Geschichte: Leben und leben lassen

Im Jahr 2021 finden in Deutschland bundesweit Veranstaltungen zum Thema „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ statt. Auch das Trierer Stadtmuseum Simeonstift begibt sich auf Spurensuche.

Foto: woxx

Im ersten Stock des Stadtmuseums können Besucher*innen über Videointerviews und Fotos den Zeugnissen jüdischen Lebens in der ältesten Stadt Deutschlands nachgehen – und darüber hinaus, denn die Ausstellung „Orte jüdischen Lebens in Trier“ behandelt auch andere regionale Orte wie Bingen, Worms oder Thionville.

Die ersten schriftlichen Nachweise der Präsenz jüdischen Lebens in der ehemaligen Römerstadt stammen aus einer Chronik des Jahres 1066 – aber Historiker*innen sind sich sicher, dass es seit der Spätantike eine jüdische Gemeinde in Trier gegeben haben muss. Archäologische Ausgrabungen haben unter anderem Öllampen mit jüdischen Symbolen und Behälter mit heiligem Öl aus Palästina zutage gefördert, die aus der Zeit vor dem 11. Jahrhundert stammen.

Das jüdische Viertel, das teilweise bis heute erhalten geblieben ist, konnte über drei Pforten erreicht werden. Die kleinste Pforte gibt es noch – sogar mit den Löchern für die Holztüren. Sie führt vom Hauptmarkt aus in die Judengasse. Das Interessante daran ist, dass das Viertel zwar abgeschlossen werden konnte – jedoch nicht von außen, sondern von innen. Dies geschah an jedem Sabbat, um der Gemeinde zu erlauben, ihre Rituale abzuhalten.

Aber auch die Integration rettete die Trierer Jüd*innen nicht vor Verfolgung. Im Jahr 1096 überfielen die Anhänger*innen des ersten Kreuzzugs die Stadt und attackierten die jüdische Bevölkerung. Chroniken zufolge waren auch Trierer Christ*innen an den Angriffen beteiligt, möglicherweise angestachelt durch die Rituale der Karwoche – in der der Überfall stattfand –, in der die Passion Christi auch mit den vermeintlichen Mördern des „Heilands“ aufwartet.

Jedenfalls sah sich der damalige Erzbischof gezwungen, den Juden Asyl in seiner Burg zu gewähren, ein Gebäude, das die Römer hinterlassen hatten: Die Konstantinbasilika. Auch der Erzbischof musste sich vor dem Mob in der Porta Nigra verbarrikadieren. Insgesamt kamen bei diesem Pogrom weitaus weniger Juden zu Schaden als in anderen Städten und die Gemeinde erholte sich vergleichsweise schnell wieder.

Ab dem 12. Jahrhundert herrschte interkonfessioneller Frieden bis zu den Pestpogromen 1349, die viele Trierer Jüd*innen nach Polen trieben. Die Überlebenden wurden nur noch unter strengen Auflagen geduldet, bis 1418 der Erzbischof Otto von Ziegenhain sämtliche Jüd*innen aus dem Erzstift vertrieb. Dies dauerte bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts an, als die Jüd*innen wieder geduldet wurden, mit dem Unterschied, dass sie nicht mehr über ein eigenes Viertel verfügten, sondern über die ganze Stadt verteilt lebten.

Es folgten die Emanzipation durch die französische Besetzung und die erneute Verfolgung ab den 1930er-Jahren unter den Nazis. 1938 wurde die Synagoge zerstört und geplündert und etwa die Hälfte der 600 Trierer Jüd*innen war auf der Flucht. Die Dortgebliebenen wurden fast alle in den Vernichtungslagern massakriert. Nach dem Krieg kehrten etwa 20 Geflüchtete zurück und gründeten eine neue Gemeinde. Heute zählt sie etwa 500 Mitglieder, vor allem weil ab 1990 die sogenannten „Kontingentjuden“ aus der Sowjetunion kamen.

Die Ausstellung ist aber nicht nur wegen der bewegten Geschichte der Trierer Jüd*innen interessant, sondern auch wegen der in ihr beleuchteten Einzelschicksale. Wie etwa das von Adele Elsbach, einer anerkannten Art Déco-Künstlerin, die 1908 in der Paulinstraße geboren und 1944 in Auschwitz vergast wurde. Ihre fast unbekannte Geschichte und einige ihrer Werke werden vorgestellt, so wie auch die des überlebenden Synagogenmalers Max Lazarus, der 1938 in die USA flüchten konnte und erst 1956 in seine Heimat zurückkehrte.

Bis zum 14. November im Stadtmuseum Simeonstift in Trier – aufgrund der 
Corona-Maßnahmen bitte im Voraus unter 
termine-reservieren.de/termine/trier anmelden

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