Honduras’ neue Präsidentin: Hohe Erwartungen an Castro

In Honduras steht die linke designierte Präsidentin Xiomara Castro vor großen politischen Problemen. Sie muss es mit Klientelismus und Korruption in Justiz und Politik aufnehmen. Doch das Land steckt in einer tiefen institutionellen Krise.

Steht von Anfang an unter großem politischen Druck: Die neue honduranische Präsidentin Xiomara Castro 
am vergangenen Sonntag bei der Wahl des Parlamentspräsidenten im Nationalkongress in der Hauptstadt Tegucigalpa. (Foto: EPA-EFE/Humberto Espinoza)

Die Euphorie der ersten Wochen nach der Wahl hat sich gelegt. „Natürlich ist es nach wie vor überwältigend, dass wir nach zwölf Jahren, in denen wir von einer korrupten und demokratiefeindlichen Clique um Juan Orlando Hernández regiert wurden, nun erstmals eine demokratisch legitimierte Präsidentin haben, die alles besser machen will. Doch das wird schwer“, meint Rodolfo Peñalba. Der 48-Jährige ist Geschäftsführer der Kaffeegenossenschaft „Comsa“, die rund 1.600 Mitglieder hat.

Kurz nach Redaktionsschluss dieser Zeitung soll Xiomara Castro von der linken Partei „Libre“ am Donnerstag, den 27. Januar als Präsidentin vereidigt werden. Nach dem Militärputsch gegen den liberalen Präsidenten José Manuel Zelaya 2009 hatte die konservative Nationale Partei (Partido Nacional de Honduras; PNH) das Land regiert, ab 2010 zunächst unter Präsident Porfirio Lobo Sosa, seit 2014 unter Hernández. Peñalba befürchtet, dass die neue Regierung mit viel politischem Widerstand rechnen müsse, und macht vor allem die Sitzverteilung im Einkammerparlament verantwortlich: „Unser Nationalkongress hat 128 Sitze. Davon hat die Koalition von Xiomara Castro aber nur 60. Sie muss sich also Mehrheiten suchen. Die sind nötig, um etliche der Gesetze, die ihr Vorgänger Juan Orlando Hernández oft zu Gunsten einer korrupten Führungsschicht durchgesetzt hat, rückgängig zu machen.“

Zwei Drittel der Stimmen, also 85 Mandate, sind in den meisten Fällen nötig, um umstrittene Gesetze wie das über die Sonderwirtschaftszonen „Zede“ (Zonen für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung) rückgängig zu machen. Allgemein wird erwartet, dass der PNH, der über 44 Mandate verfügt, an den „Zede“ festhalten will; von Linken, Menschenrechtlern und Umweltschützern werden sie dagegen scharf kritisiert.

Castro hat sich in ihrem Wahlprogramm klar dazu bekannt, die Sonderwirtschaftszonen abschaffen zu wollen. Dafür hat sie zwei Möglichkeiten. „Sie kann versuchen, die Stimmen durch geschicktes Verhandeln im Parlament zusammenzubekommen oder aufs Ganze zu gehen und ein Referendum zu initiieren“, meint Miriam Miranda, Koordinatorin der „Organización Fraternal Negra Hondureña“ (Ofraneh), der wichtigsten Interessenvertretung schwarzer Menschen in Honduras. Miranda setzt sich für die Rechte der afrokaribischen Minderheit der Garifuna ein.

Die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen hat enorme negative Folgen für die lokale Bevölkerung.

Die zweite von Miranda benannte Vorgehensweise wird derzeit immer wahrscheinlicher, denn seit dem Wochenende ist Libre im Parlament geschwächt. Mit Luis Redondo von der Partei „Salvador de Honduras“ (PSH) und Jorge Cálix, ursprünglich „Libre“, haben sich gleich zwei Abgeordnete am Sonntag in konkurrierenden Wahlgängen zum Parlamentspräsidenten wählen lassen: Redondo mit den Stimmen von 48 Abgeordneten und der Unterstützung der designierten Präsidentin, Cálix mit 79 Stimmen, darunter die 44 der konservativen PNH sowie jenen von 18 abtrünnigen Libre-Abgeordneten. Diese Abtrünnigen inklusive Cálix wurden von Castro daraufhin aus „Libre“ ausgeschlossen.

Die Unterstützung der PNH für Cálix deutet darauf hin, dass er ein Abkommen mit den Konservativen geschlossen haben könnte. Gerüchte weisen ebenfalls in diese Richtung. So soll er von der zweitgrößten honduranischen Bank „Ficohsa“ sowie prominenten Unterstützern der Sonderwirtschaftszonen gefördert werden.

Bisher bestehen drei dieser „Zede“, eine vierte ist in Vorbereitung. Miriam Miranda engagiert sich von Beginn an dagegen. Bereits 2011 hatte der Kongress ein Gesetz über besondere Entwicklungsgebiete (REDs) verabschiedet. Im Jahr 2012 wurde es allerdings für verfassungswidrig erklärt. 2013 wurde die Verfassung dann geändert und das Gesetz über die „Zede“ eingeführt.

Die Sonderwirtschaftszonen haben enorme negative Folgen für die lokale Bevölkerung. Sie sind autonome Gebiete mit eigener Währung, eigenem Steuer- und Bildungssystem sowie eigener Verwaltung. De facto sollen die Territorien nicht mehr der nationalen Souveränität unterstehen, um den Investoren freie Hand zu geben. „Für uns ist das eine neue Form der Kolonisierung – dagegen wehren wir uns“, sagt Miranda. „Am Ende müssen wir noch Pässe vorweisen, um uns auf unserem zuvor eigenen Territorium bewegen zu können.“

Bis Castro und eine neue Regierung es schaffen, all jene Gesetze zu ändern, die dem korrupten Apparat unter Hernández zugutekamen, könnten Jahre vergehen. Die Wahl von zwei Parlamentspräsidenten stürzt das Land in eine institutionelle Krise, die den Wandel noch schwieriger macht, befürchten Analysten wie Joaquín Mejía, Jurist und Mitarbeiter des jesuitischen Forschungs- und Kommunikationszentrums „Eric“. Das Ausmaß an problematischen Gesetzen, die korrigiert werden müssten, ist immens. Auch das Strafgesetzbuch müsste überarbeitet werden. Es wurde im Jahr 2020 letztmals novelliert. Dabei wurde etwa das Strafmaß für Vergewaltigung reduziert, obwohl die Zahl solcher Vergehen in Honduras extrem hoch ist.

Ein Team von Mitarbeitern und Beratern Castros ist in den vergangenen Wochen durchs Land gereist, um Gespräche mit NGOs, sozialen und politischen Organisationen sowie Expertinnen und Experten über nötige Änderungen zu führen. Viele Gruppen in der Bevölkerung hegen sehr hohe Erwartungen. Das sehen Unterstützer Castros wie Peñalba auch als Pro-
blem. „Wir brauchen einen strukturellen Wandel. Das braucht Zeit und Visionen. Dafür sind Experten mit Entwicklungsideen nötig“, so der Kaffeebauer, der sich für ökologischen Anbau in der Kaffeeregion Marcala einsetzt. Dort hat er es mit einem Team von engagierten Experten geschafft, die Müllkippe der gleichnamigen Stadt Marcala mit einer Biogas-, Recycling- und Kompostierungsanlage auszustatten. Derartige Initiativen wären in vielen Kommunen sinnvoll. Auch Miranda hat in ihrer Gemeinde nachhaltige Anbaumethoden gefördert.

Die Justiz ist in Honduras mehrheitlich noch mit Personal besetzt, das der alten Clique um Hernández die Treue hält. Castro möchte deshalb eine Kommission gegen die Straflosigkeit wie diejenige in Guatemala ins Land holen, um Klientelismus und Korruption besser bekämpfen zu können. Ein entsprechender Antrag an die Vereinten Nationen und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist bereits vorbereitet. Bislang sei die Rechtsprechung des Landes mehr oder weniger käuflich, sagt der Analyst Mejía. Ein Instrument wie die juristische Expertenkommission „könnte Wunder wirken, wenn es die nötige internationale Unterstützung erhält“, so der Anwalt. Weil er Probleme klar benennt, erhielt er schon des Öfteren Drohungen. Mehrfach musste er sich ins Ausland absetzen, weil Attentate gegen ihn befürchtet wurden.

Vielen Menschen, die sich öffentlich für soziale und Menschenrechte sowie ein demokratisches Honduras einsetzen, ergeht es wie ihm, weshalb sie besser geschützt werden müssten. Bei der Unterstützung der Reformen im Justizsystem kommt den USA, aber auch der EU eine wichtige Rolle zu. Sie sollten den Demokratisierungsprozess in Honduras begleiten, weil er für die ganze Region überaus wichtig sei, meint Claudia Samayoa, Gründerin und Koordinatorin der Organisation „Udefegua“ (Schutzorganisation für Guatemalas Menschenrechtsverteidiger): „Honduras könnte Modell stehen für Guatemala, Nicaragua oder El Salvador. Hier bietet sich eine historische Chance für ganz Mittelamerika.“ Doch die institutionelle Krise macht es fraglich, ob diese Chance ergriffen werden kann.

Knut Henkel berichtet für die woxx aus Lateinamerika.

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