprochen. Während die Männer in den Minen verunglückt sind, haben sie zu Hause und außerhalb der eigenen vier Wände gearbeitet. Sie waren oft mutiger, stärker als die Männer. Viele von ihnen haben während der Weltkriege mit ihrer Rationalität und Denkweise ihre Familien gerettet, auch weil sie die Kampfbereitschaft der Männer kritisch hinterfragt haben. Sie hatten eine andere Art und Weise, die Probleme der Zeit anzugehen – und das in einer Welt, in der sie noch nicht einmal wahlberechtigt waren [An.d.R.: Frauen erhielten 1946 das Wahlrecht in Italien]. Es lag uns am Herzen, ihnen im Film zu Sichtbarkeit zu verhelfen.

„Es braucht keine Fiktion, um die Bedeutung der Frauen hervorzuheben“

Der Film handelt von verschiedenen Generationen. Wie unterscheiden diese sich?


Jede Generation ist mit ihren eigenen Problemen konfrontiert, was mit der Situation in ihrer Heimat zusammenhängt und damit, was in der Welt geschieht. Die Zeiten haben sich geändert, aber die Menschen nicht. Sie sind immer noch auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen, nach einer Zukunft, einem Dach über dem Kopf.

Was hat es mit den Konflikten zwischen Portugies*innen und Italiener*innen auf sich, die im Film Thema sind?


Portugies*innen haben ihr Land in den 1970er-Jahren aus denselben Gründen verlassen, wie die Italiener*innen. Manche Italiener*innen haben die Portugies*innen aber genauso abwertend behandelt, wie die Luxemburger*innen ihre Eltern und Großeltern zuvor.

Wie erklären Sie sich die Situation?


Die ersten italienischen Migrant*innen haben stark unter der Repression der Luxemburger*innen gelitten. Ich denke, dass sie dieses Verhalten im Umgang mit neuen Generationen von Einwander*innen reproduziert haben. Das ist ein Schema, das auch in der Arbeitswelt präsent ist: Die Chefetage schimpft mit der Abteilungsleitung, die ihren Frust an den Arbeiter*innen auslässt. Es ist ein Ball, der herumgereicht wird. Diese Wut und Unzufriedenheit gibt es in vielen Lebensbereichen.

Fußball schafft Abhilfe, wie es scheint.


Die Italiener*innen wurden wie Hunde behandelt, bis die Luxem-burger*innen gemerkt haben, dass sie Fußball spielen können. Das wollten wir in dem Film zeigen. Der Mensch ist unmöglich: Er verurteilt dich, bis er dein Talent erkennt. Erst dann bricht das Eis. Die Jeunesse ist das eindrücklichste Beispiel hierfür in Luxemburg: Luxemburgische und italienische Minenarbeiter haben zusammen in einer Mannschaft gespielt, dadurch ist eine Verbindung entstanden. Sportwettbewerbe sind Momente, in denen sich Gegner*innen näher kommen können.

Und wie hat die italienische Kultur das Großherzogtum abseits der Spielfelder geprägt?


Die italienische Kultur charakterisiert sich vor allem durch ihr Gemeinschaftsgefühl, den Wert der Familie, ihre Gastronomie-Kultur – das waren Luxemburger*innen in dem Maße früher nicht gewöhnt. Damit sage ich nicht, dass Luxemburger*innen sich nicht um ihre Familie scheren, doch es herrschen andere Gewohnheiten als in südeuropäischen Ländern. Ich habe den Eindruck, dass die italienische Kultur Luxemburg beeinflusst hat, sich die luxemburgische Bevölkerung jedoch immer mehr verschließt, vor allem in Luxemburg-Stadt, weniger in Esch. Die Luxemburger*innen fühlen sich wie Dinosaurier und denken die Migrant*innen seien der Asteroid, der sie alle auslöschen wird. Und das ist schade, denn es bleiben so alle unter sich und niemand bemüht sich, einander näherzukommen. Wir betrachten uns gegenseitig aus der Ferne, mit dem Binokular.

L’arrivée de la Jeunesse, im Utopia. 
Einzeltermine: Cinémathèque Luxemburg-Stadt (2. November, ab 16:30 Uhr mit Diskussionsrunde im Anschluss), L’Arche 2 Villerupt (6. November, 17:30 Uhr) und Ciné Starlight Dudelange
 (9. November, 19:00 Uhr) .

Une arrivée trop résumée

(ft) – Le titre pourrait laisser penser que cette docufiction s’emploie d’abord à conter l’histoire de la Jeunesse Esch, étroitement liée à celle de l’immigration italienne au grand-duché. De fait, une place relativement importante y est consacrée au fait de gloire européen du club de football, ce match nul (1-1) contre Liverpool au stade de la Frontière en 1973. Mais il faut voir ledit titre comme une métaphore : à travers les destins imbriqués d’une famille sur plusieurs générations, c’est en fait de toute l’histoire italienne au Luxembourg que « L’arrivée de la Jeunesse » s’occupe. Les Brigades internationales y côtoient la période nazie ou l’après-guerre, lequel a marqué le déclin des migrations italiennes, remplacées plus tard par les portugaises, puis par celles liées aux guerres et à la mondialisation. Dans un format aussi court – moins d’une heure –, tout cela ne peut qu’être survolé, de surcroît dans des saynètes à l’interprétation inégale, où la musique souligne souvent trop les émotions suggérées.

C’est pourtant avec beaucoup de cœur à l’ouvrage que le moyen métrage s’attache à cette tâche difficile, qui aurait sans nul doute été plus réussie si elle avait bénéficié d’un traitement plus long ou d’un budget plus élevé. Les témoignages plutôt que les reconstitutions fictionnelles sont d’ailleurs à mettre au crédit du film, tant sur le match mémorable de la Jeunesse que sur l’aboutissement de l’histoire familiale racontée. En effet, celle-ci débouche pour une représentante des dernières générations sur l’exercice de la profession de médiatrice culturelle. Tout un symbole. Il n’en reste pas moins que, en raison de son équilibre cinématographique précaire, « L’arrivée de la Jeunesse » parlera en priorité à celles et ceux qui se reconnaîtront dans l’évocation de l’immigration italienne au grand-duché.


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