Fotografieausstellung: Die Erde als Kugel und andere Realitäten

Statt naturwissenschaftlicher Aspekte oder katastrophaler Wetterereignisse stehen subtilere Konsequenzen des Klimawandels im Mittelpunkt: Die Abtei Neumünster präsentiert in ihrer Ausstellung „Earth Is Not Flat But Soon Will Be“ eine facettenreiche Dokumentation der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt.

Nicht nur die Themenaspekte sind vielfältig: Große und kleine Aufnahmen wechseln sich ab. (Copyright: María Elorza Saralegui/woxx)

Als abstrakte Phänomene sind die steigenden Treibhausgasemissionen und die daraus folgende Erwärmung des Klimas schwer zu fassen. Die traditionelle visuelle Berichterstattung der Klimakrise wird der Realität meist nur selten gerecht: Wetterkatastrophen, Proteste und politische Konferenzen machen die Mehrheit der Bilder in vielen Medien aus. Detailreichere, nuancierte Facetten bleiben oft nur wenig erkundet. Das heißt jedoch nicht, dass es sie nicht gibt: Die Abtei Neumünster stellt nun in einer umfangreichen Ausstellung fünf Fotograf*innen vor, deren journalistische Arbeiten unter die Oberfläche schauen und den Blick der Besucher*innen auf neue, differenzierte Darstellungen der Klimakrise ziehen.

Jede der fünf fotografischen Serien in „Earth Is Not Flat But Soon Will Be“ behandelt einen einzelnen Themenaspekt in seiner klimapolitischen und -sozialen Dimension. Gleich nach dem Eintritt in den ersten Saal blicken einen die einsamen Tiere des Fotografen Kerem Uzel an: Eine Giraffe, ein Elefant, ein Gorilla, ein Flusspferd, … alle werden sie festgehalten in modernen Betonbauten, hinter Stäben, Holzzäunen und einem Dutzend in die Höhe gereckten Handykameras. Entfernt erinnert Uzels Projekt an die emblematische Figur des Eisbären auf der schmelzenden Eisscholle. Doch begleitet vom ehrfürchtigen Gedicht „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke konfrontiert die erste Serie der Ausstellung die Besucher*innen in gezielterer Weise mit dem Elend der fernab von ihrer natürlichen Umgebung gehaltenen Tiere des Berliner Zoos.

Von gefangenen und gejagten Tieren in Europa, Zwangsmigrationen in Somalia und indigenen Völker in Sibirien bis hin zu bedrohten Sandküsten im Cape Verde: Die vorgestellten Bilder heben eine menschliche Dimension des Klimawandels hervor, die in den Medien oft untergeht. Die Kuratorin Yasemin Elçi hat die fünf Fotograf*innen gezielt wegen der sozialpolitischen und geografischen Diversität ihrer Projekte ausgewählt, erklärt sie im Gespräch mit der woxx. Dadurch solle die Neugier der Besucher*innen geweckt werden. „Die Ausstellung fängt mit dem Thema des menschlichen Drangs, die Natur zu beherrschen, an. Dann geht sie über zu der Ausbeutung unserer Ressourcen und endet mit dem Blick auf indigene Völker und deren erfahrene Lebensweisen.“ So präsentiert die Kuratorin im ersten Raum die Zerstörung des Urwaldes Białowieża an der Grenze zwischen Polen und Belarus, die die Fotografin Andrea Mantovani seit 2016 dokumentiert. Im zweiten Saal lenkt dagegen die Serie des Fotografen Mathias Depardon die Aufmerksamkeit auf unsere Beziehung mit natürlichen Ressourcen und deren Wert für die von steigenden Meeresspiegeln bedrohten Küstenökosysteme. Konkret gibt der Depardon Einblicke in die Sandgewinnung im Cape Verde für die Bau-, Elektronik- und Kosmetikindustrie.

Ein militanter Akt

„Earth Is Not Flat But Soon Will Be“ ist vielfältig. In den kühlen Räumen der Abtei umgeben die Bilder das Publikum in variierender Größe. Mal füllt ein auf ein Pelzzelt fallender Schatten eines Rentierkopfes eine ganze Wand aus, mal sind es kleinere Fotos mit jungen Schüler*innen einer Forstwirtschaftsschule oder einem Kamel, das spielerisch am Kopftuch seines Halters zieht, die an der Wand hängen. Sowohl die ästhetische als auch die narrative Qualität der Fotografien sind fesselnd und aussagekräftig. Die Bilder der Fotograf*innen könnten ohne Mühe mit ebenso hochinteressanten Projekten wie die, die in den preisgekrönten Ausstellungen des World Press Photo vorgestellt werden, mithalten.

Der langjährige Fokus der Fotograf*innen liegt dabei immer wieder auf die Betroffenen der Klimakrise. Es gehe nämlich darum, Demut zu vermitteln vor dem prekären Gleichgewicht unseres Klimas. Als „eine Illusion“ beschreibt Yasemin Elçi, die seit 2019 in Luxemburg arbeitet, unsere Beziehung und vermeintliche Kontrolle über die Umwelt. Deswegen steht im dritten Raum unter anderem eine indigene Bevölkerung mit alternativen Lebensweisen im Mittelpunkt. „Das Ziel war, unsere Überlegenheit in Frage zu stellen und dem Publikum das Wissen indigener Völker etwas näher zu bringen“, so die Kuratorin, die zudem als Kunstberaterin und Journalistin arbeitet. Veranschaulichen tut die Ausstellung dies anhand der im letzten Raum ausgestellten Projekte. Das erste ist das der Fotojournalistin Natalya Saprunova, die das alltägliche und spirituelle Leben des autochthonen Volkes der Ewenken in Sibirien dokumentiert. Das zweite Projekt der Fotografin Nichole Sobecki folgt vor Krieg und Dürre flüchtende Frauen in Somalia und legt somit die zusätzliche geschlechtsspezifische Bedrohung der Klimakrise offen.

Auch der Titel der Ausstellung ist eine Anspielung auf unser Beharren, die tiefreichenden Folgen des Klimawandels abzutun. ‚Die Erde ist nicht flach, aber sie wird es bald sein‛: Der Verweis auf die Verschwörungstheorie der ‚flat earthers‛, die den Glauben, dass die Erde in Wahrheit flach sei, verbreitet, ist vor allem eine subtilere Anspielung auf die gezielte Desinformation rund um Klimakrise. „Wenn die Menschen in tausend Jahren zurückblicken, werden sie denken, dass wir an eine flache Erde geglaubt haben, weil wir in einem Wahn des ständigen Fortschritts leben und unsere Unzulänglichkeiten im Umgang mit dem Klimawandel nicht erkennenerkennen“, so Elçi.

Gegenwarts- und Zukunftsvisionen

Gerade diese alternative Lebensweisen werden in der traditionellen Klimaberichterstattung der meisten Medien wenig beleuchtet. Meist erscheinen Bilder von Demonstrationen, Politiker*innen, extreme Wetterereignisse oder Aufnahmen, wie die des einsamen Eisbären, die in den 1990ern und 2000ern erst zu Emblemen und dann zu Klischees wurden. Mit der Zeit stumpfen Zuschauer*innen ab. Den Bildern mangelt es an einem eindeutigen Alltagsbezug und können dazu führen, dass Menschen vermeiden, sich Berichterstattung über Katastrophen anzusehen. Zudem zeigt die Berichterstattung damit nur einen Teil der Realität: So findet eine Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) etwa starke Schwankungen in der Mehrheit der deutschen Medien vor, in der nur wenige Ausnahmen ‒ extreme Wetterereignisse und politische Ereignisse wie die UN-Klimakonferenzen ‒ punktuell mediale Aufmerksamkeit erlangen. Dabei sei eine kontinuierliche und kritisch-konstruktive Berichterstattung wichtig, um Desinformation rund um die Klimakrise zu bekämpfen, so die Schlussfolgerung des BPBs.

Ein Fotojournalismus, der mit detailliertem Auge die neue Realitäten der Klimakrise dokumentiert gehört dazu. „Langfristige, forschungsbasierte fotojournalistische Projekte sind von entscheidender Bedeutung, um die vielschichtigen Aspekte des Klimawandels zu erfassen und neue Perspektiven zu eröffnen“, erklärt Yasemin Elçi. Die Arbeiten sollen zugänglich sein und Neugier, statt Angst, wecken. „Deshalb ist es auch so wichtig, Fotos wie diese in Museen und Galerien auszustellen, damit sie ein breiteres Publikum finden. Dafür bin ich den Künstler*innen und der Abtei sehr dankbar.“

Bewusst entschloss sich die Kuratorin dazu, keine der Bilder mit kleineren Aufschriften zu begleiten. Will ein*e Besucher*in mehr über ein bestimmtes Foto wissen, muss ein QR Code gescannt und ein Dokument auf dem Handy gelesen werden. „Ich wollte, dass der Blick nicht von den Bildern abgelenkt wird, weshalb wir Text so viel wie möglich vermieden haben“, erklärt Elçi die Entscheidung. Scannt man den Code nicht, entgehen einem*r dadurch leider wichtige kontextualisierende Fakten. Lässt man sich Zeit beim Betrachten, erwecken die Bilder jedoch genug Neugier, um mehr erfahren zu wollen und zuhause zu den Themen zu recherchieren. Von aktueller und akuter Bedeutung sind die Projekte der fünf Fotograf*innen, die allesamt über Jahre hinweg schon an ihren Projekten arbeiten, immerhin. Umso mehr ist zu begrüßen, wie die fünf nuancierten Erzählungen dem Publikum andere Ebenen der Klimakrise etwas näher bringen.

„Earth Is Not Flat But Soon Will Be: Climate Stories Near & Far“, Centre Culturel de Rencontre Abbaye de Neumünster (28, rue Münster, L-2160 Luxembourg), täglich, 10 – 18 Uhr. Bis zum 13. Oktober 2024.

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